KEO – ein Satellit als Geschenk an die Zukunft
Eigentlich sieht sich Jean-Marc Philippe als Künstler. Doch das Projekt KEO fordert ihn auch als Wissenschaftler und Manager. Mit dem Satelliten KEO will Philippe Nachrichten aller Menschen ins All schicken.
Seine Augen leuchten, wenn er von den Plänen aus Glas und Titan spricht. Es scheint, als sehe der französische Künstler Jean-Marc Philippe „seinen“ Satelliten schon vor sich, wenn er auf den Bildschirm vor ihm zeigt. Dabei ist der Satellit, der den Namen „KEO“ tragen soll, mit seiner ausgefeilten Technik eigentlich nur Beiwerk. Denn Philippe geht es mehr um die Fracht, mit der er KEO bestücken will: Noch bis zum Ende dieses Jahres will Philippe mit seinem Team Mitteilungen von möglichst allen Menschen auf der Erde sammeln. Diese sollen im Jahr 2005 ins All geschickt werden – und 50 000 Jahre später wieder ihren Weg zurück auf die Erde finden.
Eine „Momentaufnahme der menschlichen Gemeinschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts“ will Philippe schaffen. Die Nachrichten sollen dabei eine Art Fresko bilden – ein Kunstwerk, an dem sich jeder, überall auf der Welt, gleichermaßen beteiligen kann. Das soll schon der Name des Projekts ausdrücken: Die Laute K, E und O kommen in praktisch allen Sprachen vor. Alle Nationen, Religionen und Kulturen sollen berücksichtigt werden, jeder Einzelne hat die Chance, auf vier DIN-A4-Seiten das zu schreiben, was ihn bewegt. Die Nachricht wird später, so verspricht es Jean-Marc Philippe, unzensiert in den Weltraum gelangen.
Damit die Nachrichten den langen Zeitraum bis zur Rückkehr überstehen, und um möglichst viele Nachrichten unterzubringen, werden sie mit Lasern auf speziellen Glasplatten gespeichert. Dieses Glas wird beispielsweise auch genutzt, um radioaktive Abfälle zu umschließen. Die gespeicherten Daten werden durch die Strahlung im All keinen schädlichen Einfluss nehmen, haben laut Philippe wissenschaftliche Tests ergeben. Um den passiven Satelliten nach außen zu schützen, ist er mit einer Hülle aus Titan umgeben, die Datenspeicher werden mit Gold geschützt. Militärcomputer berechneten die Bedingungen für die mögliche Rückkehr in 50 000 Jahren. Die aufwändige Planung, die bereits seit 1995 läuft, fordere ihn oft mehr als Wissenschaftler und Manager denn als Künstler, sagt der studierte Geophysiker mit einem Seufzer.
Doch der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. Schon jetzt sind tausende Nachrichten eingetroffen. Bevor sie ihren Weg ins All nehmen, werden sie mit einem Software-System der Firma Lingway analysiert. Das System ermöglicht es, Kernwörter der Nachrichten miteinander in Verbindung zu setzen und Matrixstrukturen zu bilden. Aus diesen Strukturen lassen sich letztlich viele Eindrücke, Ängste und Hoffnungen ablesen, hofft Philippe. Mithilfe dieser Analyse und den Nachrichten, die nach dem Start des Satelliten im Internet veröffentlicht werden, soll das Projekt zur Reflexion einladen. Zum Nachdenken über Sinn und Widersinn der Welt, über Routinen, Ungerechtigkeiten, Kriege. Aber auch schöne Erfahrungen und fruchtbare Gedanken sollen vermittelt werden. „KEO ist eine Einladung, mehr voneinander zu lernen“, so Philippe. Die üppigen Datenmengen will er dabei gut schützen. Denn schon haben Unternehmer und Politiker Interesse signalisiert, die Ergebnisse für lukrative Geschäfte und Kampagnen zu nutzen.
Neben den Nachrichten der Menschen werden weitere Gegenstände mit dem Satelliten verschickt. Unter anderem eine Sternstundenuhr, an der diejenigen, die das Objekt einmal finden, die Planetenkonstellation zum KEO-Start ablesen können.
Nun touren Philippe und sein Team um die Welt, um das Projekt bekannt zu machen. Denn auch und gerade in Ländern ohne Alphabetisierung oder hoher Internetrate will er sein Anliegen verstanden wissen. Dabei hilft die Auszeichnung der UNESCO, die KEO zum „UNESCO-Projekt des 21. Jahrhunderts“ wählte.
Die hilft auch dabei, Sponsoren aus der Wirtschaft zu finden. Denn das Projekt ist nicht kommerziell, d. h. alle benötigten Kompetenzen müssen freiwillig beigesteuert werden. So überließ die Stadt Paris den Organisatoren ein altes Klostergebäude im Uni-Viertel. Das französische Raumfahrtunternehmen Aerospatiale Matra half zusammen mit der Ingenieurschule Sup“Aero bei der technischen Planung. EADS, CNES und Arianespace wollen den Satellitenstart unentgeltlich ermöglichen. Doch die Krise der Raumfahrtindustrie geht auch an KEO nicht vorbei, die Partner prüfen nach den jüngsten Fehlschlägen ihre Beteiligung am Projekt, so eine Sprecherin. Der Starttermin muss voraussichtlich verschoben werden. „Wir brauchen weitere Partner, vor allem in Westeuropa“, wirbt Philippe. Eines seiner Argumente: Die weltweite Berichterstattung über das Projekt füllt bereits mehrere Ordner im KEO-Büro.
SIMONE ZELL
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