Umwelt 30.07.1999, 17:22 Uhr

Letzter Auftritt der Brent Spar

Brent Spar – der Name weckt Erinnerungen an spektakuläre Greenpeace-Aktionen, Tankstellenboykotts und Proteste gegen die Pläne des Ölmultis Shell, die alte Plattform im Meer zu versenken. In diesen Wochen geht der Koloss seinen letzten Gang.

Hohe, auch im Juni schneebedeckte Berge, schroffe Felswände, die sich im ruhigen Meerwasser spiegeln – Norwegens Fjordlandschaft, die Jahr für Jahr Tausenden von Sommergästen den Atem raubt, ist für Arvid B. Nygaard ein normaler Arbeitsplatz. Wenn der norwegische Ingenieur an der Anlegestelle von Vats, einem kleinen Ort im Yrke-Fjord nordöstlich von Stavanger, das gemütlich tuckernde, kleine Fährboot besteigt, steht keine Vergnügungstour auf dem Programm. Die gut zehnminütige Überfahrt vorbei an der imposanten Naturkulisse führt zu einer schwimmenden Werft mitten im Fjord. Dort wird seit November im Auftrag des britisch-holländischen Ölkonzerns Shell die „Brent Spar“ zerlegt.
Als Shell vor viereinhalb Jahren die 1991 ausrangierte Ölplattform im Meer versenken wollte, besetzten Greenpeace-Aktivisten die Spar und initiierten einen beispiellosen Protest der Öffentlichkeit gegen diese Art der „Entsorgung“. Der Druck zeigte Wirkung. Die Versenkungspläne wurden erst mal auf Eis gelegt und die „Brent Spar“ dorthin zurückgeschleppt, von wo aus sie 1975 ihren Dienst als schwimmender Nordsee-Öltank angetreten hatte: in die stillen Fjorde Westnorwegens.
Hier erfuhr erstmals der junge Ingenieur Arvid B. Nygaard aus Stavanger von der abgewrackten Stahltonne, die ein ganzes Autofahrervolk auf die Barrikaden getrieben und einen Weltkonzern in die Knie gezwungen hatte. Im Juni 1995 trug er Shell seine Idee vor, wie man die Brent Spar sinnvoll an Land entsorgen und wiederverwerten könnte. „Innerhalb von drei Tagen war alles klar“, erinnert sich Nygaard. Sein Plan, aus dem robusten Stahl Fundamente für eine Kaimauer zu bauen, half den ratlosen Öl-Managern aus einer großen Verlegenheit. Nach einem groß ausgeschriebenen Wettbewerb, bei dem Shell ein gutes Dutzend Alternativen von Gutachtern unter die Lupe nehmen ließ, hieß der Sieger Wood GMC – Nyggards schottisch-norwegische Firma Wood GMC erhielt den Zuschlag. In der Zwischenzeit hatte der Ingenieur eine geeignete Kaianlage ganz in der Nähe aufgetan: In Mekjarvik, auf der Spitze einer Landzunge nördlich von Stavanger gelegen, sollte der vorhandene Pier auf 420 m verlängert und bis auf eine Tiefe von 20 m abgesenkt werden, um auch größte Segelschiffe abfertigen und so den Hafen von Stavanger entlasten zu können. Seitdem hat die „Brent Spar“, von der vorher in Norwegen kaum jemand wußte, den Ingenieur nicht mehr losgelassen.
Der erste Eindruck von dem im Wasser dümpelnden Stumpf (die Aufbauten inklusive Hubschrauberlandeplatz wurden im vergangenen Herbst abmontiert) ist alles andere als beeindruckend. Statt des gigantischen Monstrums, das man nach den Berichten aus der heißen Phase der Kampagne von 1995 vielleicht erwarten würde, zeigt sich eine rostige, mit Muscheln bewachsene Tonne, die alles in allem nicht einmal halb so hoch ist wie der Eiffelturm.
In monatelangen Tag- und Nachtschichten haben zeitweise mehr als hundert Mann gleichzeitig an der Brent Spar ganze Arbeit geleistet. Im Acetylen-Schweißverfahren haben sie den Zylinder in vier gleich große Scheiben zerschnitten. In einzelnen Fällen wurde auch kalt geschweißt, wenn das Luftgemisch im Inneren die andere Methode nicht zuließ. Die Tanks der Brent Spar waren schließlich keineswegs leer. Unter anderem enthielten sie bei Beginn der Arbeiten im letzten Winter 15 t Rohöl, 300 t verschmutzten Schlamm, 9 t leicht radioaktives Material aus mitgeförderten Sedimenten, sowie 50 000 t Meerwasser. Die größte Herausforderung für die Techniker war jedoch die hohe Konzentration von Schwefelwasserstoff im Inneren. „Dieses äußerst giftige Gas, das durch Zersetzungsprozesse in Öltanks entsteht, mußte unschädlich gemacht werden, ehe wir ans Werk gehen konnten“, so Nygaard. Dazu wurde eine chlorhaltige Chemikalie in sämtliche Tanks eingebracht, die den Schwefelwasserstoff zersetzte.
