„Ich muss wohl schon so geboren sein“
Beim Wettbewerb „Jugend forscht“ war er jahrelang auf Siege im Fachgebiet Technik abonniert. Jetzt könnte der junge Erfinder in die Vollen gehen – wenn da nicht noch ein Studium zu erledigen wäre.
Erfinderland: Eine hübsche Wohngegend mit kleinen Einfamilienhäusern in gepflegten Gärtchen, im Westen von Ludwigsburg, nicht weit von Stuttgart. Der Erfinder selbst steht in der Tür seines Elternhauses, braun gebrannt mit strahlendem Lächeln, in Shorts und T-Shirt: Karsten Weiß, Maschinenbaustudent im zweiten Semester, einer von dem alle sagen, er kommt mal groß raus.
Gerade 22 geworden, begrüßt er den Besucher, und eins ist sofort klar – er macht es nicht zum ersten Mal. Über eine steile Treppe geht’s hinauf in sein Arbeitszimmer unterm Dach, er weiß, was Journalisten sehen wollen.
Aufgeräumt sieht es hier aus, Getränke und Gläser stehen bereit. Auf dem Schreibtisch thront ein Computer. Die Wände sind vollgehängt mit Urkunden, Fotos und Erinnerungsstücken an die Siege bei „Jugend forscht“. Und das sind nicht wenige.
Prunkstück aber ist die Vitrine mit seinen Erfindungen: Weiß‘ erster Roboter aus dem Jahr 1994 – eine Mischung aus Spielzeugauto, Laubsägearbeit und Hightech. Gleich in mehreren Ausführungen daneben die „künstliche Haut“, die ein wenig wie ein mit Sensoren bestücktes Stück Packpapier aussieht. Und natürlich die „Digikuh“, eine Zitze aus Kunststoff, mit der er vor zwei Jahren Bundessieger von Jugend forscht wurde.
Nur Weiß‘ neueste Arbeit, der Tauchroboter „Iris“, ist zu groß für die Vitrine. Er holt ihn aus einem kleinen Zimmer nebenan, signalisiert zugleich eine gewisse Unzufriedenheit. „Noch modularer“ muss der Tauchroboter werden, die Bedieneinheit kleiner und in einem Notebook verschwinden. Auch die Glasfaserverbindung, die die Video- und Steuerungsdaten übermitteln soll, „ist noch nicht fertig“. Wenn er fachsimpelt, ist er in seinem Element, redet wie ein Wasserfall.
Einsilbiger wird er, wenn es um seine Biographie geht. Denn so ein Wunderkind-Image kann offenbar ganz schön lästig sein: vier erfolgreiche Teilnahmen beim Wettbewerb Jugend forscht, darunter ein Bundessieg. Zweiter Preis beim „10th European Union Contest for Young Scientists“ in Portugal. Etliche Sonderpreise, Forschungsstipendien, Studienreisen, drei Patente angemeldet, eines davon international.
Und, wenn man so will, schon vier Jahre Berufserfahrung – als freier Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart.
Stress kennt er nicht, jedenfalls lässt er sich nichts anmerken. „Ich habe ein praktisches Interesse an Technik“, sagte er, „ich muss wohl schon so geboren worden sein.“
Dem jungen Erfinder reichten als Kind Elektronikbaukästen bald nicht mehr aus, „da waren ja nur fertige Schaltungen drin“, und zum Leidwesen seiner Eltern war bald keine Kaffeemaschine mehr vor ihm sicher. Im Hobbykeller türmten sich Fischer-Technik-Bauteile, dazu legte er sich eine Sammlung von brauchbarem Sperrmüll an.
Die Eltern, beide aus kaufmännischen Berufen, nahmen es gelassen, unterstützten das Hobby ihres einzigen Sohnes. So lange Karsten noch keinen Führerschein hatte, chauffierten sie ihn zu den Wettbewerben, verpackten seine Ausstellungsstücke, erinnerten ihn zwischendurch an die Schulpflichten. „Er hat uns ganz schön auf Trab gehalten“, sagt seine Mutter.
Seinen ersten Computer bekam Karsten mit 13. Zwei Jahre später baute er mit einem gleichaltrigen Kumpel seinen ersten Roboter, „Memo 2000“, eine rollende Plattform mit Messfühlern, gedacht für den Einsatz in gefährlicher Umgebung. Beim Junioren-Wettbewerb von Jugend forscht gewann Weiß damit eine Forschungspatenschaft der Robert Bosch GmbH in Stuttgart. Dort nahmen ihn erfahrene Ausbilder, Mechaniker und Elektroniker unter die Fittiche.
Und dort kam er auch auf ein neues Forschungsthema: die künstliche Haut. Weiß wünschte sich, ein Roboter könnte aus seinen mehr oder weniger heftigen Umwelt-Berührungen „so viel Information wie möglich herausholen“ – so wie ein Mensch über seine empfindsame Haut.
Getreu der heimischen Sperrmüll-Tradition fand er rasch das passende Material: preiswerte Schaumstoffe, die elektrisch leitfähig sind und normalerweise zur Verpackung von elektronischen Chips und Speichermodulen benutzt werden. Er koppelte sie mit Elektroden und konnte so die Kräfte, die auf die Schaumstoffe wirkten, millimetergenau messen und am Computer-Bildschirm sichtbar machen.
