Es klingt so harmlos 08.10.1999, 17:23 Uhr

Wenn Wissenschaftlerim Labor Gott spielen wollen

Amerikanische Forscher wollen Gold-Ionen mit Lichtgeschwindigkeit aufeinanderprallen lassen, um Erkenntnisse über die Entstehung des Weltalls zu bekommen. Kritiker befürchten jedoch, daß sie damit den Weltuntergang heraufbeschwören könnten.

Der Schuß kann auch nach hinten losgehen: Namhafte Physiker befürchten ernsthaft, daß ihre Kollegen vom Brookhaven National Laboratory (BNL) auf Long Island, US-Staat New York, gleichsam die Schöpfung rückgängig machen könnten – bei ihrem Versuch, den Urknall im Labor nachzuahmen. Das Horror-Szenario: Freigesetzte „seltsame Teilchen“ (Strangelets) könnten die Erde in „seltsame Materie“ umwandeln. Womöglich entstünde sogar ein die gesamte Erde verschlingendes Schwarzes Loch.
Das BNL-Team will ab Herbst in einem gigantischen unterirdischen Teilchenbeschleuniger von 1,2 km Durchmesser – dem gerade fertiggestellten „Relativistic Heavy Ion Collider“ (RHIC) – Gold-Ionen mit beinahe Lichtgeschwindigkeit und bislang unerreicht hoher Energie aufeinanderschießen. Beim Zusammenprall erhitzen sich die Gold-Atomkerne auf unvorstellbare Temperaturen, die rund 10 000mal höher sind als in unserer Sonne. Eine solche Höllenhitze hat es seit der Geburt des Universums, also seit dem Urknall vor rund 15 Milliarden Jahren, nicht mehr gegeben, ausgenommen vielleicht im Zentrum von Neutronen-Sternen, den ultrakompakten „Materie-Leichen“ ausgebrannter Sonnen.
Im Inferno der Kollision verwandeln sich die Gold-Atomkerne gleichsam in die „Ursuppe“ des Universums: in ein Plasma aus „Quarks“ und „Gluonen“. Aus diesen Elementarteilchen bestand das Weltall in der ersten zehntelmillionstel Sekunde nach dem Urknall. Danach vereinigten sich die Quarks paarweise zu sogenannten Mesonen, aus denen sich die bis heute stabilen Protonen und Neutronen formten – die Grundbausteine der Atomkerne.
Von den Urknall-Crashs in ihrem gut 1 Mrd. DM teuren Beschleuniger erhoffen sich die Forscher neue Erkenntnisse über die starken Elementarkräfte, die die Quarks und andere Partikel in den Atomkernen aneinander binden. Die Gluonen fungieren dabei als eine Art Klebstoff. Außerdem wollen die Physiker studieren, wie sich aus dem Quark-Gluon-Plasma Teilchen höherer Ordnung formen. Dies gäbe erstmals experimentelle Belege für die bislang nur theoretisch ergründete Frühzeit des Universums: Bis heute ist es in noch keinem Experiment gelungen, ein einzelnes – gleichsam „nacktes“ – Quark zu erzeugen. Denn um Quarks von ihresgleichen und von den klebrigen Gluonen loszueisen, sind, wie jetzt im RHIC-Ring-Experiment, Temperaturen von bis zu einer Milliarde Grad erforderlich.
Heiße Ohren haben die BNL-Physiker schon jetzt: Experimentelles Neuland wird betreten, und niemand weiß genau, was in den Trümmern der Gold-Atomkerne zu finden sein wird. Erhitzte Gemüter gibt es aber auch bei den Anwohnern – nicht nur, weil schlampig gebaute Reaktoren, die den immensen Strombedarf decken, die Gegend schon seit Jahren radioaktiv verseuchen. Der jüngste Aufschrei des Entsetzens erscholl nach einem Artikel in der renommierten Londoner „Sunday Times“ mit dem sensationslüsternen Titel: „Urknall-Maschine könnte die Erde zerstören“.
Anlaß war ein in der Juli-Ausgabe des Fachblatts „Scientific American“ veröffentlichter Brief des Physikers Frank Wilczek von der Princeton University. Er befürchtet, daß bei der Kollision „seltsame Teilchen“ entstehen könnten: Es gibt sechs Varianten von Quarks, und eine davon nennt sich „strange“ (seltsam). Die „strange Quarks“ könnten sich zu langen Ketten, zu „Strangelets“, aneinanderbinden. Und so wie der griechische Sagenkönig Midas alles, was er berührte, zu Gold machte, hätte diese seltsame Materie die Eigenschaft, durch bloßen Kontakt alle andere Materie in ihresgleichen umzuformen. Die ganze Erde würde „umgekrempelt“ – und am Ende womöglich das gesamte Universum.
Wilczeks Brief löste eine Flut besorgter E-mails aus, und die BNL-Leitung sah sich genötigt, einen weiteren Untersuchungsausschuß einzuberufen, um die Bedenken zu zerstreuen. Dies wiederum stellte die Sunday Times – etwas verzerrt – als Selbstzweifel der BNL-Forscher dar. BNL-Direktor John Marburger reagierte sofort. Schon einen Tag später nahm er auf der Internet-Seite des Labors Stellung (www.bnl.gov/bnl.html): Die Weltuntergangs-Szenarien seien „von verantwortungsbewußten Forschern untersucht worden. Sie kamen zu dem Ergebnis, daß keinerlei Chance dafür besteht“. Die Masse der aufeinanderprallenden Atome sei „verschwindend klein“. Das Universum müßte schon ziemlich instabil sein, wenn so wenig Stoß-Energie so große Folgen haben könnte.
Dies bestätigt auch der weltweit führende Strangelet-Experte Robert Jaffe vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) bei Boston, der den neu einberufenen BNL-Untersuchungsausschuß leitet: „Wir glauben, die kosmische Strahlung im Weltraum hat schon alle erdenklichen “Stoß-Experimente“ durchgeführt. Selbst Gold-Gold-Kollisionen dürften sich auf der Mond-Oberfläche in den letzten fünf Milliarden Jahren in hinreichender Zahl ereignet haben, um zu zeigen, daß das RHIC-Experiment sicher ist.“ Dennoch räumt auch er ein: „Das Risiko ist verschwindend klein, aber nicht Null.“

