Metalle mit gutem Gedächtnis
Formgedächtnislegierungen verwandeln durch Temperaturänderung wiederholt ihre Form. Winzige Teile aus diesen Legierungen können große Kräfte ausüben und sind daher ideal für die Mikrosystemtechnik. Laserexperten in Hannover wollen das „Gedächtnis“ solcher Legierungen schärfen.
Bestimmte Metalllegierungen können je nach Temperatur ihre Form in einer reproduzierbaren Art und Weise ändern. Diese so genannten Formgedächtnislegierungen („memory alloy“) nehmen normalerweise nur eine einzelne vorgegebene Form an, bei Temperaturerhöhung gehen sie in die ursprüngliche Form zurück. Durch spezielle „Trainungsmethoden“ gelingt es, dass Metallstücke zwischen zwei fest definierten Formen wechseln. Wissenschaftler des Laser Zentrums Hannover gelang es, diesen so genannten Zweiwegeffekt mit Lasern zu erzeugen.
Bislang werden diese „intelligenten“ Metalllegierungen kaum angewendet. Das Problem: Die Fähigkeit, sich an zwei Strukturen zu erinnern, muss den Bauteilen mechanisch vermittelt werden. Die einzelnen Schritte werden dabei ober- und unterhalb einer bestimmten Umwandlungstemperatur durchgeführt. Dazu wird das Material wiederholt erwärmt, in die gewünschte Form gebogen, wieder abgekühlt und zurückgebogen. Die Gitterebenen innerhalb des Metalls gleiten beim Biegen aneinander vorbei und ordnen sich in energetisch günstigen Strukturen an. Allerdings verrutschen die Ebenen nur so weit, bis sie auf einen Fehler im Material treffen. Diese störende Stelle verhindert ein Weitergleiten und die Atomschichten stauen sich. Ist der Stau an der Oberfläche – beispielsweise eines Bleches – angekommen, bricht das Teil durch.
Durch das mechanische Training wird das Material also stark vorbelastet und kann daher die eingeprägte Bewegung herkömmlicherweise nur etwa 100-mal ausführen. Zudem ist der Prozess langwierig und der Aufwand für gerade einmal 100 Anwendungen hoch. „Wir versprechen uns von der Lasertechnik, die Anzahl dieser thermischen Zyklen heraufzusetzen“, so Projektleiter Stefan Paschko. „Wir wollen mindestens 1000 Zyklen mit einem Bauteil erreichen.“
Mit dem Laser werden die Formen einmal vorgegeben. Die Ingenieure erwärmen das Bauteil an der Stelle, an der es einen Knick bekommen soll, mit Laserpulsen. Dazu spannen sie 50 mm dünne Nickel-Titan-Folien ein und bestrahlen sie mit einem Excimerlaser im Wellenlängenbereich zwischen 150 nm und 350 nm senkrecht zur Oberfläche. Eine Zylinderoptik formt den Laserstrahl zu einem Linienfokus, so dass ein Puls die gesamte Folienbreite abdeckt. Die Pulse dauern nur wenige Nanosekunden und erhitzen schlagartig die Oberfläche der Folie. Der kleine Fleck aus heißem Metall hat in seiner kalten Umgebung keine Möglichkeit, sich auszudehnen, das Material wird gestaucht und übt Druck auf die Umgebung aus. Beim Abkühlen zieht es sich zusammen und die ehemals gerade Folie knickt an der bestrahlten Stelle ein. Wird das gesamte Stück erwärmt, „erinnert“ sich das Bauteil an die ursprüngliche Form und drückt sich wieder gerade.
Mit dieser Technik verformen die Ingenieure nicht die gesamte Gitterstruktur der Folie, sondern lassen das Material entscheiden, welchen Weg seine Atome innerhalb der Legierung gehen. Staus an Fehlstellen sind damit nicht schon durch die Trainingstechnik vorprogrammiert und die Bauteile können erheblich mehr Verformungszyklen durchlaufen, ohne zu ermüden.
