Luftfahrt 05.07.2002, 18:20 Uhr

Viele Tausende kommen an – warum zwei nicht?

Tausende von Flugzeugen fliegen täglich durch den Himmel über Deutschland. Die Kollision der Boeing 757 und der Tupolew über dem Bodensee ist das Zusammentreffen unglücklicher Umstände – auch zu laxe Sicherheitsbestimmungen dürften ein Rolle spielen. Es galt als nahezu unvorstellbar, dass in einem der am besten überwachten Lufträume der Welt zwei Flugzeuge kollidieren. Und das nicht etwa in einem überfüllten Luftraum – wie am späten Nachmittag über Frankfurt oder München –, sondern mitten in der Nacht über dem Bodensee.

Dennoch passierte es, als in der Nacht von Montag auf Dienstag dieser Woche eine russische Tupolew 154 mit einer Boeing 757 zusammenstieß. 71 Menschen verloren dabei ihr Leben.
Zusammenstöße von Flugzeugen in Reiseflughöhe, so genannte mid air collisions, sind äußerst selten: Nahezu 90 % aller Flugunfälle passieren in der An- und Abflug- sowie der Start- und Landephase. Das letzte vergleichbare Unglück, an dem Deutsche beteiligt waren, war der Zusammenstoß einer deutschen Luftwaffen-Tupolew 154 mit einem amerikanischen Lockheed-Truppentransporter am 14. September 1997 vor der Küste von Namibia. Damals starben 33 Menschen.
In Europa liegt ein vergleichbarer Fall fast 26 Jahre zurück. Damals kollidierte ein jugoslawisches Passagierflugzeug bei Zagreb mit einem British Airways Flieger. 113 Menschen starben.
Dabei fliegen derzeit täglich gut 8000 Flugzeuge über Deutschland, in den Ferienmonaten können es noch mehr werden. Allein im vergangenen Mai wickelte die Deutsche Flugsicherung insgesamt 211 238 zivile und 8626 militärische Flüge über Deutschland ab – und dabei sind die zahllosen kleinen Flieger, die nur nach Sichtflugregeln fliegen, noch nicht einmal mitgezählt.
Kein großes Land in Europa wird täglich von so vielen Flugzeugen über- oder angeflogen wie Deutschland. Insgesamt überwachte die Deutsche Flugsicherung (DFS) im Jahr 2001 über 2 561 000 Flüge im Luftraum über der Bundesrepublik. Dabei kam es nach Statistiken der DFS zu insgesamt 15 gefährlichen Annäherungen zweier Flugzeuge in der Luft – in zehn Fällen bestand sogar die akute Gefahr eines Zusammenstoßes. Im Jahr 2000 gab es insgesamt 12 gefährliche Annäherungen, im Jahr davor fast doppelt so viele (21). Nicht ausgewiesen ist bei diesen Annäherungen die Flughöhe.
Kritisch wird es in Europa noch immer, wenn ein Flugzeug mehrere Grenzen überfliegt. Denn so eng sich Europa auf der Erde zusammenschließt, so zersplittert ist noch immer die Luftraumüberwachung über dem alten Kontinent. Es gibt nach Angaben der Association of European Airlines in Brüssel noch immer fast 50 nationale Luftverkehrskontrollzentren mit 31 unterschiedlichen nationalen Überwachungssystemen von 18 verschiedenen Hardwarelieferanten. Auf den Computern der Luftraumkontrolleinrichtungen laufen 22 Betriebssysteme mit insgesamt 30 unterschiedlichen Programmiersprachen.
Ergänzt wird die Überwachung vom Boden aus aber zunehmend durch intelligente Systeme im Flugzeug selbst. Der immer enger werdende Luftraum über Europa hat seit Mitte der 90er Jahre dazu geführt, dass alle nach Europa einfliegenden Flugzeuge verpflichtet sind, ein so genanntes TCAS (Traffic Alert and Avoidance System) an Bord zu haben.
