Rasterfahndung nach einem Atom-Endlager
Gebiete ohne bedeutende Wasserbewegungen sind als Standort für ein Atommüll-Endlager geeignet.
Energiegewinnung und Endlagersuche – für Prof. Christoph Clauser, der an der Technischen Hochschule Aachen Untersuchungen zur Erdwärme leitet, sind das keine völlig verschiedenen Themen. Denn der Schlüssel zur Lösung beider Fragen liegt für den Geophysiker und seine Mitarbeiter in der Auswertung von 10 000 Bohrungen, deren Daten beim Institut für Geowissenschaftliche Gemeinschaftsaufgaben (GGA) in Hannover elektronisch archiviert sind. Sie wurden in den vergangenen Jahrzehnten in ganz Deutschland abgeteuft und enthalten einen wertvollen Schatz: Messungen über die Temperaturen im Untergrund.
Damit wollen die Geophysiker neue Gebiete für die Gewinnung geothermischer Energie bestimmen. Von größerer politischer Bedeutung ist aber ein anderes Ziel: Mit diesen Daten können Gebiete definiert werden, in denen kaum Wasser durch den Untergrund strömt. Genau solche Schichten sind es, die zur Endlagerung von radioaktivem Müll geeignet wären.
Erste Ergebnisse stellten die Forscher vergangene Woche auf der Tagung der Deutschen Geophysikalischen Gesellschaft in Frankfurt vor. Bis Jahresende wollen sie den Nachweis antreten, dass sie mit den Informationen aus der GGA-Datenbank Wasserbewegungen in 500 m bis 1200 m Tiefe präzise bestimmen können. Diese Tiefen kommen für ein Endlager in Frage, weil sie einerseits in beträchtlicher Entfernung zur Biosphäre liegen, andererseits größere Tiefen nur mit enormem finanziellen und technischen Aufwand erschlossen werden könnten.
Zur Zeit untersuchen die Geophysiker die Aussagenkraft der Daten über mehrere Regionen Deutschlands. Ihr Ziel: Bundesumweltminister Jürgen Trittin will in den folgenden Jahren Suchmethoden für einen Endlager-Standort entwickeln lassen – die Aachener Geophysiker hoffen, mit ihrer Methode dabei zu sein.
Dazu wollen sie die Temperatur-Datenbank auswerten, die für jede Bohrung nicht nur einen einzigen Messwert zur Wärme in der Tiefe liefert. Beim Ablassen einer Temperatursonde ins Bohrloch wird kontinuierlich gemessen, so dass die Forscher sogar Temperaturänderungen im Zentimeterbereich erkennen können. Eine 1000 m tiefe Bohrung liefert mehr als 30 000 Einzelwerte zur Temperaturverteilung in der Erdkruste. Die Daten zeigen, dass das Erdreich unter Deutschland nicht überall gleich warm ist.Die Erdkruste ist unterschiedlich dick und ihr Gestein erzeugt durch den Zerfall natürlicher radioaktiver Isotope unterschiedlich viel Wärme. So misst die Erdkruste in den Alpen an manchen Stellen mehr als 50 km und ist entsprechend kühl, im Oberrheingraben sind es nur 25 km: Dort ist es 100 m unter Mannheim und Landau mehr als 70 °C warm.
Von großem Interesse ist für die Forscher ein zweiter Faktor: Die Durchlässigkeit des Gesteins. So ragen im Untergrund Norddeutschlands zahlreiche Salzstöcke in die Kalk-, Sand- und Tonschichten hinein und verändern die Permeabilität der wasserführenden Schichten schon auf kurzen Distanzen. Derzeit untersuchen die Aachener einen Sandstein, der in Niedersachsen, Mecklenburg und Brandenburg weit verbreitet ist und hervorragend für die Gewinnung geothermischer Energie geeignet wäre. Das Problem: In manchen Regionen ist die Durchlässigkeit gut, in anderen dagegen nicht.
Der Grund dafür liegt in einem Mineral mit dem Namen Anhydrit. Roland Wagner, der in Clausers Arbeitsgruppe die Untersuchungen am Räth-Sandstein durchführt: „Anhydrit ist bei hohen Temperaturen in Wasser schlechter löslich als bei tiefen Temperaturen.“ In den kalten Bereichen der norddeutschen Salzstöcke wird das Mineral gelöst und mit dem Grundwasser in größere Tiefen mit höheren Temperaturen transportiert, wo es an den Quarzkörnern ausfällt und die Durchlässigkeit verringert.
Was sich als Nachteil für die Gewinnung geothermischer Energie herausstellt, kann ein Glücksfall bei der Suche nach einem geeigneten Standort für ein Endlager sein, denn hierfür werden Schichten mit geringer Durchlässigkeit gesucht.
Aus den Temperaturwerten der Bohrlöcher wollen die Forscher nun die Grundwasserströmungen in verschiedenen Tiefen berechnen.
Schon jetzt zeigen die Ergebnisse der geothermischen Rasteranalyse, dass Teile des norddeutschen Flachlands, des Oberrheingrabens und des Alpenvorlands für die Energiegewinnung aus heißem Tiefenwasser in Frage kommen, dagegen als Standorte für ein Atommüllendlager ausscheiden. Welche Regionen dagegen als sichere Endlagerstandorte gelten, darüber schweigen sich die Wissenschaftler aus. HOLGER WÜSTEFELD
Die mathematische Spur tiefer Grundwasserströme
Um tiefe Grundwasserströmungen zu erkennen, nutzen die Geophysiker aus Aachen und Hannover komplexe Rechenmodelle. Den Ausgangspunkt bildet ein einfacher Entwurf der oberen Erdkruste: Sie besteht aus einem einheitlichen Baumaterial, das an seiner Oberfläche eine konstante Temperatur besitzt und an seiner Unterkante einem einheitlichem Wärmestrom ausgesetzt ist. Für dieses Szenario ergibt sich ein gleichmäßiger Anstieg der Temperatur mit zunehmender Tiefe. Die Bohrlochmessungen zeigen jedoch, dass dieses Modell durch zahlreiche Einflüsse verändert wird. So leiten zum Beispiel die zahlreichen Gesteinsschichten in der Erdkruste die Wärme unterschiedlich gut. Selbst innerhalb einer Schicht kann Wärme in verschiedene Richtungen ungleichmäßig weitergeleitet werden. Klüfte im Gestein brechen zudem den vertikalen Wärmestrom. Erst wenn eine beträchtliche Anzahl weiterer Faktoren eingerechnet und mit den Messdaten abgeglichen ist, können die Forscher auf horizontale Wärmetransporte durch Grundwasserströme schließen. Genau solche Gebiete wollen Politiker und Forscher für einen Endlagerstandort ausschließen, um über hunderttausende von Jahren einen Transport von Radionukliden aus dem Endlager in die Umwelt auszuschließen. hw
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