Der Schwindel mit der Abfallvermeidung
Den Stand der Abfallvermeidung in Deutschland festzustellen hieße, einen Eimer mit einem Sieb leerzuschöpfen. Zu diesem ernüchternden Ergebnis muß kommen, wer sich mit dem Wirrwarr um den Begriff „Vermeidung“ auseinandersetzt.
Der Begriff der Abfallvermeidung wird in der öffentlichen Umweltdiskussion zwar sehr häufig, dafür aber auch oft sehr unvollständig oder falsch benutzt.“ Mit diesen Worten bringt Prof. Dr. Eckhard Willing, Abfallexperte im Umweltbundesamt (UBA), Berlin, das Entscheidende zum Thema Abfallvermeidung auf den Punkt. Jedes größere Unternehmen schmückt sich seit Jahren mit regelmäßigen Umweltberichten, in denen die verringerten Emissionen oder der reduzierte Energieverbrauch noch halbwegs glaubwürdig und nachvollziehbar dargestellt sind – beim Thema Abfallvermeidung ist dies mitnichten der Fall.
„Die meisten Zahlen zur Abfallverminderung sind nichts als Schwindel“, so Hans Wilhelm Jakobi, Fachbereichsleiter Sonderabfallentsorgung im UBA. Daß die Abfallmengen nicht durch gezielte Maßnahmen schwinden, bestätigt der Kölner Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE). „In Deutschland sinken die Sonderabfallmengen nur deshalb, weil die Produktion zunehmend in Länder verlagert wird, in denen niedrigere Umweltstandards herrschen“, meint BDE-Sprecher Stefan Hülsdünker. Zudem würden viele Abfälle wieder in den Produktionsprozeß eingeschleust und verschwänden so aus der Statistik.
Um die Begriffe Abfallverwertung, Abfallreduzierung und Abfallvermeidung sauber zu trennen, bedürfte es einheitlicher Definitionen. Doch diese gibt es nicht. So ist im aktuellen Umweltbericht des Chemie- und Pharmaunternehmens 3M von einer Abfallreduzierung um 41 % im Zeitraum 1990 bis 1997 die Rede, und auch Bayer spricht davon, seit 1990 das weltweite Abfallaufkommen von 2,4 Mio. t auf 2,1 Mio. t im Jahr 1996 reduziert zu haben. Das Chemie-Unternehmen Hüls, dessen Gesamtabfallmenge in den letzten fünf Jahren um 19 % gesunken ist, umschreibt recht wohlklingend seine Abfälle: Nebenprodukte würden zunächst zu Rohstoffen einer zweiten Produktion wenn dies nicht möglich oder sinnvoll sei, sollten diese Stoffe, also die „Nicht-Produkte“, möglichst so anfallen, daß sie anderweitig verwertet oder durch Verbrennen energetisch genutzt werden können. Und an anderer Stelle heißt es, bei der Hüls-Tochter Röhm würden derzeit 75 % aller Abfälle verwertet.
Handelt es sich bei den genannten Zahlen immer um eine Abfallvermeidung? Die Frage kann niemand beantworten, denn niemand weiß oder will sagen, welche Mengen an Abfall tatsächlich durch eine Verfahrensoptimierung vermieden, anderweitig verwertet oder in den Produktionskreislauf des eigenen oder eines fremden Unternehmens zurückgeführt werden. Von welcher Qualität die übrigbleibenden „echten“ Abfälle sind, welche Umweltrelevanz sie haben und welche Abfälle durch neue Kreisläufe an anderer Stelle entstehen, ist damit nicht beantwortet „und kann eigentlich auch kaum beantwortet werden, es sei denn, man verfolgt und vergleicht sehr genau den Lebensweg eines einzelnen Produkts oder dessen Produktionsverfahren“, gibt Hans Wilhelm Jakobi zu bedenken.
Besonders gefährlich ist das Umdeklarieren von Abfällen
Hinter der verschleiernden Zahlenakrobatik vieler Unternehmen steckt dennoch bisweilen ein positiver Ansatz, und zwar dann, wenn echte Abfallvermeidungspotentiale erschlossen werden. Oft aber besteht die Gefahr, das Gefährdungspotential eines Stoffes oder einer Produktion durch Verbundanlagen auf andere Prozeßketten oder kaum mehr nachvollziehbar in die Umwelt zu verlagern. Besonders delikat ist die Umdeklarierung von Sonderabfällen zu sogenannten Wertstoffen, die als Bergversatz von der Oberfläche und aus der Abfallstatistik verschwinden. Die Betreiber von Untertagedeponien, die bergwerkstechnisch für die Endlagerung von Sonderabfall ausgelegt sind, wissen davon ein Lied zu singen. So gehen die jährlichen Einlagerungsmengen in der hessischen Untertagedeponie Herfa-Neurode stetig zurück: 1991 waren es 149 000 t, 1995 120 000 t und 1997 gerade mal 85 000 t. Schätzungsweise 20 Mio. t bergbaufremde Rückstände lagern in Deutschland untertage, 90 % davon als sogenannte Versatzmaßnahmen.
Möglich wird das durch das Bundesberggesetz. Da Versatzmaßnahmen der Stabilisierung des Untergrundes dienen, werden auch solche Bereiche verfüllt, die nach der TA Abfall nicht genehmigungsfähig wären. Daß solche „Verwertung“ schon aufgrund der niedrigeren technischen Standards weit billiger ist als die Ablagerung in genehmigten Untertagedeponien, ist naheliegend.
Alle Bemühungen, Abfallvermeidung in Zahlen zu fassen, müssen scheitern. „Es ist nämlich eine Eigenart von Vermiedenem, weder dazusein noch einzutreffen“, so Josefine Heinz vom Referat Abfallwirtschaft im Bundesumweltministerium kürzlich auf einem Seminar der Ingenieurgemeinschaft Witzenhausen in Wiesbaden. Nur ganz wenige Beispiele ließen sich konkret in Zahlen fassen, bespielsweise die Tatsache, daß der Pro-Kopf-Verbrauch an Verpackungen zwischen 1991 und 1997 um rund 13 % zurückgegangen ist, da viele Verpackungen leichter und kleiner sind als früher.
Auch Müllvermeidung in Kommunen kann mit Zahlen nicht belegt werden. Nach Dr. Norbert Kopytziok vom Landesamt für Natur und Umwelt in Schleswig-Holstein sind die Kommunen alles andere als leuchtende Beispiele der Abfallvermeidung. „Würde man die Fibeln und Plakate zusammentragen, die zum Zweck der Verbraucheraufklärung gedruckt wurden, wäre die Menge möglicherweise größer als die im gleichen Zeitraum vermiedene Abfallmenge“, so sein wenig schmeichelhaftes Resümee. Seit 1987 gebe es vom UBA ein Handbuch zur umweltfreundlichen Beschaffung, doch eine Kommune, die diese Empfehlungen in breiter Form umgesetzt habe, sei bislang nicht gefunden worden.
Sinkende Abfallmengen für die Deponien aufgrund zunehmender Vermeidung – so zumindest steht es in den Umweltberichten vieler Unternehmen geschrieben.