An der Abgasreinigung scheiden sich die Geister
VDI nachrichten, Düsseldorf, 29. 10. 04 -Noch setzen die Lkw-Hersteller auf unterschiedliche Techniken, um die EU-Abgasnorm zu unterschreiten. Aber nicht mehr lange. Denn je strenger die Stufen der Abgasnorm in den Jahren 2006, 2009 und voraussichtlich 2012 werden, desto näher kommen sich die technischen Lösungen der Nutzfahrzeughersteller.
Wer baut die saubersten und sparsamsten Brummis? Um diese „Krone“ bewerben sich derzeit drei Gruppen, die heute unterschiedliche Philosophien bei der Abgasreinigung verfolgen. Im Zentrum stehen dabei drei Hersteller: DaimlerChrysler mit der Selective Catalytic Reduction (SCR) im Kat durch die eingespritzte wässrige Harnstofflösung „AdBlue“, MAN mit gekühlter Abgasrückführung (AGR) und Partikel-Kat sowie Scania mit AGR und extrem hohen Einspritzdrücken.
Bei MAN senkt das gekühlte rückgeführte Abgas die Verbrennungstemperatur. Es bilden sich weniger Stickoxide (NOx), aber auch mehr Rußpartikel, die der „PM-Kat“ im Abgasstrang eliminiert. So schaffen die Motoren aus dem MAN-Werk Nürnberg die EU4-Norm, die 2006 in Kraft tritt.
Die Lkw-Motoren DaimlerChryslers mit SCR-Technik sind EU4-Aggregate, wobei der Konzern angibt, auch die Erfüllung von EU5 sei damit gewährleistet. Drei Viertel der Hersteller in Europa setzen auf SCR. Eine heißere Verbrennung lässt kaum Ruß entstehen, dafür gelangen mehr NOx ins Abgas. Diese wandelt ein Katalysator unter Zugabe der 32,5 %igen wässrigen Harnstofflösung „AdBlue“, die vor dem Kat eingespritzt wird, in harmlosen Stickstoff und Wasserdampf um.
Der schwedische Hersteller Scania geht einen dritten, rein innermotorischen Weg. Eine AGR mindert die NOx-Bildung, extrem hohe Einspritzdrücke verhindern die Entstehung von Rußpartikeln und mit der „Turbo Compound“-Technik (zwei Turbolader) steigere man die Motoreffizienz. Allerdings setzt auch Scania bei starken V8-Motoren auf eine SCR-Lösung.
Welcher Ansatz ist gegenwärtig der Beste? Spediteure können noch keine klare Aussagen treffen und zwischen den Hersteller scheint eine Marketingschlacht entbrannt zu sein, in der jeder seine Lösung als überlegen anpreist.
Fakt ist: EU4 erreichen alle Motoren – und sie werden ihren Besitzern damit zumindest bis Oktober 2006 auf deutschen Autobahnen Maut sparen: 0,02 €/km. Danach erhalten nur noch EU5-Motoren den Bonus. Ob das auch mit AGR und PM-Kat zu machen ist, oder ausschließlich mit SCR, ist noch nicht geklärt. Scania kündigt für 2006 EU5-Aggregate mit SCR-Technik an. Doch „wir werden nur vorübergehend auf diese Technik umschwenken“, betonte Pressesprecherin Sieglinde Michaelis gegenüber den VDI nachrichten. Scania entwickle eine zweite Generation von EU5-Motoren, die mit rein innermotorischen Maßnahmen die Grenzwerte einhalten würden.
Auch Dr. Wolfgang Held, Chef der MAN-Motorenentwicklung, rechnet nicht damit, dass die Würfel zugunsten der SCR-Technik gefallen sind: „Wir werden EU5 ohne Additiv erreichen.“ Allerdings treibt er parallel die Entwicklung einer marktreifen Lösung auf SCR-Basis voran. Der Grund: Wenn 2010 auf dem US-Markt neue Grenzwerte (EPA-10) in Kraft treten und es 2012 wohl zu EU6 komme, müsse man sicher beide Technologien kombinieren. Eine Einschätzung, die sowohl bei DaimlerChrysler als auch bei Scania geteilt wird.
Doch die Perspektive, in einigen Jahren gleiche Lösungswege zu gehen, schützt in der aktuellen Diskussion nicht vor Tiefschlägen. AGR sei tot, klingt es aus einem Lager, im anderen schallt es, wer heute auf SCR setzte, überhole den Gesetzgeber rechts. Hintergrund dafür ist, dass noch serienreife Lösungen fehlen zur On-Board-Diagnose (OBD). Ob die Harnstoffkatalyse funktioniert, oder ob überhaupt immer AdBlue im Tank sei, sei praktisch nicht nachvollziehbar. Manipulation sei Tür und Tor geöffnet.
Diesen Vorwurf lässt Dietrich Müller, bei DaimlerChrysler für die Markteinführung der SCR-Motoren verantwortlich, nicht gelten. Einerseits gebe es Refraktometer, mit denen man binnen Sekunden die AdBlue-Konzentration im dafür vorgesehenen Tank nachvollziehen kann. „Zum anderen hat der Gesetzgeber bisher nicht definiert, wie die OBD technisch zu erfüllen ist“, so Müller. Die grobe Planung sieht zwei Kontrollstufen vor. Zunächst sollen Sensoren Tank und Einspritzsystem überprüfen. Diese Informationen werden sowohl an den Fahrer wie an eine Art Blackbox übermittelt, auf der Betriebszeiten ohne Additiv ein Jahr lang gespeichert bleiben. Im nächsten Schritt sollen zusätzliche NOx oder Harnstoff- Sensoren im Abgasstrang die Funktion des Katalysators überwachen.
„Wir brennen auf marktreife Sensoren,“ so Müller, „weil wir die Katalyse mit den Informationen, die sie liefern, genauer steuern könnten“. Von dem zusätzlichen Wissen erhoffe man sich langfristig eine Platz sparende Auslegung der Kats. Bei der Frage fehlender Diagnose an Bord vertraut MAN auch den Spediteuren. Zwar können SCR-Systeme ohne Harnstoff betrieben werden, so Motorchef Held, „doch wir gehen davon aus, dass sich die Betreiber gesetzeskonform verhalten“. P. TRECHOW/WOP
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