Kultur 23.07.1999, 17:22 Uhr

3,5 Mio. Dollar für ein Zimmer

Das verschwundene Bernsteinzimmer war lange Zeit mit dem negativen Image der Beutekunst behaftet. Das soll sich jetzt ganz zum Positiven wenden.

Das Bernsteinzimmer war immer ein Symbol für Freundschaft, Verständigung, Zerwürfnisse, aber auch Ratlosigkeit“, so Friedrich Späth, Vorstandsvorsitzender der Essener Ruhrgas: „Aus einer solchen Situation kommt man nur durch Handeln heraus.“ Solches Handeln läßt sich der Gaskonzern 3,5 Mio. Dollar kosten, wie er am Montag ankündigte.
Die Ruhrgas AG sponsert aus Anlaß des kommenden 75jährigen Firmenjubiläums im Jahr 2001 die originalgetreue Rekonstruktion des Bernsteinzimmers im Katharinenpalast in Zarskoje Selo bei St. Petersburg. Im Jahr 2003 will der russische Partner dann auf jeden Fall die Arbeiten beendet haben: 300 Jahre nachdem Peter der Große am 27. Mai 1703 den Grundstein zur Stadt an der Newa legte – Rußlands Fenster nach Westeuropa.
Kunst will mit Respekt und Verständnis gehandhabt werden. Daran erinnerte Pavel V. Khoroshilov, stellvertretender Kulturminister der Russischen Förderation, bei der Präsentation des Vorhabens: „Als die gemeinsame russisch-deutsche Kommission zur Regelung der gegenseitigen Restitutionsansprüche gerade ihre Tätigkeit aufgenommen hatte, also vor sieben Jahren, waren beide Seiten noch voller Optimismus.“
Doch dieser Optimismus mußte einem nüchternen Verständnis der real existierenden innenpolitischen und gesellschaftlichen Lage weichen. Vor fünf Jahren tagte die Kommission in Dresden zum letzten Mal. Die Rückgabe von Kulturgütern durch schiere Willenserklärung funktionierte angesichts der in Rußland vorherrschenden Stimmung nicht.
Das Geschenk des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. an den russischen Zaren Peter I. war 1716 eine freundschaftliche Geste an die sich westlich orientierende, aufstrebende Kontinentalmacht Rußland. Im November 1941 bauten deutsche Soldaten das Zimmer aus dem Sommerpalast in Zarskoje Selo wieder aus. Die Spur der Gegenstände verliert sich im damaligen Königsberg.
Die verschwundenen Originale waren bereits in den 30er Jahren renovierungsbedürftig. Das Eichenholz arbeitete, der wachsartige Klebstoff verlor seine Elastizität, Bersteinstücke fielen ab. Zur Restaurierung kam es nicht mehr, aber die Pracht wurde fotografiert. Fotos blieben erhalten und – so Khoroshilov – wie durch ein Wunder auch Zeichnungen und Pläne.
Die vergessene Kunst des Bernsteinschnitzens erlernten die Fachleute wieder, sie stellten 20 % des Zimmers fertig, dann ging ihnen das Geld aus. Jetzt steigt die Ruhrgas als Kultursponsor in das ehrgeizige Vorhaben ein.
Die Beziehungen der Ruhrgas nach Rußland sind langfristig angelegt.
Seit 1973, also noch zu Zeiten des kalten Krieges, bezieht der Essener Konzern Gas aus Rußland, seither rund 350 Mrd. Kubikmeter. Als erstes ausländisches Unternehmen wurde Ruhrgas direkter Aktionär des Partners OAO Gazprom. Die hat wiederum Lieferzusagen bis 2030 gegeben.
Friedrich Späth: „Partnerschaften werden stabiler und belastbarer gegenüber wechselnden Einflüssen, wenn sie nicht alleine für sich stehen, sondern auch auf andere Lebensbereiche übergreifen und somit Bande der Gemeinsamkeiten stärken.“ Ruhrgas setzt auf Kultur-Sponsering.
Daß Bernstein angesichts der benötigten Menge von 4,5 t bester Qualität knapp und teuer wird, glauben die Beteiligten nicht. Der Nachbau des Zimmers sei auch für die Lieferanten ein gewünschtes Renommier- und Vorzeigeobjekt, sie seien an der Fertigstellung interessiert, hieß es bei der Präsentation des Projektes in Essen am 19. Juli.
Woher das benötigte Material kommt, erläuterte Ruhrgas-Personalvorstand Achim Middelschulte: „Das Rohmaterial stammt aus dem Tagebau in Jantarnyi, früher Palmnicken. Schon Preußens Könige wurden von dort mit Bernstein beliefert.“
Daß just zu Rekonstruktionszeiten Originalfunde auftauchen, glaubt kein Beteiligter. Prof. Wolfgang Eichwede von der Forschungsstelle Osteuropa der Uni Bremen: „Indizien deuten nicht darauf hin, daß noch Transportkisten samt Inhalt existieren.“ Selbst wenn sie auftauchten, dürfte der Inhalt enttäuschend sein – eher braune Stücke denn Kunst. Boris P. Igdalov, Direktor der Bernsteinwerkstätten im Museum von St. Peterburg: „Bernstein ist ein organisches Material, oxidiert. Haarrisse überziehen bei altem Material die Oberfläche.“
R. SCHULZE
Um 1930 wurde das Bernsteinzimmer im Sommerpalast in Zarskoje Selo bei St. Petersburg fotografiert. Zarin Elisabeth, Tochter von Peter dem Großen, hatte 1755 „das achte Weltwunder“ dort einbauen lassen.
Gut ein Achtel des nach Fotos rekonstruierten Bernsteinzimmers ist fertiggestellt. Mit finanzieller Unterstützung der Ruhrgas sollen die Arbeiten jetzt fortgeführt, bis 2003 abgeschlossen sein.
Nach alten Fotos begannen 1979 Rekonstruktionsarbeiten.
Arbeiten an einer Wandtafel in der Bernsteinwerkstatt von Zarskoje Selo bei St. Petersburg.

Ein Beitrag von:

  • Rudolf Schulze

    Chefredakteur VDI nachrichten. Fachthemen: Elektronik, Politik, IT.

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