Lettlands blitzblankes Zementwerk
Nach der IVU-Umweltrichtlinie sollen Industrieanlagen in der EU mit der besten verfügbaren Technik betrieben werden. In Broceni, mitten in Lettland, ersetzt nun ein modernes Zementwerk seinen maroden Vorgänger. Es wurde nach dem Stand der Technik erbaut. Wenn das Werk im Frühjahr 2010 in Betrieb geht, werden dort erstmals EU-Limits für Staubemissionen eingehalten. VDI nachrichten, Broceni/Riga, 11. 12. 09, ber
Stolz blickt Uwe Lubjuhn vom 100 m hohen Vorwärmeturm auf das neue Zementwerk herab. Der deutsche Bergbauingenieur leitet seit Oktober 2008 das Werk bei Broceni für Cemex, den drittgrößten Zementhersteller weltweit. Der mit Aluminium ummantelte Zyklon funkelt in der Herbstsonne. Überall ist es sauber. Und das neue Werk werde die Umwelt wenig belasten, so Lubjuhn.
Das war nicht immer so. „Vor 15 Jahren war es hier oft auch im Sommer weiß“, erinnert sich eine 40-jährige Anwohnerin. Lange Zeit durfte das Werk 150 mg/m³ Staub emittieren. Erst Ende 2002 begrenzte die Genehmigungsbehörde in Liep�ja die Emissionen auf 169,5 t jährlich (das entspricht etwa 50 mg/m³).
Wie viel Staub emittierte, wurde selten gemessen. Die Behörden hätten jahrelang weggeschaut, behauptet Oj�rs Balcers vom Umweltverband Vides Aizsardzibas Klubs (VAK). Er vermutet Absprachen hinter vorgehaltener Hand, kann sie allerdings nicht beweisen.
Mit dem EU-Beitritt Lettlands im Mai 2004 verbesserte sich vieles. Die Behörden arbeiten seitdem seriöser, meint Balcers. Einen Teil hat vielleicht der Umweltverband VAK selbst dazu beigetragen: 2005 klagte er vor Gericht darauf, dass die Behörden bei der Genehmigung des Zementwerks alle EU-Gesetze berücksichtigen sollten. Im Jahr 2008 erhielt der Verband teilweise recht.
Der Zementhersteller Cemex, der das Werk seit April 2005 führt, war von Beginn an auf sich verschärfende Staubgrenzwerte eingestellt. So erhielt das Werk im Februar 2006 eine neue Betriebsgenehmigung.
Da Cemex Altreifen mitverbrennen ließ, war die rechtliche Grundlage die Abfallverbrennungsrichtlinie der EU. Die Behörde in Liep�ja begrenzte die Staubemissionen auf 50 mg/m³ und von 2008 an auf maximal 30 mg/m³. Dieser Wert entsprach damals dem Stand der Technik, vorgegeben im BVT-Merkblatt für die Zementindustrie von 2001 (BVT = beste verfügbare Technik).
Cemex tat alles, um den jeweiligen Grenzwert einzuhalten: Durch die komplette Überholung der Elektrofilter sanken die Staubemissionen deutlich. Doch das reichte nicht: Bis zur Stilllegung des Ofens im alten Werk am 3. August 2009 wurden die Grenzwerte fast täglich überschritten.
Die Behörden tolerierten die Grenzwertüberschreitungen. „Wir haben gesehen, dass Cemex viel in Umweltschutz investiert“, sagt Daina Ozola. Sie ist im lettischen Umweltministerium Fachfrau für die IVU-Richtlinie, das EU-Gesetz zur integrierten Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung.
Zudem entschied der Zementhersteller Anfang 2006, das alte Werk zu ersetzen. „Es wäre unangemessen, teure Investitionen zu verlangen, wenn das neue Werk schon geplant ist“, so Ozola. Dass Behörden nach Verhältnismäßigkeit entscheiden, sei auch in Deutschland üblich, meint Werksleiter Lubjuhn, räumt aber ein, dass es in Deutschland schon früher Diskussionen mit der Behörde gegeben hätte.
Einen halben Kilometer vom alten Werk entfernt wird seit Juli 2007 das neue gebaut. Es wird rund 275 Mio. € kosten und energieeffizient sein. „Es verbraucht etwa 50 % weniger Energie für die Herstellung von Klinkern“, sagt Lubjuhn.
Klinker werden nicht mehr im Nassverfahren, sondern in einem Trockenprozess nach dem Stand der Technik hergestellt: Ton, Kalk, Sand und Eisenerz werden mit Ofenabgasen getrocknet, bevor daraus im Drehrohrofen bei etwa 1500 ºC der Klinker gebrannt wird.
Das Werk werde schrittweise noch klimafreundlicher, so Lubjuhn. Die Steinkohle soll zur Hälfte mit Haus- und Gewerbemüll aus Deutschland, Altreifen, gebrauchtem Bilgen- und Maschinenöl sowie mit lettischer Biomasse versetzt werden. Langfristig soll der Ofen zu 80 % mit Sekundärbrennstoffen befeuert werden.
Besonders stolz ist Lubjuhn auf die Filteranlage im Abgasstrom. Im Gewebefilter wird Staub auch unter schwierigen Bedingungen abgeschieden und in den Produktionsprozess zurückgeführt.
Messungen eines unabhängigen Labors zeigten im August 2009, dass Staubgehalte von unter 10 mg/m³ erreichbar sind. Das Werk kann daher den Grenzwert von 20 mg/m³, den die Genehmigungsbehörde im März 2009 vorgegeben hat, locker einhalten. Dieser Grenzwert entspricht dem Stand der Technik, wie es im überarbeiteten BVT-Merkblatt für die Zementindustrie von Mai 2009 steht.
Um den Stickoxid-Grenzwert von 500 mg NOx/m³ einzuhalten, nutzt Cemex den Stand der Technik, genauer die erprobte SNCR-Technologie (selective non-catalytic reduction). Dabei wird Ammoniakwasser in den heißen Abgasstrom eingespritzt. Treffen Ammoniak- und Stickoxidmoleküle aufeinander, entsteht molekularer Stickstoff.
Die Anlage werde etwa 500 000 € kosten und könne dann die NOx-Emissionen auf deutlich unter 500 mg/m³ senken, so Lubjuhn. Er will diese Technik aber nur mit Bedacht anwenden, „da dabei auch unerwünschte Ammoniakemissionen entstehen können“.
Das neue Werk ist beinahe betriebsbereit. Ab Frühjahr 2010 will Cemex in Broceni Klinker für den baltischen, russischen und skandinavischen Markt herstellen – bis zu 1,5 Mio. t Klinker pro Jahr. Das sind 3,5 Mal so viel wie im alten Werk.
Auch Umweltschützer Balcers freut sich, dass das neue Werk selbst bei voller Auslastung wahrscheinlich deutlich weniger Staub emittieren wird als das alte. RALPH AHRENS
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