Europas Sprungbrett in den Weltraum
An diesem Freitag soll die Ariane 5 mit dem Röntgensatelliten XMM zu ihrem ersten kommerziellen Start ins All aufbrechen. Der europäische Weltraumbahnhof in Französisch Guyana hat sich über die Jahre zu einer leistungsfähigen Infrastruktur entwickelt – zur einzigen in der ehemaligen französischen Kolonie.
Graue Rauchwolken steigen aus dem unendlichen Grün des Urwalds empor. Als der Flieger die letzte enge Kurve vor dem Landeanflug auf den Flughafen von Französisch Guyana zieht, sind in der Ferne einzelne hohe, gelb gestrichene Gebäude zu erkennen – die Integrationshallen und Startanlagen für die europäische Ariane-Rakete.
Das Startgelände des Centre Spatial Guyanais zieht sich an der Küste von Französisch Guyana entlang, ein Streifen von gut 30 km Länge und 10 km Breite nordwestlich des winzigen Ortes Kourou.
Dahinter beginnt der Urwald. Die grauen Rauchwolken sind Brandrodungen an den Ufern des ebenso breiten wie schlammigen Kourou-Flusses. Immer mehr Menschen siedeln sich hier an, unter ihnen viele Asiaten, vor allem Laoten.
Kein leichtes Leben. Heiß und feucht ist es in dieser entlegenen Ecke der Welt, nur gut 500 km nördlich des Äquators. Malaria und Gelbfieber verpesten den Urwald, ein Tummelplatz für virusschwangere Stechmücken, die das Denguefieber übertragen, von Cholerafällen wird berichtet, ohne Hepatitis-Impfung sollte man gar nicht erst ins Land einreisen.
Und doch ist der schmale Küstenstrich zwischen Urwald und Atlantik Europas Sprungbrett in den Weltraum geworden. Am 24. Dezember 1979 hob hier die erste Ariane-Rakete erfolgreich ab, über 120 Raketen sind seitdem von Kourou aus gestartet und haben fast 130 Satelliten ins All gebracht. Knapp 2000 Menschen sorgen auf dem Weltraumbahnhof für den reibungslosen Ablauf der Starts.
Dazu kommen Dutzende von Ingenieuren und Wissenschaftlern, die Wochen vor jedem Start anreisen, den Einbau des Satelliten in die Raketenspitze überwachen, immer wieder seine Funktion überprüfen.
Einer von ihnen ist Holger Brössel von MAN Technologie. Seit 17 Jahren ist er regelmäßig in Kourou, manchmal alle zwei Monate. Und das weniger wegen der Satelliten, sondern, weil MAN Technologie wesentliche Teile für die Ariane-Rakete baut und einen großen Teil der Infrastruktur auf dem Startgelände.
Brössel kennt dieses Gelände in- und auswendig, weiß sofort, wo ein abgebrannter Raketenbooster im Sumpfloch steckt, den man bei der Fahrt durch die schier endlose Sumpf– und Graslandschaft schnell übersieht. Dann taucht ein Skelett von Baugerüsten auf, an denen ein Schild von MAN prangt: „Die neue Halle, in der die Satelliten auf ihren Start vorbereitet werden.“
Gut 20 m tief mussten die Spezialisten der Bauunternehmen bohren, bis sie unter dem Sumpf auf Felsen stießen. Über 100 Stahlpfeiler wurden in den Fels gerammt, auf denen steht jetzt das Fundament der Halle. Doch das ist in dem sumpfigen Gebiet fast die Regel: „Alle wichtigen Gebäude“, weiß Brössel, „stehen hier auf solchen Fundamenten“.
Auch in diesen Tagen rollt wieder eine Ariane an den Start, das neueste Modell, die Ariane 5. Sie hat das gigantische, 11 m lange und 4 t schwere Weltraumteleskop XMM an Bord. Dies soll während der kommenden zehn Jahre den Weltraum nach den Röntgenstrahlen spektakulärer Himmelskörper – Pulsare, explodierende Sterne und Schwarze Löcher – absuchen.
Und am Freitag dieser Woche soll das XMM in den Weltraum aufbrechen.
Noch aber steht die Ariane 5 samt XMM in einem über 80 m hohen Funktionsbau, einem eckigen Turm, auf dessen Dach rot-weiß gestrichene Blitzableiter in der Sonne leuchten.
Der Turm hat eine Art vertikale Schiebetür, die nach oben aufgezogen werden kann, dahinter steht, aufrecht und über 50 m hoch, die Ariane 5.
