Ende der Korkkönige
Weil Weinflaschen immer häufiger mit Plastik oder Metall verschlossen werden, sind die Korkeichenwälder Südeuropas gefährdet.
Früher erkannte man umweltbewusste Menschen am gelben Sack in der Küche. Heute sammelt man ökologisch korrekt ausgediente Korkstopfen, um den wertvollen Naturrohstoff vor dem Müll zu bewahren. Das Recycling funktioniert perfekt: Die Korken werden geschreddert und zu Dämmmaterial verarbeitet. Doch noch immer kursieren über Kork unausrottbare Gerüchte: So soll seine Gewinnung die Bäume bedrohen. Manche fürchten gar, man müsse diese fällen, um Kork zu gewinnen.
„Das Gegenteil ist der Fall“, sagt Helma Brandlmeier vom europäischen Waldprogramm des World Wildlife Fund (WWF). „Die Verwendung von Kork schützt die Umwelt, weil man damit einen nachhaltigen Wirtschaftszweig unterstützt.“ Weltweit werden jährlich 17 Mrd. Korken produziert, allerdings muss dafür kein einziger Baum lädiert werden. Korkeichen (Quercus suber) schützen sich gegen Feuer und Verdunstung mit einer bis zu 10 cm dicken Schicht aus toten Zellen, die von speziell ausgebildeten Arbeitern, den Peladores, im Rhythmus von etwa zehn Jahren teilweise abgeschält wird. Wenn die Männer im Hochsommer die gewaltigen Korkplatten ablösen, achten sie peinlich darauf, die Bäume – ihre Lebensgrundlage – nicht zu beschädigen.
Korkeichen werden mehrere hundert Jahre alt. So bildete sich am westlichen Mittelmeer eine einzigartige Kulturlandschaft aus Land-, Wald- und Weidewirtschaft. Wer als Urlauber schon einmal das Hinterland von Algarve oder Costa del Sol erkundet hat, ist dabei sicher durch einen lichten Korkeichenwald gefahren. Da kann es vorkommen, dass ein Stier über die Straße trottet. Auch die iberischen Schweine werden in den Wäldern gemästet: Sie dürfen die Nüsse der Eichen futtern, damit ihr Fleisch sein ausgezeichnetes Aroma erhält.
„Für die ländlichen Regionen Portugals und Südspaniens ist die Korkernte lebenswichtig“, sagt Brandlmeier. Aus dem Naturstoff werden zahlreiche Produkte hergestellt die wichtigsten seien jedoch die Stopfen für Wein- und Sektflaschen. Die WWF-Frau fordert die Konsumenten deshalb auf, beim Kauf auf echte Korkverschlüsse zu achten: „Die Verwendung von Kork schützt diesen nachhaltigen Wirtschaftszweig.“ Dieser sei durch das Vordringen von Flaschenverschlüssen aus Kunststoff oder Metall ernsthaft bedroht.
Schweizer Weißweinbauern nutzen bereits überwiegend Schraubverschlüsse aus Aluminium. Und aus amerikanischen, südafrikanischen oder australischen Weißweinflaschen ziehen Weinkonsumenten immer häufiger Kunststoffkorken, etwa aus Polyethylen. Die erfreuen das Ohr beim Öffnen zwar mit dem klassischen „Plop“, lassen sich aber kaum wieder in die geöffnete Flasche drücken.
Die Diskussion über das Für und Wider wird erbittert geführt: Damit Wein bei der Lagerung „atmen“ könne, müsse er mit einem echten Naturkorken verschlossen sein, argumentieren die einen. Andere halten dieses Argument für Quatsch und verweisen auf den hohen Ausschuss durch „verkorkten“ Wein. Bis zu 3 % der Naturkorken färben geschmacklich unangenehm auf den Wein in der Flasche ab.
„Der hat Kork“ sagen Kenner und verziehen das Gesicht. Für die Kunden ist das ärgerlich, für die Händler zusätzlich ein Kostenfaktor, da sie die Flaschen ersetzen müssen. Daran sind häufig Korkstopfen minderer Qualität schuld. Diese werden immer häufiger eingesetzt, denn die Preise für hochwertigen Naturkork sind nach mehreren mäßigen Ernten stark gestiegen.
So eroberten die neuen Verschlüsse aus Alu und Plastik innerhalb weniger Jahre einen Marktanteil von 7 %. Umweltverbände warnen vor diesem Trend, da er die Korkeichenwälder im westlichen Mittelmeerraum bedrohe: „Wenn Kork nicht mehr lukrativ genug ist, dann wird eben auf profitablere Plantagen umgestellt“, sagt Brandlmeier. Etwa auf Pinien- oder Eukalyptusbäume, die dem Boden aber extrem viele Nährstoffe und Wasser entziehen und so zu Erosion und Verwüstung beitragen. Dadurch wächst auch die Gefahr verheerender Waldbrände.
Dagegen schützen die tiefen und ausgedehnten Wurzeln der Korkeichen den Boden ideal vor Erosion nach starken Regenfällen. Welchen Segen das für die Landschaft bedeutet, kann man in den gerodeten Gebieten nördlich von Alicante beobachten, wo tiefe Erosionsgräben das Bild bestimmen und sich Europas erste Wüste breit macht. Der WWF geht davon aus, dass die Korkeichenwälder großflächig verschwinden, wenn der Anteil von Plastik- und Aluverschlüssen 30 % erreicht.
„Weingenuss hat etwas mit Naturschutz zu tun“, sagt Matthias Kuprian vom Naturschutzbund Hessen. Das Ende des Korken gefährde viele Wildtiere, wie etwa den iberischen Königsadler (Aquila leiaca), der in Korkeichen nistet und die Wälder als Jagdgebiet nutzt. Oder den iberischen Luchs (Lynx pardinus), von dem es nur noch etwa 150 Exemplare gibt. „Viele Vogelarten, wie etwa der Kranich, überwintern in den Korkeichenwäldern“, ergänzt Kuprian, „und zahlreiche Zugvögel nutzen sie als Tankstelle auf dem Weg nach Afrika.“ GÜVEN PURTUL
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