Luftfahrt 26.03.1999, 18:20 Uhr

Flohmarkt für eine High-Tech-Branche

Am kommenden Sonntag werden international die Flugpläne auf den Sommer umgestellt. Die meisten neuen Start- und Landezeiten, Slots genannt, werden vorab international elektronisch aufeinander abgestimmt. Doch es bleibt ein Rest – und um den wird zweimal im Jahr auf einem großen Markt hart gefeilscht.

An den weißen Tafeln vor dem Ballsaal des Berliner Hotels Intercontinental kommt niemand vorbei. Mit rotem Filzstift hat jemand in der linken Spalte, über der „Have“ steht, ein geheimnisvolles „LGW 9.00“ eingetragen und in der rechten Spalte, mit einem großen „Need“ gekennzeichnet, die Kombination „LGW 7.30“. Darunter stehen noch serienweise ähnliche Kombinationen mit den Kürzeln MUC und DUS und JFK, immer versehen mit einer Telefonnummer oder dem Namen eines Ansprechpartners.
Hinter den weißen Tafeln öffnen sich die Türen zum Ballsaal. Gut 200 Tische haben die Angestellten des Berliner Interconti in den Ballsaal gequetscht, an jedem Tisch mehrere Personen, teilweise schon an ihren Uniformen als Mitarbeiter von Fluglinien zu erkennen, vor sich auf dem Tisch dann auch ein Fähnchen mit dem Logo ihrer Fluggesellschaft.
Daß die Szene etwas von einem Flohmarkt hat, täuscht. Hier in Berlin trafen sich im November letzten Jahres die Vertreter der Luftfahrtbranche um eines der höchsten Güter dieses Wirtschafszweiges zu verschachern: Start- und Landerechte, in diesem Fall die des den am kommenden Sonntag beginnenden Sommerflugplans.
Fast alle Fluggesellschaften der Welt, rund 250, waren mit insgesamt 1200 Mitarbeitern anwesend. Sie versuchen auf dieser Tauschbörse das hinzubiegen, woran Hunderte von Fachleuten trotz aufwendiger Computerprogramme gescheitert sind: weltweit die letzten Start- und Landezeiten auf den großen Flughäfen dieser Welt so zu verteilen, daß jede Airline nach dem 28. März zu den ihr angenehmen Zeiten überall dort hinfliegen kann, wohin sie will.
Für die Vergabe von Start- und Landezeiten, sog. Slots, sind die Flugplankoordinatoren zuständig. Jedes Land hat einen oder, je nach Größe, mehrere, und jede Airline, die den Flughafen eines bestimmten Landes anfliegen will, muß sich bei einem dieser Koordinatoren melden.
Der größte Teil aller Slots ist in den Monaten zuvor von den Koordinatoren dieser Welt verhandelt und festgezurrt worden, doch ein erblicher Teil ist immer noch offen: Ein Flughafen wie Frankfurt/Main verhandelt noch gut 10 % bis 15 % seiner Slots auf den Slotbörsen, die zweimal im Jahr, jeweils vor Beginn des neuen Flugplans, stattfinden.
Slots sind rar und wertvoll, da die Nachfrage das Angebot bei weitem übersteigt. Die Zahl der Passagiere soll sich nach den Prognosen der International Air Traffic Association (IATA) weltweit bis zum Jahr 2010 verdoppeln, allein in Europa lag 1998 das Passagieraufkommen bei 177 Mio. Also müssen immer mehr Slots her.
Manchmal bekommen die interessierten Fluggesellschaften sie sehr schnell, und manchmal müssen sie jahrelang darauf warten. Mit etwas Glück läßt sich das vermeiden, wenn eine andere Fluggesellschaft mit passenden Slots zum Tausch bereit ist. Die Tauschangebote stehen dann auf den großen weißen Tafeln: „Have LGW 9.00, need LGW 7.30“ heißt: Ich habe am Flughafen in London-Gatwick ein Zeitfenster um 9 Uhr, ich brauche aber eines um 7.30 Uhr.
Auch Ursula Silling, Planungschefin der Deutschen BA, versucht, ein paar günstige Slots für Düsseldorf zu finden, doch das wird nicht klappen. Der Flughafen hat sein Kontingent an Flugbewegungen nahezu ausgeschöpft, die Passagiere des Morgenfluges der Deutschen BA aus München müssen also weiterhin früh aufstehen: Abflug 6.30 Uhr. Dafür hat Silling wenigstens noch ein paar Zeiten am Flughafen Berlin-Tegel umstellen können und herausgefunden, daß sie vielleicht auch noch ein paar Slots mit der Air Liberté tauschen könnte – wenn die Air Liberté will.
