Hightech in kleinen Dosen
Das Pflichtpfand sorgt bei Spediteuren, Abfüllern und Herstellern von Getränkedosen für leere Auftragsbücher und Kurzarbeit. Dennoch glaubt die Branche fest an die Zukunft der Einwegverpackung, in der viel mehr Technologie steckt, als man ihr zutrauen möchte.
Müde streicht sich die Verkäuferin im Bahnhof Andernach eine Haarsträhne aus der Stirn. „So ““reintreten könnte man“, schimpft sie. Der Grund ihres Ärgers heißt Pflichtpfand. Zu fast jedem Getränk muss sie nun eine Pfandmarke ausgeben, damit nur das Leergut bei ihr landet, für das sie zuvor Dosenpfand eingenommen hat. „Noch sind nicht viele Dosen zurückgebracht worden. Aber die Schule hat ja erst gerade wieder angefangen. Das muss sich erst noch zeigen, wie meine jungen Kunden reagieren.“
Die Reisenden, die sich im Bahn Store mit flüssigem Proviant eindecken, werden jedenfalls kaum Dose oder PET-Flasche nebst Wertmarke bis zu ihrem nächsten Halt in Andernach aufbewahren.
Im selben Ort, an anderer Stelle: Im Werk von Rasselstein Hoesch, dem einzigen deutschen Weißblechhersteller, läuft warm gewalztes Stahlband vom 27-t-Coil ins Säurebad. Noch ist der Stahl, der später einmal Bier oder Cola ummanteln soll, 2 mm dick. Durch Kaltwalzen wird das Material auf etwa ein Zehntel dieser Stärke gebracht und mit einer Zinnauflage von 2 g/m2 veredelt.
„Das Zwangspfand betrifft uns sehr stark, auch wenn die Sparte Getränkedosenblech nur ein Fünftel unserer gesamten Produktion ausmacht“, erklärt Pressesprecher Karsten Brandt. Zahlreiche Aufträge seien in den vergangenen Wochen storniert worden. „Wir waren bisher allerdings in der Lage, dies mit anderen Aufträgen auszugleichen“, so Brandt weiter. Deshalb werde es zumindest im ersten Quartal 2003 keine Beschäftigungsprobleme für die rund 2000 Mitarbeiter geben. Wie es danach weitergeht, ist ungewiss. „Wir müssen abwarten, wie die Verbraucher und die Handelsketten sich verhalten.“
Brandt setzt darauf, dass mit Einführung eines bundeseinheitlichen Rücknahmesystems zum 1. Oktober 2003 die Handelsketten wieder vermehrt Getränkedosen in ihr Sortiment aufnehmen werden. „Einige werden dann vielleicht auf Mehrweg ganz verzichten, weil die Rücknahme der Einwegverpackungen mit Automaten erfolgen kann. Das spart schließlich Lohnkosten“, meint der Pressesprecher.
Noch herrscht bei den Supermarktketten aber Verunsicherung. Discounter, wie Aldi oder Lidl, hatten alle Getränkedosen vor Weihnachten aus dem Programm genommen. Zwar deutet sich an, dass beide wieder in den Dosenverkauf einsteigen, doch noch ist die Auftragslage dünn bei den Herstellern. „Wir rechnen damit, dass wir unsere Kapazitäten in den nächsten Monaten nur zu 20 % bis 25 % auslasten können“, meint Günter Schäfer, Geschäftsbereichsleiter bei Schmalbach-Lubeca, dem größten deutschen Hersteller von Getränkedosen. 2002 lag die Auslastung noch über 97 %.
Kurzarbeit für die bundesweit über 800 Beschäftigten wird die Folge sein. Im Werk Weißenthurm, einen Katzensprung Rhein aufwärts von Andernach, haben die 210 Mitarbeiter noch zu tun. Zwei der drei Fertigungslinien laufen. Hier kommt das 0,2 mm starke Weißblech in 10-t-Coils von Rasselstein Hoesch und anderen an. Über den Coil-Haspel wird das 4,5 km lange und 1,20 m breite Blechband abgewickelt und zur Tiefziehpresse geführt.
