Spannende Erkenntnisse 22.08.2024, 14:15 Uhr

Brachte Regenwasser das Leben auf die Erde?

Der Medizin-Nobelpreisträger Jack Szostak, zwei US-Universitäten und ein Fläschchen Regenwasser aus Houston werfen ein neues Licht auf den Ursprung des Lebens.

Regentropfen

Eine Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Regenwasser zur Entstehung von Leben auf der Erde beigetragen haben könnte.

Foto: PantherMedia / Astrid Gast

Der Ursprung des Lebens auf der Erde gehört zu den großen unbeantworteten Fragen der Wissenschaft. Besonders faszinierend ist dabei die Frage, wie sich aus einfachen RNA-Tropfen, die in der sogenannten Ursuppe schwammen, die ersten Zellen bildeten – die Vorläufer aller heutigen Lebewesen. Eine neue Studie, die in der renommierten Zeitschrift Science Advances veröffentlicht wurde, liefert nun eine mögliche Antwort: Regenwasser könnte eine Schlüsselrolle gespielt haben.

Die Rolle von Koazervat-Tröpfchen

Die Forschung konzentriert sich auf so genannte „Koazervat-Tröpfchen“. Diese Tröpfchen bestehen aus komplexen Molekülen wie Proteinen, Lipiden und RNA und verhalten sich ähnlich wie Öltropfen in Wasser. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vermuteten schon lange, dass solche Tröpfchen als Vorläufer der ersten Zellen, so genannter Protozellen, dienten.

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Doch ein Problem verhinderte bisher die Bestätigung dieser Theorie: Die RNA-Moleküle in diesen Tröpfchen wurden viel zu schnell untereinander ausgetauscht, so dass keine Differenzierung und damit keine Evolution möglich war. Wenn alle Tröpfchen gleich sind, kann keine neue biologische Vielfalt entstehen – und ohne Vielfalt gibt es kein Leben.

Der neue Ansatz mit dem Regenwasser

Forschende der University of Chicago und der University of Houston haben nun einen Lösungsansatz gefunden. Sie vermuten, dass Regenwasser vor rund 3,8 Milliarden Jahren eine entscheidende Rolle bei der Bildung einer stabilen Hülle um diese frühen Tröpfchen gespielt haben könnte. Diese Hülle könnte den RNA-Austausch verlangsamt und so die Grundlage für eine Darwinsche Evolution geschaffen haben.

Dr. Aman Agrawal, Postdoktorand an der Universität von Chicago, führte die Untersuchungen durch. Unterstützt wurde er dabei von renommierten Wissenschaftlern wie Matthew Tirrell, einem führenden Experten auf dem Gebiet der Molekulartechnik, und Jack Szostak, einem Nobelpreisträger für Medizin.

Regenwasser könnte dazu beigetragen haben, vor 3,8 Milliarden Jahren eine netzartige Wand um die Protozellen zu bilden - ein entscheidender Schritt beim Übergang von winzigen RNA-Kügelchen zu allen Bakterien, Pflanzen, Tieren und Menschen, die jemals gelebt haben. Foto: UChicago Pritzker School of Molecular Engineering / Peter Allen, Second Bay Studios

Regenwasser könnte dazu beigetragen haben, vor 3,8 Milliarden Jahren eine netzartige Wand um die Protozellen zu bilden – ein entscheidender Schritt beim Übergang von winzigen RNA-Kügelchen zu allen Bakterien, Pflanzen, Tieren und Menschen, die jemals gelebt haben.

Foto: UChicago Pritzker School of Molecular Engineering / Peter Allen, Second Bay Studios

Destilliertes Wasser bringt den Durchbruch

Der Schlüssel zu dieser Entdeckung ist destilliertes Wasser. Agrawal und sein Team überführten Koazervattröpfchen in destilliertes Wasser und beobachteten eine drastische Veränderung: An den Rändern der Tröpfchen bildete sich eine netzartige Struktur, die den Austausch der RNA stark verlangsamte. Dadurch überlebten die RNA-Moleküle in den Tröpfchen nicht mehr nur wenige Minuten, sondern mehrere Tage – genug Zeit, um Mutationen zu bilden und einen evolutionären Prozess in Gang zu setzen.

Dieses Ergebnis ist für das Verständnis der frühen Entwicklung des Lebens von großer Bedeutung. Es zeigt, dass Regenwasser – oder ein anderes, ähnlich reines Wasser – eine stabile Umgebung geschaffen haben könnte, in der sich die ersten Zellen entwickeln konnten.

Szostak betont die Bedeutung interdisziplinärer Forschung

Diese Entdeckung wäre ohne die Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen nicht möglich gewesen. Die Ingenieurinnen und Ingenieure der University of Chicago untersuchten die physikalischen Eigenschaften der Koazervat-Tröpfchen, während die Biologinnen und Biologen das Verhalten der RNA analysierten. Diese interdisziplinäre Herangehensweise hat entscheidend dazu beigetragen, die Frage nach dem Ursprung des Lebens ein Stück weiter zu klären.

„Das Leben ist von Natur aus interdisziplinär“, erklärt Jack Szostak. „Es erfordert Fachwissen aus verschiedenen Disziplinen, um die komplexen Prozesse zu verstehen, die zur Entstehung des Lebens geführt haben.“

Regenwasser als Schlüsselfaktor

Die Vorstellung, dass Regenwasser vor Milliarden von Jahren eine zentrale Rolle bei der Entstehung des Lebens gespielt haben könnte, ist faszinierend. Aber wie kamen die Forscher auf diese Idee? In einer Diskussion fragte Tirrell, woher das destillierte Wasser vor 3,8 Milliarden Jahren gekommen sein könnte. Die spontane Antwort: Regen. Diese einfache, aber geniale Idee führte zu einer Reihe von Experimenten, die die Theorie bestätigten.

Agrawal testete die Stabilität der Tröpfchen sowohl in destilliertem Wasser als auch in echtem Regenwasser, das in Houston gesammelt worden war. Die Ergebnisse waren eindeutig: Regenwasser könnte tatsächlich die Bedingungen für die Entstehung von Leben geschaffen haben.

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Ein Beitrag von:

  • Dominik Hochwarth

    Redakteur beim VDI Verlag. Nach dem Studium absolvierte er eine Ausbildung zum Online-Redakteur, es folgten ein Volontariat und jeweils 10 Jahre als Webtexter für eine Internetagentur und einen Onlineshop. Seit September 2022 schreibt er für ingenieur.de.

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