Hightech-Offensive für transparenten Werkstoff
Seit über 5000 Jahren nutzt der Mensch den Werkstoff Glas – und noch immer steckt in dem erstaunlichen Material ein Innovationspotenzial, das erst zum Teil ausgelotet ist. Im Rahmen einer Hightech-Offensive wollen vier Firmen, die ganz unterschiedliche Produkte aus Glas herstellen, neue Möglichkeiten erforschen
Werkstoffverbunde und oberflächenveredelte Produkte aus Glas“ – kurz WOPAG – heißt das Projekt, das seit rund fünf Monaten läuft und auf fünf Jahre angelegt ist. Beteiligt sind die Wiegand & Söhne GmbH & Co. KG, die in Steinbach am Wald Behälterglas für Flaschen und Verpackungen herstellt, und die Flabeg GmbH, Furth im Wald, die Flachglas für verschiedenste Anwendungen fertigt. Außerdem gehören zum Quartett die Nachtmann GmbH in Neustadt an der Waldnaab, die sich auf Hauswirtschaftsglas spezialisiert hat, und die Schott-Rohrglas GmbH in Mitterteich, die vor allem Röhren, Kapillaren und Stäbe aus Spezialglas u.a. für Pharmazie und Chemie produziert. Als wissenschaftlicher Partner wurde die junge Fakultät für Angewandte Naturwissenschaften der Uni Bayreuth gewonnen, die mit insgesamt sieben Lehrstühlen beteiligt ist.
Das Vorhaben verfolgt ehrgeizige Ziele: Zum einen sollen Werkstoffverbunde zwischen Glas und anderen Werkstoffen wie Keramik, Metall und Kunststoff entwickelt werden, die durch ihr Eigenschaftsspektrum völlig neue Anwendungen erschließen. Zum anderen wollen die Beteiligten funktionale Schichten auf Glas erzeugen, die zur Verbesserung seiner mechanischen, optischen, korrosiven oder elektrischen Merkmale führen.
„Voraussetzung für derartige Fortschritte ist die Beherrschung grundlegender materialwissenschaftlicher Phänomene, wie Alterung, Haftung oder Grenzflächen“, erklärt Dr. Fritz-Dieter Doenitz. „Gerade hier versprechen wir uns viel von einer intensiven Zusammenarbeit mit der Uni Bayreuth“, so der Leiter Entwicklung bei Schott Rohrglas.
Als Eckpunkte des Projekts wurden die forschungs- und technologiepolitische Bedeutung, der Netzwerkgedanke auf bayrischer Ebene, die Arbeitsplatzrelevanz und das Kosten/Nutzenverhältnis festgezurrt. „Diese Anforderungen erfüllt WOPAG hervorragend“, betont Hans Spitzner, Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie.
In vielen Fällen sind die Fragestellungen identisch. „Wir beschäftigen uns z.B. schon lange mit Verklebe-, Verbund- und Versiegelungstechniken“, konstatiert Physiker Stefan Menzel, Projektleiter der Flabeg. Die Further haben bereits Erfahrung mit Schmutz abweisenden Gläsern und Funktionsschichten bei Autospiegeln, die bei Reflexionen selbständig abdunkeln und eine integrierte Heizung ermöglichen.
Ein Schwerpunkt von Schott zielt auf die Nutzung der Sonnenenergie. „Wir arbeiten an Komponenten für Röhrenkollektoren, Parabolrinnentechnik und Schlüsselbauteile für solare Heizkraftwerke“, erklärt Dr. Stefan Tratzky, WOPAG-Projektleiter bei Schott. Bislang reflektieren die Umhüllungen der Kollektoren aus Borosilikatglas rund 8 % des Lichtes, eine Antireflexbeschichtung soll diesen Wert halbieren und so die Energieausbeute erhöhen. Zudem soll eine Fügetechnik mittels Anschmelzen entwickelt werden, die Glas- und Stahlrohre thermisch und mechanisch stabil miteinander verbindet. Eine weitere Möglichkeit, die Kraft der Sonne intensiver zu „tanken“, sind Absorptionsschichten, die noch bei 300 °C stabil sind.
Ganz neue Einsatzgebiete soll Glas auch im Bauwesen erobern. Neuartige Sicherheits-Glasrohre mit erhöhter Schlag- und Druckfestigkeit in Form eines Glas-Glas-Verbundes, begehbare Elemente aus Glasscheiben mit zwischenliegenden Rohrsegmenten in Sandwich-Bauweise und leichte, druckfeste Verbundwerkstoffe aus keramischen und silikatischen Materialien mit einer Glasrohrinnenverstärkung könnten in absehbarer Zeit die Phantasie von Architekten anregen. Auch Schmutz abweisende bzw. selbstreinigende Außenbeschichtungen von Glasrohren und -stäben für repräsentative Gebäudefassaden sind geplant.
All diese Ideen setzen voraus, dass grundlegende chemisch-physikalische Vorgänge an der Glasoberfläche wie z.B. die Haftung von Schichten auf Glas oder zwischen Glas und anderen Werkstoffen zuvor besser verstanden und beherrscht werden. Hier soll die wissenschaftliche Kompetenz der Bayreuther Universität den vier Firmen helfen.
„Wir machen keine bilaterale Auftragsforschung, sondern verfolgen ein gemeinsames Konzept mit fünf gleichberechtigten Partnern“, erläutert Prof. Dieter Brüggemann, Koordinator des WOPAG-Projekts, den bisher einmaligen Ansatz innerhalb der deutschen Industrie. Da die Unternehmen nicht miteinander konkurrieren, öffnen sie ihr Know-how uneingeschränkt allen. Das verhindert Doppelentwicklungen, spart Zeit und Geld. KLAUS JOPP
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