Die innovative Kraft der Standardisierung
VDI nachrichten, Berlin, 30. 3. 07, rok – Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft hat Bundeswirtschaftsminister Michael Glos letzten Dienstag in Berlin die Europäische Normenkonferenz eröffnet. „Erst durch Standards und Normung werden aus Erfindungen marktfähige Innovationen“, so der Tenor der Veranstaltung.
Normen und Standards „. . . ermöglichen die rasche Umsetzung innovativer Ideen in marktfähige Produkte und sind damit ein entscheidender Schlüssel für die internationale Wettbewerbsfähigkeit“, sagte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos letzten Dienstag. Sein Ministerium hat im vergangenen Jahr 1,3 Mio. €, in diesem Jahr 2,1 Mio. € in das INS-Projekt investiert – gewissermaßen um Ideen vom Kopf auf die Füße zu stellen. Ziel der Veranstaltung: Die entscheidende Rolle von Normung und Standardisierung bei der Umsetzung innovativer Produkte und Dienstleistungen herauszustellen und eine engere Verzahnung von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik anzuregen.
„DIN-Normen werden nicht automatisch mit Innovationen assoziiert“, beklagte Hermann Behrens vom Deutschen Institut für Normung (DIN). Nicht zuletzt, weil Innovation häufig mit Invention gleichgesetzt werde. Doch „Innovation ist nicht nur die Erfindung, sondern Erfindung plus Markteinführung“.
Eine neue Technik zu entwickeln, kostet viel Geld. Ein Betrieb, der diese Kosten auf sich nimmt, hat grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Er beantragt ein Patent, um sich von der Konkurrenz abzuschotten und Marktführer zu werden mit dem Risiko, dass er den Verdrängungskampf und seine Investition verliert. Oder er setzt auf Verständigung und passt seine Erfindung bereits bestehenden Produkten an ist somit weniger exklusiv, hat aber bessere Chancen. Werner Sterk, Referent für Normungsfragen beim BMWi formuliert die Alternativen so: „Setze ich auf mein Produkt und hoffe, dass es gewinnt – oder nutze ich die Norm und bin im Markt?“
Norbert Müller von der Universität Clausthal hat in seiner Studie rund 30 Firmen vornehmlich aus der Maschinenbausparte untersucht, vom Automobilkonzern bis zum kleinen Formenbauer mit 13 Mitarbeitern. Sein Urteil: Ein neues, nicht genormtes Produkt ist im Konkurrenzkampf gegen ein genormtes Produkt selten erfolgreich.
Wovon Konzerne profitieren – die Internationalisierung von Normen – stellt sich für kleine und mittelständische Unternehmen nicht selten als Stolperstein dar. „Viele kennen die Chancen nicht, manche nicht mal die Norm“, sagt Müller. „Einige glauben, die Normung würde sie behindern.“
Aufklärungsbedarf herrsche auf jeden Fall, so Müller, und ganz besonders in Forschung und Lehre. „Ein junger Konstrukteur, der heute eine Stelle antritt, müsste wissen, was ein Normungsprozess ist, welchen Einfluss Normen auf die Produktion haben und wann sie sinnvoll sind und wann nicht. Doch der junge Mann weiß es nicht.“ Weder an den Universitäten noch in Meisterschulen werde dergleichen gelehrt, die Dozenten würden sich selbst nicht auskennen. „Es gibt nur noch zwei, drei Professuren in Deutschland, die sich mit Normung beschäftigen.“ Anders als in China, wo inzwischen reihenweise Normungsspezialisten die Hochschulen verließen.
Derweil herrsche unter deutschen Forschern, so Hermann Behrens vom DIN, schlicht Unkenntnis über den Nutzen, den Normen für neue Verfahren haben könnten. In der Nanotechnologie zum Beispiel waren die Deutschen führend. Weil sie aber versäumten, während der Entwicklung brillianter Produkte an die Normung zu denken, waren die Briten schneller und bestimmten die Standards.
Um den Sinn von Normen, ihre Patenschaft bei der Geburt von Ideen zu verdeutlichen, erzählt Behrens gerne von der PAS 1059 – einem kürzlich entwickelten Standard zur „Planung einer verfahrenstechnischen Anlage“: Auf dem ehemaligen Hoechst-Gelände bei Köln arbeiten Dutzende Firmen. Je nach Auftrag schließen sie sich zu einem virtuellen Unternehmen zusammen, um einen neuen Stoff zu entwickeln. Mitunter reden die Partner dann allerdings stundenlang aneinander vorbei: „Wenn ein Chemiker von ¿Prozessen“ redet, meint er etwas anderes als ein Betriebswirt. Und während einige am Konferenztisch unter dem Begriff ¿Anlage“ nur den Kern verstehen, denken andere dabei auch an die Infrastruktur mit Abwasserkanälen, Rohrleitungen und Straßen.“
Solche babylonischen Missverständnisse kosten Zeit, Geld und Nerven. Das Forschungsinstitut für Rationalisierung an der Technischen Hochschule Aachen hat nun eine Reihe von Begriffen standardisiert, damit Spezialisten verschiedener Disziplinen ihr Wissen ohne Reibungsverluste austauschen können. Für Behrens ein schönes Beispiel, wie Normen und Standards für das Grundlegendste aller kreativen Prozesse sorgen: eine gemeinsame Sprache. bmwi/rok
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