Vom Luftwirbel zum Spin-off
Normalerweise interessieren sich Ingenieure mit Spezialgebiet Strömungsmechanik dafür, wie sich Strömungen um Flugzeuge auswirken. Das tut Roger Grundmann auch. Der Professor und Direktor des Instituts für Luft- und Raumfahrttechnik an der TU Dresden hält Vorlesungen zur Thermofluiddynamik, zur Flugmechanik und zur Aerodynamik. Doch es gibt noch weitere Luftströme, die ihn ebenfalls brennend interessieren – tiefe Töne.
Seit er als Kind ein Fagott hörte („da wackelte die Tafel in der Schule“) ist der 60-jährige, so bekennt er schalkhaft, regelrecht verliebt in die Töne des Holzblasinstruments, das seit der italienischen Renaissance einen wichtigen Part in jedem Orchester spielt. Kein Wunder eigentlich, dass Grundmann, nachdem er zuvor mit dem Jazz, mit Kontrabass und Susaphon geliebäugelt hatte, vor zwei Jahren beschloss, endlich das Fagottspiel zu lernen.
Doch beim Musizieren blieb’s nicht. Typisch für einen Ingenieur machte sich der Amateurmusiker auch daran, die Funktionsweise des Instruments zu erforschen. Resultat: Er hat den S-Bogen des Fagotts so verändert, dass das Spiel deutlich einfacher wird. Und dafür wiederum hat die TU Dresden ein Patent beantragt.
Der Grundstein für eine kleine „Musik-Gruppe“ mit je zwei Diplomanden und Doktoranden am Institut für Luft- und Raumfahrttechnik ist gelegt. „Ich bin ein Verfechter der interdisziplinären Forschung“, sagt Grundmann.
Der S-Bogen (ein zweifach gebogenes Metallrohr) verbindet das Mundstück des Fagotts mit dem eigentlichen über zwei Meter langen Instrument. Er ist eine Art Krücke, denn ohne ihn käme der Musiker gar nicht an die Klappen, mit denen die Töne reguliert werden, sagt Grundmann.
Doch diese Krücke erschwert auch das Musizieren. In ihren beiden Krümmungen entstehen Luftwirbel, die den Luftstrom beschleunigen und Widerstände erzeugen. Für den Musiker bedeutet das: Er muss kräftiger blasen. Reduziert man die „ganze Wirbelei“ (Grundmann), wird das Blasen einfacher. Genau das hat der Wissenschaftler geschafft.
Grundmanns S-Bogen verzichtet auf eine der beiden Krümmungen, er ist am Mundstück fast gerade und erzeugt so deutlich weniger Widerstand. Die Fagottisten haben damit mehr Luft, um die Töne zu modellieren.
Bisher fehlte das Wissen, um den S-Bogen zu optimieren. Grundmann benötigte die modernen, computerbasierten Methoden der Strömungsberechnung, um die Luftwirbel im Fagott sichtbar zu machen und sie systematisch zu verändern.
Der neue S-Bogen ist also ein echtes Spin-off der Luft- und Raumfahrt. Weitere sind zu erwarten. Mit Kollegen aus der Medizin will Grundmann demnächst die Strömungen in der Cochlea des Innenohrs, einem Teil des Gehörgangs, untersuchen. H. CONRADY
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