Wenn der Traum vom Fliegen zum Alptraum wird
Dienstreisen machen krank. Das ist das Resultat einer Studie der Weltbank, die den Gesundheitszustand von rund 5000 Vielfliegern untersucht hat.
Heute New York, morgen Rio und dann ab nach Paris. Klingt aufregend. Ein Leben zwischen Broadway, Copacabana und Montmartre. Nur hier und da ein kurzer Geschäftstermin mit obligatorischem Galadinner. Danach ins Nobelhotel und anschließend in Champagnerlaune via Heimat – natürlich erster Klasse. Kurzum: Im Zuge unaufhaltsamer Globalisierung zählt der berufsbedingte Kosmopolit mit prall gefülltem Miles-and-More-Konto zu den Glücklichen dieser Welt.
Irrtum! Dr. Bernhard Liese, Gesundheits-chef der Weltbank, hat den Alltag von Vielfliegern untersucht und die Gesundheitsdaten mit denen von „Stubenhockern“ verglichen. Ergebnis: Gegenüber Nichtreisenden gehen die mobilen Arbeiter ein um bis zu 80 % erhöhtes Gesundheitsrisiko ein. Körper und Seele bleiben buchstäblich auf der Strecke.
Dr. Ludger Ciré, erfahrener Flug- und Arbeitsmediziner, führt im Jahr mehr als 1700 Gesundheits-Checks bei leitenden Angestellten durch. Er weiß um die Symptome derer, die häufig Zeit- und Klimazonen überwinden: „Neben den fast schon chronischen Rückenbeschwerden sowie Magen- und Darm-Erkrankungen zählen besonders Abgeschlafftheit, Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche zu den unerfreulichen Nebenwirkungen.“ Dass sich Geschäftsleute auf Fernreisen Infektionen einfangen und mit dem Jetlag zu kämpfen haben, mag dabei nur wenig überraschen ein weiteres Ergebnis der Studie um so mehr. Dr. Liese: „Das Reisen zerrt stärker an den Nerven als bislang angenommen. Die Arbeitsbedingungen unterwegs, die Kommunikation per Fremdsprache, das Leben in unvertrauter Umgebung und die Trennung von Familie und Freunden steigern den mentalen Stress.“
Dabei scheint nicht nur das Reisen, sondern vor allem auch die Rückkehr eine Belastung für alle Beteiligten zu sein. „Während der Abwesenheit häufen sich zu Hause die Alltagsprobleme, die nicht gemeinsam erlebt und gelöst werden. Das führt zu Spannungen“, weiß Liese. Siegfried Zimmermann, Leiter des Maschinen- und Gerätepools bei der Preussag, pendelt seit über 30 Jahren zwischen Taiwan, Türkei, Bolivien oder Mexico. Durchschnittlich ist er drei bis vier Monate im Jahr unterwegs. Ein Umstand, der seine erste Ehe vor den Scheidungsrichter führte. Seine Erkenntnis lautet: „Eine Frau, die nicht berufstätig ist, hat es oft schwer. Sie sitzt daheim und muss den ganzen Alltagskram allein bewältigen. Von den Dingen im Haushalt über Behördengänge bis zu den Problemen mit den Kindern. Und wenn du dann nach einer lange Reise zurück nach Hause kommst, hofft sie selbstverständlich, gemeinsam und sofort all das aufzuarbeiten, was während der Abwesenheit nicht möglich war. Dabei willst du dich erst einmal in aller Ruhe akklimatisieren und entspannen. Doch diese Zeit gesteht man sich nicht zu und das schafft Reibungspunkte.“
Seine zweite Ehe verläuft harmonischer, weil die Lebenspartnerin selbst einem anstrengenden und Zeit raubenden Job nachgeht und daher mehr Verständnis für die notwendigen Erholungsphasen nach langen Fernreisen aufbringt.
Die Angst, sich eine Blöße zu geben
Als problematisch empfindet der 60-Jährige, der sich mit regelmäßigem Joggen fit hält, nur noch das Fliegen selbst: „Beengte Platzverhältnisse, schlechte Flugverbindungen, lästiges Umbuchen oder lange Wartezeiten – das kann schon nerven.“ Und bei all den Reisestrapazen gönnt er sich nicht einmal einen Tag Ruhepause. Entweder weil ihn die Firma nicht zulässt, oder weil ein Tag Durchatmen als Schwächeln ausgelegt werden könnte. Dr. Ciré: „Wir leben in einer Gesellschaft, in der jede Herausforderung angenommen werden muss und in der man keine Blöße zeigen darf. Selbst wenn der persönliche Einsatz zu Lasten der Gesundheit geht. Das ist ein hoher Preis.“
Wolfgang Schmitz, Ingenieur bei der Firma MTA in Essen, weiß von vielen Kollegen zu berichten, „die den unbequemen Sitzplatz im Flieger mit dem gemütlichen bei der Behörde eingetauscht haben. Die verzichten lieber auf mehr Geld, haben aber geregelte Arbeitszeiten.“ Er selbst genießt seine häufigen Reisen nach Skandinavien und Osteuropa, fordert aber mehr Engagement von den Betrieben: „Die Firmen sollten ihre Mitarbeiter besser darauf vorbereiten, welche Probleme bei den vielen Auslandsaufenthalten entstehen können.“
Doch nicht jedes Unternehmen kann sich ein „Interkulturelles Training“ leisten, in dem Mitarbeiter unter professioneller Anleitung lernen, Psyche und Physis zu stärken. Deshalb gibt Diplom-Psychologin Christa Bieling folgenden Ratschlag mit auf die Reise: „Regelmäßigen Kontakt mit dem sozialen Umfeld pflegen, oder, wenn möglich, den Partner mit auf die Geschäftsreise nehmen. Das sorgt für willkommene Abwechslung.“ SIMON SCHMIDT
Literatur: Helmut Müller-Ortstein: Fit für den Jet Tips für gesundes und entspanntes Fliegen, Ullstein Mosby, 160 S., 24,80 DM Tips im Internet: www.stopjetlag.de
Keine Zeit fürs Dösen unter Palmen. Häufige Geschäftsreisen nagen nicht nur an Körper und Geist, sie sind in der Regel auch eine enorme Belastung für das Privatleben.
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