„Soll ich das mal demonstrieren?“ sprudelt Karsten Weiß, wirft seinen Computer an, schließt in Windeseile Kabel und Zubehör an – und das Ding funktioniert. Ganz genau kann man am Farbum-schlag von blau zu rot erkennen, an welcher Stelle wie heftig das 9 cm x 9 cm große Kunststoff-Rechteck gedrückt wird.
Diese „Drucksensor-Arrays auf Basis leitfähiger Schaumstoffe“ brachten ihm 1997 einen dritten Platz im Bundeswettbewerb Jugend forscht ein – und den Sonderpreis des Generalinspekteurs der Bundeswehr.
Da meldete Weiß vorsichtshalber seine Erfindung zum Patent an; wer weiß, was noch alles möglich ist: taktile Greifer, die ein rohes Ei in einer künstlichen Hand balancieren können, Kehrmaschinen, die sich mit sanftem Drängeln durch eine Menschenmenge schieben, ein Roboter, der eine Türklinke öffnen kann…
Aber es kam noch besser. Eines Tages klingelte das Telefon, ein Dr. Spohr vom Stuttgarter Eutergesundheitsdienst. Er wollte mit Weiß‘ Drucksensoren die Massagebewegungen einer Melkmaschine messen. Denn eine Melkmaschine erzeugt Unterdruck, der die Milch aus dem Euter zieht. Dabei fließt jedoch auch Blut in die Zitzenspitzen, das durch Massagebewegungen zurückbewegt werden muss. Klappt das nicht, entzündet sich der Euter der Kuh. Da wäre es doch gut, wenn man messen könnte, wo, wann und wie stark das Gummi die Zitze berührt, so Spohr und schenkte Weiß zum Üben eine schon etwas betagte Melkmaschine.
Weiß war schnell klar, dass eine künstliche Zitze her musste, eine längliche 3D-Version seiner künstlichen Haut – die Digikuh war geboren. 1998 sicherte sie ihrem Erfinder bei Jungend forscht den Bundessieg in der Sparte Technik. Und nicht nur das: Der größte Hersteller von Melkmaschinen in Deutschland schloss mit ihm einen Lizenzvertrag und meldete die Digikuh international zum Patent an.
Doch das ist schon fast wieder Geschichte. Zusammen mit seiner Mutter schleppt Karsten Weiß jetzt den Tauchroboter Iris in den Hobbykeller, ein Notebook, Werkzeug, ein paar Konstruktionszeichnungen. Denn an dem Tauchroboter, den der junge Erfinder zusammen mit dem Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung bei der Hannover Messe präsentiert hat, wird noch gearbeitet.
Nebenan in der Waschküche erinnert sich seine Mutter an die vergangenen Weihnachtsferien: „Da hat Karsten sich von der Feuerwehr ein Faltbecken ausgeliehen und es mit 1800 Litern Wasser gefüllt, um den Tauchroboter auszuprobieren.“ Das aus Plastikfolie zusammengeschweißte Becken füllte fast den ganzen Raum aus, „und mit der Zeit wurde es unten immer breiter. Ich fürchtete schon, dass es platzt und wir alle nasse Füße bekommen“. Doch alles ging gut.
Im Moment aber hat Karsten Weiß nur selten Zeit für seinen Tauch-Roboter. Als Zweit-Semester schwitzt er in Mathe-Klausuren. Aber für die Sommerferien schmiedet er schon wieder neue Pläne – dann will er Iris in einem Schwimmbad tauchen lassen. „Letzten Sommer habe ich’s zusammen mit meiner Freundin in einem See im Allgäu versucht. Aber da war es so schlammig, dass ich die Roboterteile stundenlang putzen musste. Es war eine Riesensauerei.“ Erfinderpech. JUDITH RAUCH
Der Erfinder und eine Bewunderin: Karsten Weiß und Forschungsministerin Edelgard Bulmahn.
Iris, der Unterwasserroboter (oben) muss derzeit etwas hinten anstehen, weil Karsten Weiß sich vor allem auf sein Studium konzentrieren will. Foto(2): Sabine Braun Glückliche Kühe danken es ihm: Feldversuch mit der Digikuh. Mit ihr lässt sich jetzt objektiv feststellen, was unsere Kühe an ihren Melkmaschinen so alles auszuhalten haben.
Tauchroboter
Autonomer Inspektionsroboter
Hinter dem Kürzel „Iris“ (Inspection Robot for various Services) verbirgt sich ein kleiner, wendiger Roboter, der sich unter Wasser sowohl kabelgesteuert als auch völlig autonom bewegen kann. Er ist für die Inspektion von Lagertanks und kerntechnischen Anlagen geeignet, aber auch für die Kontrolle von Schiffsrümpfen, Trinkwasser-Versorgungsleitungen oder Pipelines. Karsten Weiß hat sich für Iris ein neuartiges Antriebskonzept ausgedacht: Vier voneinander unabhängig ansteuerbare Motoren sorgen dafür, dass Iris in alle drei Raumrichtungen navigieren kann. Ein computergesteuertes Trimmsystem hält den Tauchroboter in der Schwebe, unter einer Plexiglaskuppel befindet sich eine schwenk- und zoombare Kamera. Ihre Bilddaten können per Ultraschall übermittelt oder direkt im bordeigenen Computer verarbeitet werden. Iris bringt auch eine energiesparende Kaltlichtquelle mit, deren Wellenlänge auf das Absorptions-Spektrum des Wassers abgestimmt ist. jr
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