Es wird kein weltverschlingendes Schwarzes Loch entstehen

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„Wir können nicht beweisen, daß nichts passiert“, beschreibt der englische Physiker und RHIC-Experimentator John Nelson das Dilemma der Forscher. Einfacher zurückweisen läßt sich die Befürchtung, bei den Versuchen könnte ein weltverschlingendes Schwarzes Loch entstehen. Dazu reicht die Energie des RHIC-Beschleunigers bei weitem nicht aus, obwohl sie zehnmal höher ist als der bisherige Rekord, der im Genfer CERN erzeugt wurde. Schon für das kleinstmögliche Schwarze Loch – das nicht einmal ein Proton schlucken könnte – wäre mit heutiger Technik ein Beschleuniger von der Größe der Milchstraße erforderlich.
Kassandra-Rufe wie jetzt beim RHIC wurden schon immer laut, wenn bahnbrechende neue Experimente anstanden. Oft kommen sie sogar aus berufenem Munde. So hatte Edward Teller – der Vater der Wasserstoff-Bombe und Mitentwickler der ersten Atombombe – 1942 in Fachkreisen seine Bedenken geäußert, bei einer nuklearen Explosion könne die Erdatmosphäre verbrennen und sämtliches Leben ausgelöscht werden. Doch sein Kollege Enrico Fermi vermochte die Sorgen „wegzurechnen“. Da ihm dabei kein Fehler unterlief, hat die Menschheit den ersten Atombombentest am 16. Juli 1945 in New Mexico heil überstanden.
CLAUS-PETER SESIN
Sternkinderstube: Solche molekularen Wolken sind die möglichen Geburtsstätten von Sternen. Sie im Labor erzeugen zu können, scheint unvorstellbar.
Ein Blick ins Labor der Teilchenforscher: Tief unter der Erde liegt der bisher größte Beschleunigerring der Welt.

 

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