Das Jahr ist luftverkehrstechnisch, in einen Sommer- und einen Winterflugplan aufgeteilt – Grund ist vor allem der sprunghafte Anstieg des Urlaubsverkehrs im Sommer, verbunden mit Verschiebungen im Geschäftsverkehr.
Für die Vergabe von Slots gibt es eine Reihe von Kriterien. Wer in zwei aufeinanderfolgenden Flugplanperioden einen Slot durchgängig nutzt, dem werden sogenannte „grand-father rights“ zugestanden – in jeder folgenden Periode werden die Zeiten automatisch genehmigt. Wer auf einem Flughafen besonders lange auf einen Slot gewartet hat, rutscht in der Liste langsam nach oben, bis er den Zuschlag erhält.
Die langen Wartezeiten haben ihren Grund aber auch in der weit verbreiteten Unsitte, daß Fluggesellschaften deutlich mehr Flüge anmelden, als sie dann tatsächlich durchführen. „Strategische Planung“ wird das manchmal genannt, denn man verbessert seine Verhandlungsposition, auch ohne die Slots dann tatsächlich zu nutzen, hält vor allem aber die Konkurrenz fern. Die Folge: Manche Airlines müssen Slots kaufen, wenn sie sie dringend benötigen. Das ist zwar verboten, doch Branchen-insider wissen, daß diese Praxis durchaus üblich ist.
In diesem Schacher verhalten sich die nationalen Flughafenkoordinatoren in der Regel bewußt neutral. „Wir machen weder Verkehrs- noch Regionalpolitik“, so Claus Ulrich, der oberste deutsche Flughafenkoordinator. Ulrich setzt darauf, daß Neutralität und Transparenz ihn und seine Leute von dem Verdacht befreien, die heimischen Fluggesellschaften zu bevorzugen. Früher sei das schon einmal anders gewesen, findet Deutsche BA-Planerin Ursula Silling. Da sei der Koordinator oft Angestellter der staatlichen Fluggesellschaft gewesen und habe dieser, wenn es darauf ankam, auch mal den wichtigen Slot zugeschoben.
Claus Ulrich ist mit zwölf Mann nach Berlin gekommen, jeder ist für eine bestimmte Zahl von Airlines zuständig. Und die üblichen neuralgischen Punkte haben sich auch in Berlin schnell herauskristallisiert: Frankfurt, Düsseldorf und Berlin-Tegel sind zu bestimmten Zeiten so gut wie dicht.
Auch Ulrichs britischer Kollege Peter Morrisroe ist um seinen Job nicht zu beneiden. Eigentlich kann er gar nichts mehr tun. Die beiden wichtigsten Londoner Flughäfen, Heathrow und Gatwick, sind so verstopft, daß es für neue Fluggesellschaften kaum Chancen auf einen Slot gibt. Fünf Jahre lang müssen sie durchschnittlich warten. Denn wer einmal einen Slot in Heathrow hat, gibt ihn so schnell nicht her, sondern meldet ihn wieder an und bekommt ihn in der Regel mit seinen „grandfather rights“ auch.
Innerhalb ihrer weltweiten Allianzen können die Fluglinien Slots dann untereinander tauschen und einem Partner damit Zugang auf einem strategisch wichtigen Flughafen verschaffen. KLM etwa hält 16 tägliche Slots in Heathrow, das reicht also für acht Landungen und acht Starts. Wer weiß, ob nicht eines Tages Allianz-Partner Northwest Airlines ein paar davon abbekommt, wenn es im Interesse der Allianz ist. Dafür sind dann auch keine Tauschtafeln mehr notwendig.
JENS FLOTTAU
Eine unter Tausend: Auch Ursula Silling von der Deutschen BA versuchte im Getümmel des Berliner Slotmarkts ihrer Gesellschaft noch ein paar passende Start- und Landefenster zu besorgen.
Hoffnung auf einen schnellen Deal: Auf schlichten Tafeln bieten und suchen die Fluggesellschaften bei den Slotkonferenzen Start- und Landerechte.

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