Teuflisches Auge dringt in unbekannte Sphären vor
VDI nachrichten, Mannheim, 9. 12. 05 – Die Hochschule Mannheim baut am größten Teleskop der Welt mit. Die Baden-Württemberger entwickelten Teile von „Lucifer“, einem Infrarotspektroskop, mit dem weit entfernte Infrarotwellen aus dem Weltall eingefangen werden. Lucifer ist an der Fachhochschule keine Eintagsfliege, was Forschungsprojekte betrifft.
Mittagszeit an der Hochschule für Technik und Gestaltung in Mannheim. In der Cafeteria herrscht reges Treiben. In dem weiten Raum, der mit seinen Rohren und Wänden aus Stahl und Beton wie eine moderne Fabrikhalle anmutet, schallt Gelächter. Gesprächsfetzen mischen sich mit dem Geklapper von Tellern und dem Scharren von Stuhlbeinen.
Prof. Peter Weiser vom Institut für Computer Aided Engineering (CAE), Dr. Holger Mandel von der Sternwarte Heidelberg und Diplom-Ingenieur Andreas Seltmann bekommen von dem ohrenbetäubenden Krach nichts mit. Die Wissenschaftler brüten über der Mechanik eines Infrarotspektrographen mit dem diabolischen Namen „Lucifer“. Er wird bald Teil des größten Teleskops der Welt sein, das gerade in Arizona (USA) entsteht. Kernstück des Projektes: Ein 5 cm mal 5 cm großer Matrixchip, der aus 2048 mal 2048 Bildelementen besteht. Der Chip kann Infrarotstrahlen von Objekten aus dem Weltall sichtbar machen, die Milliarden von Lichtjahren entfernt sind. So weit vorzudringen war bisher unmöglich.
Die Hochschule Mannheim arbeitet an der Konstruktion und der Simulation des Gehäuses und der Mechanik mit. Diese sorgt dafür, dass unterschiedlichste Linsen und Objekte in den Lichtstrahl geschwenkt und wieder zurückbewegt werden. Normalerweise ist das kein Problem, wenn da nicht der Chip wäre. Er funktioniert nur bei -200 °C und in luftleerer Umgebung. „Verwertbare Ergebnisse erhalten wir nur, wenn die Mechanik auch unter diesen Bedingungen exakt funktioniert“, sagt Holger Mandel von der Sternwarte Heidelberg. Er leitet das Forschungsprojekt, an dem noch viele andere renommierte Institute beteiligt sind.
Neben Prof. Weiser haben rund 200 Mannheimer Studenten seit Beginn des Projekts geforscht und entwickelt. Diplom-Ingenieur Andreas Seltmann ist einer von ihnen. Er hat in seiner Diplomarbeit eine Finite-Elemente-gestützte Methode entwickelt, mit der man die maximal zulässigen Verformungen der mechanischen Bauteile bei -200 °C und die zu erwartende Bildbewegung auf dem Detektor vorhersagen kann. Seine Methode wurde Grundlage für die Konstruktion.
„Zuerst hat mich die große Verantwortung erschreckt, etwas zu konstruieren, das dann unter extremen Bedingungen zu 100 % funktionieren muss“, erinnert sich Seltmann, „aber dann fand ich die Vorstellung, zur Entwicklung eines Spektrographen beizutragen, der die Wissenschaft voranbringt, faszinierend. Seltmann kam nicht mehr von Lucifer los. Nach seiner Diplom-Prüfung trieb er als Projektingenieur die Entwicklung voran.
Forschungsprojekte wie Lucifer sind für die Fachhochschule nichts Neues. „Wir machen keine flächendeckende Grundlagenforschung, aber in der anwendungsorientierten Forschung sind wir sehr erfolgreich“, sagt Rektor Dietmar von Hoyningen-Huene selbstbewusst. „Unsere Professoren haben aufgrund langjähriger Berufserfahrung in der Wirtschaft ein sehr gutes Gespür für marktfähige Innovationen.“
Die Hochschule Mannheim ist für Forschungen gut gerüstet. So verfügt sie über extrem leistungsfähige Rechner und modernste CAD-Software, mit denen Lucifer in großen Teilen simuliert werden konnte. Diese Ausstattung war ein Grund, weshalb Projektleiter Mandel die Hochschule mit den Arbeiten betraute. „Ausschlaggebend war jedoch das Know-how in der Simulation, die innovative Arbeitsweise und die fundierte Erfahrung in der Automobil- und Feinwerkmechanik, die Professor Weiser und seine Mitarbeiter mitbringen“, berichtet Mandel.
Lucifer nimmt inzwischen Gestalt an. Anfang 2007 wird das Spektroskop am Large Binocular Teleskop in Arizona installiert. Seltmann wird nicht dabei sein. Sein Vertrag als Projektingenieur ist abgelaufen und kann aus verwaltungstechnischen Gründen nicht verlängert werden. Peter Weiser bedauert das zutiefst: „Im Gegensatz zu Universitäten können wir unseren jungen Forschern keine unbefristeten Verträge anbieten. Das ist ein großes Handicap für unseren Nachwuchs und die reibungslose Abwicklung unserer Projekte.“
Lucifer adieu zu sagen, mag sich Seltmann kaum vorstellen. „Ich habe fünf Jahre lang mit und für Lucifer gelebt. Und jetzt werde ich nicht miterleben, wenn die ersten Strahlen aus dem Weltall ausgewertet werden. Das ist bitter.“ RITA SPATSCHEK
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