In der Mikrosystemtechnik erfüllen Formgedächtnislegierungen gleich zwei Aufgaben: Sie arbeiten als Sensor und Aktor. So spricht das Bauteil bei einer bestimmten Temperatur an und kann als Reaktion auf das Signal einen Schalter umlegen. Aber auch in großen Systemen übernehmen sie Aufgaben. Sie eignen sich beispielsweise dazu, den Schaltwiderstand in Autos konstant zu halten. Mit einer Feder aus der Speziallegierung lässt sich das Fahrzeug dann im kalten Zustand weich schalten.
Für den technischen Einsatz kommen nur wenige Legierungsarten in Frage. Die üblichen Nickel-Titan Mischungen sind am weitesten verbreitet. Sie eignen sich für Bauteile in der Mikrosystemtechnik besonders, da ihre Umwandlungstemperaturen zwischen -80 und 120 °C liegen. Das exakte Mischungsverhältnis der Metalle bestimmt den Punkt der Umwandlung. Allerdings ist beim Mischen Vorsicht geboten, denn ein Unterschied von 0,1 % in der Zusammensetzung verschiebt den Umwandlungspunkt des Gedächtniseffektes um 10°C. Um das Formgedächtnis-Bauteil umzuschalten, schicken die Wissenschaftler einfach Strom durch das Metall. Dieser induziert Wärme, und nach dem Überschreiten der Umwandlungstemperatur legt sich der Schalter um.
Es ist nicht nur schwierig, diese Legierungen zu trainieren, sondern auch zu bearbeiten. Denn beim mechanischen Fräsen, Sägen oder auch Schneiden mit herkömmlichen Lasern, wird das Werkstück warm und der Formgedächtniseffekt gestört. Aber auch für dieses Problem haben die Hannoveraner eine Lösung: Sie tragen das Metall mit einem Ultrakurzpuls-Titan-Saphir-Laser ab. „Mit diesen Lasern kann man Materialien bearbeiten, ohne dass sie das merken“, erklärt Paschko. Die Pulse sind nur etwa 150 billiardstel Sekunden lang. Der Laserstrahl wird dabei so kurz auf die Oberfläche geschleudert, dass das Metall abgetragen wird, bevor die Energie in das Bauteil eindringen und es erwärmen kann. Der kalte Laserstrahl nimmt dadurch keinerlei Einfluss auf das Gedächtnis des Werkstückes.
Zunächst haben die Forscher nur kleine Löcher in feine Drähte gebohrt, aber inzwischen schneiden sie filigrane Aktoren aus Nickel-Titan-Folien. Für das Institut für Mikrotechnologie in Braunschweig haben sie 50 mm dicke und nicht einmal 2 mm breite Streifen geschnitten, die Muskelfasern nachahmen. Gebündelt simulieren sie einen ganzen Muskel und können beispielsweise Roboterarme in der Medizintechnik steuern. Die Bearbeitung mit dem Femtosekundenlaser ist allerdings noch keine industriereife Anwendung. Das liegt daran, dass die Bearbeitungszeiten noch lang sind und nur wenig Material mit den einzelnen Pulsen abgetragen wird. JO SCHILLING
Filigrane Aktoren aus Nickel-Titan-Folie, beispielsweise für die Entwicklung künstlicher Muskeln, können mit ultrakurzen Laserpulsen geschnitten werden und behalten durch die geringe Temperaturbelastung ihren Gedächtniseffekt.
Superdünne Drähte aus einer Formgedächtnislegierung sind ein nützliches Werkzeug beispielsweise für die Endoskopie. Die Drähte sind im Körper extrem biegsam und finden immer wieder in die Ausgangsform zurück. Durch Bearbeitung mit dem Laser können leicht lösbare Clipverbindungen eingearbeitet werden.
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