Umwelt 28.11.2003, 18:27 Uhr

Kommt der Gelbe Sack in die Tonne?

Ab in den gelben Sack! Mülltrennung ist Volkssport, volkswirtschaftlicher Unsinn, und war bisher dennoch ein gutes Geschäft für das Duale System Deutschland. Doch Dosenpfand und neue Wettbewerber setzen das Unternehmen unter Druck. Jetzt prüft das Duale System, ob sich die gelbe Tonne noch lohnt.

Revolutionen beginnen in Hessen meistens früher: 1848 riefen in der Frankfurter Paulskirche mehrere Bürger die erste deutsche Republik aus. 1981 schafften die Grünen erstmals in einem Bundesland den Einzug in den hessischen Landtag. 22 Jahre später sorgt Hessen erneut für eine Revolution – diesmal in der Abfallwirtschaft: Im Sommer 2003 knackte der Landestag das Monopol der „Grünen-Punkt”-Firma Duales System Deutschland (DSD) und erteilte Landbell die Zulassung als zweites Duales System. Seit dem 1. November 2003 darf Landbell die Einrichtungen für Erfassung und Verwertung von Verpackungsmüll mitbenutzen.
In knapp der Hälfte der DSD-Vertragsgebiete ist der Markt bereits hart umkämpft. Die Verpackungshersteller können zwischen zwei Systemen wählen – dem DSD und Landbell. „Unser Produkt ist die Freistellung von der Rücknahmepflicht“, sagt Landbell-Geschäftsführer Wolfgang Schertz. 7,3 % aller Verpackungsabfälle dürfen von Landbell erfasst werden. Das entspricht dem Bevölkerungsanteil Hessens.
Nicht nur der verstärkte Wettbewerb, auch das Dosenpfand setzt das Unternehmen unter Druck. Die durch das Pflichtpfand weggefallenen Mengen von PET-Flaschen und Dosen werden in diesem Jahr zu Umsatzeinbußen von 310 Mio. € führen. Ist das der Grund dafür, dass sich das Unternehmen daran macht, das heilige Prinzip der Mülltrennung anzutasten?
Im Rahmen von Pilotversuchen will das Duale System testen, ob man auf das getrennte Einsammeln von Verpackungsabfällen mit dem Grünen Punkt verzichten kann.
Insbesondere in sozialen Problemgebieten landet die Hälfte aller Verpackungsabfälle in der Grauen Tonne und umgekehrt der Restmüll in der Gelben. „Bisher wurde der Nachweis nicht geführt, dass die Sortierung des gesammelten Mülls unter Verzicht auf die Getrenntsammlung zu technisch, ökologisch und betriebswirtschaftlich vertretbaren Ergebnissen führen würde”, sagt DSD-Chef Hanspeter Repnik. Sollte sich die gelbe Tonne aber als ökologischer Unsinn herausstellen, könnte das DSD seinen Kurs ändern.
Sortieren, trennen und, wenn es sein muss, recyceln lässt sich bereits bestens ohne das Duale System. Alles könnte viel „einfacher und ökologischer sein“, behauptet Andreas Puchelt, Marketingchef der Herhof-Umwelttechnik GmbH in Solms-Niederbiel bei Gießen – wenn nur das Trockenstabilat-Verfahren aus seinem Hause angewandt würde. Das Verfahren arbeitet fast unsortierten Müll auf. Nur Papier wird aussortiert. Das Berliner Umweltbundesamt lobt das Herhof-Verfahren als „modellhaft“.
Der Trick: Als erstes wird der Müll biologisch getrocknet – mit Hilfe der im Abfall lebenden winzigen Organismen. Die trockene Masse wird sortiert: in brennbare Anteile (Stabilat), Metalle und Glas. Kunststoffe können zusätzlich entfernt werden, der Rest wird anstelle von Kohle und Öl in Industrieanlagen verheizt. Laut Herhof kostet die Verwertung einer Tonne Müll nur noch etwa 100 €, das DSD bringe es auf das Vierfache.
Auch Landbell tönt, schon jetzt billiger zu sein als das DSD. „Wir haben deutlich weniger Marketing und Personalkosten und kaufen billiger ein”, sagt Landbell-Chef Schertz. Zu Preissenkungen in den Regalen werde es vorerst jedoch nicht kommen.
Schon jetzt sind viele Verpackungsproduzenten vom DSD zu Landbell gewechselt. Unternehmen wie Schlecker, Müller, DM, Rossmann und Hellweg entsorgen ihren Müll bereits bei Landbell. „Der Marktanteil an den Lizenzentgelten liegt über Plan”, sagt Landbell-Geschäftsführer Wolfgang Schertz. Im kommenden Jahr will Landbell einen Umsatz von 110 Mio. € machen.
Bald könnten neben Landbell weitere Wettbewerber hinzukommen. Die Kölner Interseroh AG, die bislang u.a. Transportverpackungen von Gewerbekunden sammelt und verwertet, steht in den Startlöchern.
„Wir wollen 2004 die bundesweite Systemfeststellung erreichen“, erklärt Michael Bürstner, Leiter Niederlassungen von Interseroh. Das Unternehmen habe viele Gewerbekunden, die bereitwillig vom DSD zu Interseroh wechseln würden, falls Interseroh in die Hausmüllsammlung einsteigt. Daraufhin will jetzt auch das DSD die Kosten senken. „Konkurrenz spornt uns an”, sagt DSD-Chef Repnik.
Für Druck sorgt auch RWE Umwelt, die in einem Test in einer ihrer modernsten Hausmüll-Sortieranlage in Essen beweisen will, dass Verpackungen, Kunststoff und andere Wertstoffe aus unsortiertem Müll getrennt werden können (siehe auch S. 19). Eine Anlage, die das Getrennte verwertet, haben die Essener gleich dazu entwickelt.
Doch der Höhepunkt im erbitterten Kampf um das Müllsortieren dürfte noch nicht erreicht sein. Ab 2005 darf kein Müll mehr unsortiert deponiert werden. Ab 2020 darf Müll überhaupt nicht mehr deponiert, sondern muss vollständig verwertet, verbrannt oder verkapselt werden. Immer mehr Kommunen interessieren sich daher für die Ware Müll und deren finanziell verwertbaren Komponenten.
Und auch Landbell will dem DSD langfristig noch viel mehr Umsatz streitig machen. In mehreren Bundesländern haben sich die Mainzer für die Zulassung als duales System beworben. In einem Bundesland stehe Landbell kurz vor dem Durchbruch, verriet Schertz den VDI nachrichten. (Seite 19)
NOTKER BLECHNER/
ELKE BODDERAS

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