Der Natur auf die Finger schauen
VDI nachrichten, Mannheim, 28. 3. 08, cha – Die Bionik ist als etabliertes Wissenschaftsgebiet noch recht jung. Den Sprung ins Museum hat sie dennoch bereits geschafft. Einen detaillierten Überblick von den Bionik-Klassikern bis zu neueren Forschungen und Entwicklungen gibt der neue Bereich „Bionik – Zukunftstechnologie lernt von der Natur“, der im Landesmuseum für Technik und Arbeit (LAT) in Mannheim eingerichtet wurde.
Jung und schon museumsreif: 1960 gilt als Geburtsjahr der Wissenschaftsdisziplin Bionik. Auf dem ersten Kongress über Bionik mit dem Titel „Lebende Prototypen – der Schlüssel zu neuen Technologien“, der damals in Dayton im US-Bundesstaat Ohio stattfand, wurde der englische Begriff bionics endgültig eingeführt. Nur ein knappes halbes Jahrhundert später erhält die Bionik museale Beachtung. Zuvor als Wanderausstellung konzipiert und mehrfach aktualisiert, hat die Ausstellung „Bionik – Zukunftstechnik lernt von der Natur“ jetzt im Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim einen festen Platz gefunden.
Charakteristisch für die Bionik, die Synthese aus Biologie und Technik, ist ihr interdisziplinäres Vorgehen, das die Zusammenarbeit vor allem von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren erfordert. Das Ziel ist hoch gesteckt: von der Genialität der Natur lernen. Schließlich hat die Natur im Laufe der Jahrmillionen währenden Evolution äußerst kluge und raffinierte Konstruktionen und Problemlösungen hervorgebracht, die Pflanzen und Tieren selbst unter widrigsten Lebensumständen die Existenz sichern. Die Natur soll allerdings nicht kopiert werden – was oftmals technisch gar nicht machbar wäre, sondern als Vorbild für technische Anwendungen dienen.
Das Mannheimer Museum gliedert die Bionik in zehn Kapitel: Vom Fliegen und Schwimmen, Erkennen, Bauen bis zu Nutzen und Schonen sowie die Geschichte der Bionik. Den Auftakt macht das Paradebeispiel für Bionik: Der alte Traum vom Fliegen. Leonardo da Vincis Flugapparat entstand durch Analyse des Vogelflugs. 400 Jahre später folgten Otto Lilienthals spektakuläre Gleitflugversuche. Ein weiterer Pionier, der Biologe Raoul Heinrich Francé, riet bereits in den 1920er Jahren zur interdisziplinären Zusammenarbeit und prophezeite der Bionik eine große Zukunft.
Scheinbar zufällige Analogien zwischen Natur und Technik gibt es zuhauf: Verblüffend ähneln sich die Oberkieferzangen des Ameisenlöwen und eine Kombizange oder die eingeklappten Beine eines Käfers und ein Klappmesser. Die Bionik allerdings erforscht ihr biologisches Vorbild, Pflanzen, Tiere, Organisationsprinzipien und Evolutionsprozesse, systematisch. Der bionischen Robotik beispielsweise dienen Insekten als Studienobjekte für den Bau von Laufmaschinen. Der spinnenartige Laufroboter Lauron II wurde nach dem Vorbild der sechsbeinigen, dezentral gesteuerten Stabheuschrecke entwickelt. Der Kletterroboter Robug II geht ähnlich wie ein Gecko mit haftenden Füßen die Wände hoch.
Interessante Exponate, Filme und interaktive Stationen versuchen die leider sehr textlastige Ausstellung aufzulockern. Auf Knopfdruck lässt sich am Modell der Schwingenflug eines Vogels beobachten, an einem anderen die Kraftübertragung von Muskeln auf das Flügelgelenk einer Fliege. Oder man tritt in die Pedale eines Rennrades, um die beschleunigende Wirkung einer Pinguin-Verkleidung zu spüren. Trotz Schnelligkeit Energie sparen: Körperformen und Oberflächenstrukturen von Vögeln, Fischen, Delphinen, Pinguinen helfen nicht nur, Flugzeug-, Schiffs- und Autoformen zu optimieren. Schwimmanzüge mit Haihautstruktur bringen auch Sportler schneller voran.
Faszinierende Meisterleistungen der Natur spornen die Forschung weiter an. Etwa der Aufbau von Pflanzen und Knochen: Festigkeit bei kleinstmöglichem Gewicht und geringstem Materialaufwand sind bei technischen Konstruktionen gefragte Eigenschaften. Selbstheilende Fähigkeiten von Pflanzen wiederum könnten uns bald selbstreparierende Textilien bescheren. Bei Material- und Gewichteinsparung helfen die fantastischen, erst in jüngster Zeit systematisch erforschten Verpackungs- und Faltkünste der Natur. Oder sechseckige Wölbstrukturen, wie bei Bienenwaben oder Schildkrötenpanzern. Sie sorgen für leichte und stabile Verpackungen, aber auch schonendere Waschmaschinentrommeln und leichtere Strukturen in Autos.
„Wir zeigen nicht die allerletzte, zumindest aber die vorletzte Generation der Bionik-Innovationen“, erklärt Reiner Bappert vom Landesmuseum, das als einzige museale Einrichtung Mitglied des Bionik-Kompetenznetzes Biokon ist. Neben Hochschulen sind darin auch Forschungsinstitute wie das benachbarte Forschungszentrum Karlsruhe vertreten. Man sitzt also an der Quelle für zukünftige Bionik-Innovationen. CARLA REGGE
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