Für die Handhabung des Zylinders mußten Nygaard und seine Kollegen ein eigenes Verfahren entwickeln, weil der Koloss mit seinem 6200 t schweren Eisenfuß in vertikaler Lage gehalten werden mußte anderenfalls wäre sie auseinandergebrochen. Sie fanden eine eigenwillige Lösung: eine Art „Wiege“, die, an langen Trossen befestigt, Meter um Meter aus dem Wasser gehoben werden kann. Auf ihr steht die Brent Spar. Die Vorrichtung, die bis zu 8000 t schafft, ist an der holländischen „Heerema H 851“ befestigt, einer schwimmenden Werft, auf der ohne weiteres drei Jumbo-Jets Platz finden könnten.
Diese Riesenplattform dient als Zwischenlager und Transportmittel für die vier jeweils 23 m hohen Scheiben, in die die alte Öltonne zerlegt wird. Ende Juni – so ist der Zeitplan – geht die Fahrt nach Mejkarvik. Dort wird ein Schwimmkran die Teile der „Brent Spar“ in Empfang nehmen und auf dem Meeresboden versenken. Seit dem Winter laufen an dem Kai bereits die Ausschachtungsarbeiten. Die Stahlsäulen werden nach der Versenkung mit Kies und Sand gefüllt. Anfang nächsten Jahren soll der verlängerte Pier fertig sein.
Trotz – oder vielmehr gerade wegen – der gewaltigen Gewichte, die bei diesem einzigartigen Projekt zu bewegen sind, kommt es dem verantwortlichen Ingenieur auf jedes Detail an. „Sicherheit steht über allem“, sagt Nygaard, soll doch die „Brent Spar“ vor ihrem endgültigen Verschwinden nicht noch einmal Schlagzeilen machen. Die hohen Standards zeigen Erfolg: Rund 250 000 Mannstunden wurden bisher abgeleistet, ohne daß auch nur eine Arbeitskraft durch Unfall ausgefallen wäre. Ebenso anspruchsvoll ist man beim Umweltschutz. Das verschmutzte Seewasser aus den Tanks wird nicht einfach ins Meer geleitet, sondern in Tankschiffe umgeladen und ins Klärwerk gebracht. Der Schlamm und das durch Radioaktivität belastete Material geht zur Behandlung nach England, während das Rohöl ganz normal verwertet wird.
Das Ganze lassen sich Shell und – zu einem geringen Teil – der norwegische Staat immerhin mehr als 70 Mio. DM kosten. Zwar ist der Tag, an dem Ingenieur Nygaard zum letzten Mal mit dem kleinen Fährboot von Vats zur Brent Spar hinaustuckert, nicht mehr fern. Daß er dann arbeitslos wird, steht aber nicht zu befürchten – im Gegenteil. Denn die Zerlegung und Verwertung der Spar ist ein Pilotprojekt, das schon bald Serienreife erlangen könnte, wenn die Offshore-Industrie noch weitere ihrer Tanks und Bohrinseln abwracken muß.
Da deren Lebensdauer nicht unbegrenzt ist, das Versenken jedoch nicht mehr in Betracht kommt, wittert man in Stavanger und englang der norwegischen Küste für die kommenden Jahrzehnte bereits ein lohnendes Geschäft angesichts von mehr als 400 Ölbohrinstallationen allein in der Nordsee. Experten schätzen den Markt auf 16 Mrd. DM.
In der Zwischenzeit wird Nygaard erst einmal zusammen mit seiner Familie Urlaub machen. Die schneebedeckten Berge und die schroffen Felswände, die sich im Meerwasser spiegeln, überläßt er freilich solange den Sommergästen: Er reist lieber ganz weit weg – in die Provence.
STEPHAN SCHMIDT
Endstation für die Brent Spar: Mekjarvik nördlich von Stavanger. Der Kampf um die Entsorgung der ausrangierten Öllagerplattform Brent Spar auf hoher See, wobei Shell Greenpeace-Aktivisten auch mit Wasserwerfern bekämpft, erfaßt im Sommer 1995 auch Deutschland. Es kommt zu einer Boykottwelle gegen Shell-Tankstellen. Was viele Boykotteure zu der Zeit nicht wissen: Die Hälfte der Spar gehört der Konkurrenz Esso.
Am 11. Juli wurde im Yrkje-Fjord das letzte Teilstück der Ölplattform als Fundament für die neue Kaianlage versenkt.
Hatte die Idee zur Zerlegung der Brent Spar: Arvid Nygaard mit einer Wasserprobe aus den Tanks.
Die vier „Scheiben“ aus dem Rumpf der Brent Spar, die einen Durchmesser von 29 m und eine Höhe von je 22 m haben, verlängern und vertiefen den Kai von Mekjarvik. Dadurch können künftig auch größere Schiffe abgefertigt werden, was den Hafen von Stavanger entlastet.

 

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