Nach Aussagen von Georg Fongern von der Pilotenvereinigung Cockpit kann das TCAS ein sich in gleicher Flughöhe näherndes Flugzeug schon bei einer Entfernung von 40 Meilen (1 meile = 1,85 km) „sehen“ und warnt den Piloten. Ab zehn bis zwölf Meilen gibt das TCAS dem Piloten eine Ausweichempfehlung. Die aber muss der Pilot per Hand ausführen.
Viel Zeit bleibt da nicht: Ein Flugzeug mit einer Geschwindigkeit von gut 800 km/h braucht für die 40 Meilen nicht einmal 6 Minuten.
Das bevorzugte Ausweichmanöver für Passagiermaschinen ist in solchen Fällen der Steigflug. Beim Sinkflug kommt das Flugzeug schnell in gefährliche Geschwindigkeitsbereiche. Vor allem aber die Wahrscheinlichkeit, dass nicht angeschnallte Passagiere und Gegenstände in die Höhe geschleudert werden, ist sehr groß.
Fongern lässt allerdings keinen Zweifel daran, dass das TCAS nicht der Weisheit letzter Schluss ist: „Es gibt russische Systeme, die nicht mit amerikanischen oder europäischen kompatibel sind. Und das System muss eingeschaltet sein, es funktioniert nicht automatisch.“
Aber, so Fongern, der eigentliche Skandal ist die Tatsache, „dass Flugzeuge zehn Tage lang im europäischen Luftraum noch mit einem defekten TCAS fliegen können.“
Für die Tupolew der Bashkirian Airlines hätte das bedeutet, dass sie ohne Probleme auch nach Russland hätte zurückfliegen können – auch ohne funktionierendes TCAS. Fongern plädiert deshalb dafür, dass ein defektes TCAS sofort ausgewechselt werden muss.
Beide Flieger hatten nach Angaben ihrer Fluggesellschaften ein funktionierendes TCAS an Bord. Sprechen allerdings bei einer Annäherung von zwei Flugzeugen die TCAS an, so „verhindert die Software eigentlich, dass beide das gleiche Ausweichmanöver durchführen“, so Fongern. Dennoch kollidierten sie über dem Bodensee.
Erst die Auswertung der Flugschreiber wird – vermutlich – diese Fragen klären. Doch das kann dauern. moc
Deutschland ist überzogen mit einer Reihe von Luftstraßen. Die Karte bietet einen groben Überblick über die wichtigsten Luftstraßen im Süden der Republik. Mit GPS ist es auch möglich, dass Flugzeuge unabhängig von den Funkfeuern der Luftstraßen navigieren. Fast 220 000 Flugzeuge flogen allein im letzten Mai über Deutschland hinweg oder starteten und landeten in einem der deutschen Flughäfen.

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Was war die Ursache?
Tragische Verkettung von Pannen
Derzeit analysieren Fachleute der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung die Flugdatenschreiber und Stimmenrekorder. Eine der Unfallursachen scheint zu sein, dass das Kollisions-Warnsystem der Schweizer Flugsicherung außer Betrieb und der zweite Schweizer Lotse unberechtigterweise eine Pause machte. Der zweite Grund scheint die zu späte Warnung an die Tupolev gewesen zu sein, dann die verzögerte Reaktion des Piloten – und die fehlende Warnung an die DHL-Boeing. Beide Flugzeuge sollen über ein TCAS verfügt haben. Die Tatsache, dass die Boeing von allein in den Sinkflug ging, legt nahe, dass ihr System arbeitete. Anderseits scheint die russische Tupolew allein auf den Kontakt zum Boden reagiert zu haben. Die Vermutung liegt nahe, dass dort kein funktionsfähiges TCAS vorhanden war. moc

Ein Beitrag von:

  • Wolfgang Mock

    Redakteur und Reporter VDI nachrichten. Fachthemen: Wissenschafts- und Technologiepolitik, Raumfahrt, Reportagen.

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