Noch durch die Ohrstöpsel ist der hämmernde Takt des Cuppers zu hören. Neun Werkzeuge stanzen parallel Ronden von 150 mm Durchmesser aus. Im nächsten Schritt werden die runden Bleche ringsum niedergehalten, während ein Stempel herunterfährt und einen Napf von 90 mm Durchmesser aus dem flachen Blech formt. 200 dieser so genannten Cups produziert die Maschine pro Minute. Beim anschließenden Abstrecken wird der Durchmesser weiter auf 66 mm reduziert und der Boden geformt. Die Wandstärke vermindert sich dabei auf nur noch 60 mm bis 70 mm.
Einige Stationen weiter liegt ein Hauch von Lösungsmitteln in der Luft: Im Mehrfarben-Offset werden bis zu 1600 Dosen pro Minute bedruckt. Von Zeit zu Zeit scheppert eine Dose vom Magnetband in eine Plastikwanne. Bei 3 % liege die Ausschussquote, erklärt Günter Schäfer. Die abschließende Qualitätskontrolle erfolgt mit Licht- und Kameratestern, die auch kleinste Risse und Löcher oder Verformungen erkennen. „Das ist hier kein Meisterbetrieb mehr, sondern Ingenieurleistung“, sagt Schäfer mit einigem Stolz. Im firmeneigenen Technologiezentrum in Bonn wird dieses Know-how weiter ausgebaut. So konnte seit 1991 rund 33 % Material eingespart werden. Geforscht wird derzeit an der weiteren Erhöhung der Liniengeschwindigkeit und der Verbesserung des Drucks mit digitaler Technik.
Die Qualität der Schmalbach-Dosen bestätigt auch Peter Krebs, Geschäftsführer der West-Zentra, Dorsten. 700 Mio. Dosen und 250 Mio. PET-Flaschen füllt sein Werk jedes Jahr mit Getränken aus dem Coca-Cola-Konzern. Bisher. Jetzt, am Dreikönigstag, ist es in der Halle jedoch empfindlich kühl. „Sonst haben wir hier zehn Grad mehr“, sagt Wolfgang Krüger, der seit 18 Jahren bei West-Zentra arbeitet. Doch die Anlage, in der die PET-Flaschen erhitzt und in Form geblasen werden, stand vier Wochen still. „Meine 150 Mitarbeiter habe ich am 2. Dezember in Resturlaub geschickt und Kurzarbeit angemeldet“, erklärt Krebs.
Zunächst wurde das im Winter ohnehin randvolle Lager abgebaut. Seit dem 6. Januar rattern wieder die Dosen auf den Fließbändern. In rasender Geschwindigkeit fließen die kohlensäurehaltigen Limonaden in die Behälter. Damit nichts überschäumt, werden die Dosen mit 4,5 bar „vorgespannt“.
In zwei Arbeitsschritten werden die Deckel, die zum Teil neuerdings mit den Logos der Supermarktketten bedruckt sind, aufgelegt und angebördelt. Weiter geht es durch eine Waschstraße und durch die Röntgenkontrolle, die unterfüllte Dosen aussortiert.
Für 2003 erwartet Peter Krebs nur die Hälfte des Geschäftsvolumens vom Vorjahr. Das trifft auch das nächste Glied in der Kette. Gerd zur Mühlen, Geschäftsführer der ZM-Logistik, ist Generalspediteur für West-Zentra: „Ich arbeite mit etwa 50 Subunternehmern, die zum Teil nur zwei, drei Fahrzeuge haben. Fällt da der Auftrag von Coca-Cola aus, bedroht das die Existenz des Unternehmers.“ Was bleibt, ist die Hoffnung, dass bald mehr Klarheit kommt – und dass „der Gesetzgeber nicht alles in unserem Leben regulieren wird.“ MARTIN VOLMER
Mehrweganteile bei Getränken
Getränkebereich | 1991 | Mai 2000 bis April 2001 |
Getränke insgesamt (ohne Milch) | 71,69 % | 63,81 % |
Mineralwasser | 91,33 % | 78,46 % |
Fruchtsäfte u.a. Getränke ohne CO2 | 34,56 % | 33,35 % |
Erfrischungsgetränke mit CO2 | 73,72 % | 64,76 % |
Bier | 82,16 % | 72,34 % |
Wein | 28,63 % | 26,09 % |
Quelle: Bundesministerium für Umwelt
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