Forschung im Orbit geht auch nach dem Mir-Absturz weiter
Die russischen Raumfahrt-Techniker bewiesen mit dem präzisen Absturz der Mir ihr hohes Können. In Zukunft werden sie sich auf die Internationale Raumstation konzentrieren.
Genützt hat alles nichts. Erst wollte man die Tabak- und Branntwein-Steuer erhöhen. Dann war an kommerzielle Verwendungen gedacht. Schließlich sollten auch noch Spielfilm-Szenen an Bord gedreht werden. Doch aus all dem wurde nichts. Die 200 Mio. Dollar, die man jährlich für den Betrieb der russischen Raumstation Mir brauchte, waren nicht mehr aufzutreiben. Der Kreml – mit Auslandsschulden von etwa 100 Mrd. DM – konnte und wollte nicht mehr zahlen. Und so kam es, wie es kommen musste. Am 23. März konnten die russischen Raumfahrt-Techniker noch einmal ihr Können beweisen. Mit hoher Präzision brachten sie die Reste der 140 t schweren Raumstationen zum Absturz im vorgesehenen Landegebiet im Südpazifik.
Inzwischen trauern die russischen Kosmonauten zwar um ihre verlorene Weltraum-Basis. „Natürlich muss alles einmal zu Ende gehen,“ meint etwa Pawel Winogradow, aber es sei doch so, „als ob man sich sein eigenes Haus baut, nur um es dann wieder abzubrennen.“
Doch um ihre Zukunft brauchen sich die russischen Weltraumflieger nach dem Mir-Absturz – trotz aller jetzt zu hörenden Unkenrufe – dennoch keine Sorgen zu machen. Moskau gehört ein großer Teil der jetzt im Aufbau befindlichen Internationalen Raumstation ISS (Internationale Space Station). Dorthin fliegen die russischen Kosmonauten jetzt schon. Und dort werden sie in Kürze auch den ersten echten Weltraum-Touristen anlanden, den amerikanischen Millionär Dennis Tito – obwohl die Nasa dagegen derzeit noch Sturm läuft.
Auch sonst ist nicht unbedingt zu erwarten, dass Moskau nun im Weltraum klein beigibt. Das hat sich schon bei den Verhandlungen über das Kommando an Bord der ISS gezeigt. Die Nasa hatte ursprünglich durchsetzen wollen, dass der ISS-Kommandant immer ein US-Bürger sein müsse. Doch da bissen sie auf Granit. Der Kreml setzte sich durch. Heute ist vereinbart, dass sich beim Kommando über die Station Amerikaner und Russen abwechseln. So ist derzeit dort der russische Kosmonaut Juri Usachew Chef im Ring.
So werden also die russischen Kosmonauten jetzt keinesfalls arbeitslos. Und auch ihre Forschungen werden sie mit ihren amerikanischen und europäischen Kollegen auf der ISS fortsetzen können – allerdings mit besserem Gerät als auf der Mir. Die russischen Experimente waren kaum auf westlichem Standard.
Waren etwa schon vor Jahren im europäischen Raumlabor Spacelab vier Schmelzöfen für materialwissenschaftliche Versuche vorhanden, so gab es auf der Mir nur einen, der aber nicht die gleichen Temperaturen bereitstellen konnte wie die westlichen Geräte und teilweise sogar ausfiel. Und das ist nur ein Beispiel von vielen.
Die Computer-Ausstattung der Mir war ebenso antik, verglichen mit amerikanischem Raumfahrtgerät wie die Übertragungsmöglichkeit der wissenschaftlichen Messdaten aus der Station. Die Russen verfügten nicht über Spezialsatelliten für die Übertragung der wissenschaftlichen Daten wie die Amerikaner, die 24 Stunden am Tag ihre Daten live zur Erde übermitteln konnten. Die Russen konnten dagegen ihre Daten jeweils nur minutenlang empfangen, so lange Mir im Bereich russischer Bodenstationen war.
Von den Experimenten aus der Mir-Station, so Klaus Berge, Direktor für Raumfahrtprojekte beim DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt), werde praktisch nichts direkt übernommen. Man werde zwar die auf der Mir begonnene Grundlagenforschung weiter betreiben. Doch das mit neu konstruierten, stark verbesserten Experimentalanordnungen, die den Wissenschaftlern Möglichkeiten eröffnen werden, von denen sie auf der Mir bislang nur träumen konnten. ANATOL JOHANSEN