Ingenieure entwickeln einen „mitfühlenden“ Stuhl
Da sollen Mitarbeiter durch einen Vortrag in Arbeitsschutzmaßnahmen eingewiesen, eine organisatorische Veränderung erläutert oder die strategische Stoßrichtung vorgegeben werden. Doch viele Zuhörer rutschen schnell gelangweilt auf ihren Stühlen herum. Don“t panic, es gibt technische Hilfsmittel, doch viele sind noch im Forschungsstadium.
Eines dieser Produkte ist der Aware Chair, den das Fraunhofer-Institut für graphische Datenverarbeitung in Darmstadt im Frühjahr auf der CeBIT vorgestellt hat. Mit Hilfe von Sensoren beobachtet diese außergewöhnlich Sitzgelegenheit die Bewegungen ihres Be-Sitzers und analysiert, ob der Zuschauer müde oder aufmerksam, gelangweilt oder nervös ist: „Von neun möglichen Körpersprachen kann der Stuhl acht in mehr als 90 % der Fälle richtig erkennen“, erklärt Ali Nazari, der den Aware Chair entwickelt hat.
Doch der „mitfühlende“ Stuhl ist nur ein kleines Rad im Zusammenspiel unterschiedlichster „intelligenter“ Möbelstücke und Geräte: Der „intelligente Teppich“ etwa analysiert Fußtrittfolgen, wenn man auf ihm geht, und kann so die Bewegung – vor allem des Referenten – im Raum erkennen und adäquat darauf reagieren. Oder der Aware Chair gleicht die Information „Der Vortragende hat sich hingesetzt“ mit dessen elektronischem Kalender ab und startet automatisch die vorbereitete Präsentation auf der nächstgelegenen Projektionsfläche.
Das Szenario eines vollautomatisierten Vortragsraums, in dem neben intelligenten Möbelstücken auch Energie, Air Condition, Lampe, Beamer, Jalousie und internetgesteuerter Fernseher miteinander kommunizieren und so dem Redner alle nicht unmittelbar auf den Inhalt seiner Präsentation bezogenen Aufgaben abnehmen, ist im Darmstädter Fraunhofer-Institut bereits lauffähig.
Ali Nazari betont allerdings, dass die vor dem Hintergrund des Ambiente Intelligence-Paradigmas – die Technik soll sich nach ihren Nutzern richten und nicht umgekehrt – entwickelten Hilfen für Präsentationen aus rechtlichen Gründen nur der Schulung von Vortragenden dienen kann. Denn kein Zuhörer darf – etwa im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses – auf den Aware Chair gezwungen werden. Mit einem Publikum aus freiwilligen Probanden könnten Personalentwickler, Führungskräfte und Dozenten sich aber trotzdem für den Ernstfall fit machen, damit ihre Botschaft besser verstanden wird.
Eine gezielte Verbesserung des Vortragsstils hat auch das an der österreichischen Fachhochschule Joanneum Graz entwickelte Werkzeug Speaky zum Ziel. Die von Studenten erdachte Multimediale Redneranalyse will den „blinden Fleck“ von Dozenten zumindest verkleinern, wenn nicht beseitigen: Mit Hilfe von Bewegungs-, Audio- und Folienanalyse und der Visualisierung von Auffälligkeiten soll der Vortragende seine eigenen Schwächen aufdecken und an ihrer Beseitigung arbeiten können. So wird z. B. erkennbar, wenn der Dozierende ständig nur von rechts nach links läuft, ob er sich einen Platz weit weg vom Publikum gewählt hat oder immer nur auf einem Fleck sitzt.
Durch die Aufzeichnung und Messung der Lautstärke über den ganzen Vortrag hinweg, wird deutlich, ob und wann der Redner die Stimme senkt – möglicherweise ein Hinweis auf inhaltliche Unsicherheiten an dieser Stelle. Speaky – das den drei Studenten Roland Galler, Wolfgang Bergthaler und Robert Strohmaier sowie ihren Betreuern Alexander K. Nischelwitzer und Gerhard Sprung 2005 auf der Learntec in Karlsruhe den Multimedia-Transfer-Preis eingebracht hat – analysiert auch, wie häufig Folien ausgetauscht werden und ob jede einzelne Seite eine angemessene Zahl von Wörtern enthält.
