Stammzellen bekommen Konkurrenz
VDI nachrichten, Kiel, 14. 3. 08, ber – So groß die Hoffnung auf Rettung bei bislang unheilbaren Erkrankungen, so umstritten ist doch immer noch der Weg, dies mit Hilfe von Stammzellen bewerkstelligen zu wollen. Ausgereifte weiße Blutkörperchen, sogenannte Monozyten, aber könnten der Diskussion über Ethik und Moral bald ein Ende setzen. Sie stecken bereits in der klinischen Erprobung.
Unsere Zellen besitzen Stammzelleigenschaften ohne deren Risiken oder ethische Probleme – und sie sind zur Diagnose genauso einsetzbar wie zur Therapie“, gab Blasticon-Geschäftsführer Dr. Wolfgang Tinhof vergangene Woche stolz bekannt. Die Blasticon Biotechnologische Forschung GmbH in Kiel gewinnt ausgereifte weiße Blutkörperchen, sogenannte Monozyten, aus dem Blut und verleiht ihnen im Reagenzglas Eigenschaften, die bislang den Stammzellen vorbehalten waren. Erprobt werden die Zellen derzeit an den Universitäten in Hannover, Kiel, Konstanz, München und Regensburg.
„Wir stehen mit unseren Produkten an der Schwelle zur Marktreife“, erklärte Tinhof. Akute Toxizitätstests, wie sie etwa die neue europäische Chemikalienverordnung Reach fordert, lassen sich mit solchen Zellen durchführen. Ein Diagnostiksystem käme noch in diesem Jahr auf den Markt, so der promovierte Chemiker.
Mittelfristig wolle man mit Hilfe von Monozyten Therapeutika für Herzinfarkt, Leberzirrhose, Rheuma oder Diabetes bereitstellen. Langfristig hingegen, also jenseits von fünf Jahren, rechne man mit der Marktreife von Therapeutika gegen degenerative Hirnerkrankungen wie Alzheimer sowie gegen Hepatitis, sagte Tinhof.
„Wir benötigen künftig eine individualisierte Medizin, etwa wenn Patienten an mehreren Stoffwechselerkrankungen zugleich leiden. Hier hat die Zelltherapie eindeutige Vorteile“, erläuterte Prof. Fred Fändrich vom Universitätsklinikum in Kiel, der zugleich Forschungschef bei dem Kieler Biotech-Unternehmen ist.
Blasticon gewinnt hierfür weiße Blutkörperchen direkt aus dem Blut der Patienten. Diese Monozyten können in pluripotente (zu vielen Zelltypen ausdifferenzierbare) Zellen zunächst zurückgeführt werden, die in ihren Eigenschaften Stammzellen recht ähnlich sind. Mit entsprechenden Wachstumsfaktoren angezüchtet, können sie sich in die verschiedensten Gewebetypen ausdifferenzieren und noch bis zu fünfmal teilen. Am 5. Tag nach der Blutentnahme beginnt bereits die Zellernte.
„Wir erhalten so bis zu einer Million Zellen mit den gewünschten Eigenschaften, die wir dann dem Patienten zurückspritzen“, erklärte Fändrich. Eine solche Menge an Zellmaterial könne die Stammzellzüchtung niemals so schnell liefern.
Aus den Vorläuferzellen des Blutes entwickelt das Biotech-Unternehmen verschiedenen Subtypen, die etwa für Immuntoleranz sorgen eine Untergruppe davon könnte bei Autoimmunerkrankungen wie chronisch entzündlichen Darm- und Lebererkrankungen, bei Rheuma oder Typ-1-Diabetes eingesetzt werden, eine andere soll bei Transplantationen die Organabstoßung verhindern.
Eine weitere Zelllinie aus Kiel wird zu therapeutischen Zwecken etwa in Leber-, Muskel- oder Inselzellen der Bauchspeicheldrüse umprogrammiert.
Kurz vor der Markteinführung steht die diagnostische Anwendung von In-vitro-Toxizitätstests, die mit leberähnlichen Zellen des Menschen arbeiten. Der Biochemiker Prof. Albrecht Wendel hat sie an der Uni Konstanz bereits unter die Lupe genommen.
„Gemäß Chemikalienverordnung Reach müssen rund 30 000 Verbindungen neu getestet werden. Das ist zeitaufwändig und teuer – und im Tierversuch wären dafür rund 45 Mio. Tiere nötig“, erläuterte Wendel die Grenzen.
„Der Mensch aber ist nun mal keine 70 kg schwere Ratte“, schmunzelt der Biochemiker. Drum wären Testsysteme, die mit menschlichen Zellen arbeiteten, unverzichtbar.
„Mit dem Diagnosesystem von Blasticon ließen sich die Prüfverfahren der EU standardisieren und sogar auf Robotersysteme übertragen, um im Highthroughput-Screening große Substanzmengen gleichzeitig verarbeiten zu können, so Wendel. Die Tests hätten gute Aussichten, die erste validierte Methode auf Basis von Leberzellen in der Europäischen Union zu werden.
Zur aktuellen politischen Diskussion über den Einsatz von Stammzellen sagte Fändrich: „Embryonale Stammzellen sind notwendig, damit wir die Programmierbarkeit von Zellen noch besser zu verstehen lernen. Ich persönlich halte nur nichts vom Einsatz embryonaler Zellen für die klinische Anwendung.“ BETTINA RECKTER
„Der Mensch ist keine 70 kg schwere Ratte“
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