Normwerte – etwa eine Unter- und Obergrenze für die Bewegung während des Vortrags, Lautstärke oder die Häufigkeit eines Folienwechsels – haben die Entwickler Speaky aber bewusst nicht mitgegeben: „Wir sehen unser Tool nur als Mittel, sich seinen Vortragsstil aufzeigen zu lassen. Wir wollten den Nutzern die Arbeit nachzudenken nicht abnehmen, damit Speaky vielseitig einsetzbar ist. Denn eine Präsentation stellt ja je nach Gruppengröße, Thema und Ziel jeweils ganz andere Anforderungen“, erläutert Strohmaier – heute nicht mehr Student, sondern wissenschaftlicher Mitarbeiter am Joanneum in Graz.
Mit einer Art „Quiz-Didaktik“ wollen sich Professoren der Universitäten in Würzburg und Mannheim die Aufmerksamkeit ihrer Zuhörer sichern. Ping-Pong (für: Prüfung des inhaltlichen Grundverständnisses in problemorientierten Netzwerkgemeinschaften) nennt sich die Hard- und Software-Umgebung, die an der Universität Würzburg seit dem Sommersemester 2005 eingesetzt wird. Mehrmals pro Vorlesung wirft der Dozent vorher formulierte Fragen an die Wand, die von den Studenten über ihre – teilweise ausgeliehenen – Rechner beantwortet werden. Nach der Veranstaltung kann der Hochschullehrer dieses Feedback mithilfe einer statistischen Auswertung analysieren und so Themenbereiche identifizieren, die noch nicht richtig verstanden wurden oder die schon als Vorwissen vorhanden sind.
Jürgen Helmerich, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für BWL und Wirtschaftsinformatik der Würzburger Uni, räumt allerdings ein, dass ein direkter Erfolg – etwa in Form verbesserter Prüfungsergebnisse „nicht ins Auge sticht“. Auch das eigentliche Ziel – die Verbesserung der Interaktion zwischen Studierenden und Lehrkräften in Form häufigerer oder qualitativ besserer Fragen in Massenveranstaltungen mit mehr als 40 bis 50 Zuhörern – ist laut Helmerich nicht erreicht worden.
Prinzipiell, so Helmerich, sei ein Einsatz von Ping-Pong – beispielsweise bei Mitarbeiterversammlungen oder zur Vorbereitung unternehmerischer Entscheidungen – auch in Unternehmen denkbar: „Es geht ja nicht darum, wer zuhört, sondern wie groß die Zahl der Teilnehmer ist.“ Wer Ping-Pong im Unternehmen als Instrument der Mitarbeiterführung und -information einsetzen will, muss sich allerdings im Klaren sein, ob er ein ehrliches, ungefiltertes Feedback provozieren will, denn Ping-Pong ist im Kern ein Voting-System, das die Antworten anonymisiert zusammenfasst.
Sorgfältig evaluiert und für gut befunden haben der Mannheimer Psychologie-Professor Manfred Hofer und sein Kollege Wolfgang Effelsberg von der Fakultät für Mathematik und Informatik ihr WIL/MA (für: Wireless Interactive Learning in Mannheim) genanntes System, das seit dem Wintersemester 2001/2002 bei Studenten einen „Hallo-Wach“-Effekt verursacht. Messungen direkt am Ende der Vorlesungszeit und einen Monat danach zeigten, dass die Akzeptanz für die Methode hoch und der Lernerfolg besser sei als bei konventionellen Vorlesungen, so die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie, Anja Wessels.
Wer die Qualität seiner Vorträge mit Hilfe von Speaky oder von Feedback-Techniken steigern will, wird allerdings zunächst mehr Vorbereitungszeit brauchen: „Am aufwändigsten hat sich die Konstruktion der Quizfragen gestaltet“, betont Wessels, und ein geübter Redner, der sich mit „Speaky“ auf seinen Vortrag vorbereiten will, „braucht zirka anderthalb bis zweimal so lange wie die Präsentation dauert“, um an seinem Auftritt als Redner zu feilen, schätzt Robert Strohmaier. DAGMAR HESS
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