Jetzt, so kurz vor dem Start, haben nur noch handverlesene Ingenieure Zutritt zu dem Gebäude. Der Röntgensatellit XMM ist bereits in die oberste Raketenstufe integriert und betankt – die Uhr läuft.
Die Routine vor einem Start ist immer die gleiche: Von Europa aus werden die Raketenelemente mit dem Schiff schon Monate vor dem Start über den Atlantik nach Kourou transportiert. Vom Hafen werden sie mit speziellen Lkw in eine Halle, das BIL (Bâtiment Integration Lanceur), gefahren. Dort wird die Rakete aufgerichtet und auf die mobile Startplattform gestellt.
Die beiden großen Booster der Ariane 5 werden ebenfalls mit dem Schiff aus Europa gebracht, dann mit einem festen Treibstoff von radiergummiartiger Konsistenz gefüllt und an den zentralen Raketenkörper angebaut.
Nach dieser Prozedur wird die Rakete aufrecht auf ihrem fast 800 t schweren Starttisch im Zeitlupentempo in ein gut 150 m entfernt liegendes Gebäude das BAF ( Bâtiment Assemblage Final) gezogen.
Kaum zu sehen in dem endlosen Grün die Gebäude für die Herstellung des Treibstoffs, – hohe Hallen mit dicken Betonmauern und einem dünnen Dach. Fliegt die Halle in die Luft, wird die Druckwelle nach oben geleitet und fegt nicht noch die andern Startanlagen vom Platz.
Im BAF werden der oder die Satelliten in die oberste Stufe der Rakete integriert. Das Ganze ließe sich auch in ein und derselben Halle erledigen, doch „der Vorteil von zwei Hallen“, so Brössel, „ist der, dass man, während die eine Ariane zum Start vorbereitet wird, die nächste schon wieder zusammenbauen kann“. Bis zu sieben Ariane 5-Raketen sollen ab dem kommenden Jahr von Kourou aus starten.
Gut sechs Stunden vor dem Start gehen schließlich die Tore der Halle in die Höhe und die Rakete wird langsam auf Schienen zu ihrer letzten Position gezogen, zu der 2,5 km entfernten Startrampe. Fast 1500 t wiegen Rakete und Starttisch jetzt.
Auch um den Startplatz ein Kranz von gigantischen Blitzableitern, alle deutlich höher als die Rakete. Das Raumfahrtkontrollzentrum in Kourou, das Jupiter Space Center, verfügt zwar über eine eigene Wetterstation, aber tropische Gewitter sind tückisch und schnell und ein Blitzeinschlag in die Rakete würde zumindest die Elektronik des Satelliten zerstören, wenn nicht die gesamte Rakete.
Am Startplatz gähnen drei tiefe Löcher in der Erde, über die die Ariane gefahren wird. Sie sollen den Strahl der Ariane-5-Triebwerke nach unten und zur Seite ablenken. Auf Höhe der Triebwerke liegen Dutzende von Wasseranschlüssen, 100 m entfernt ein Wasserturm. Kurz vor der Zündung wird der Raum unter den Triebwerken geflutet. „Weniger zur Kühlung“, erläutert Brössel, „sondern eher, um den Triebwerkslärm zu dämpfen und die Gefahr einer Beschädigung des Satelliten durch den Lärm zu verhindern“. Ein Mensch würde den Lärm der startenden Rakete aus der Nähe nicht überleben.
Genau 7,5 sek nach der Zündung, wenn sicher ist, dass alle Triebwerke funktionieren, hebt die Rakete ab.
Diese gigantische und reibungslos funktionierende Raumfahrt-Infrastruktur ist allerdings bis heute ein Fremdkörper in der ehemaligen französischen Kolonie geblieben. Das symbolisieren weniger die Schlagbäume und die hohen Stacheldrahtzäune um das Startgelände als eher die Slums am Rande von Cayenne und weiter im Landesinnern. „Die Kriminalität wächst“, klagt eine Taxifahrerin spanischer Abstammung, „aus Surinam kommen im Schutz der Nacht Dealer und Kriminelle über den Maroni-Fluß“. Eine lokale Autovermieterin weiß von immer mehr geknackten Autos zu berichten, „aber nennen Sie bloß unseren Namen nicht.“
Das Bruttosozialprodukt von Französisch Guyana, das 1946 von der Kolonie zum Department des Mutterlandes wurde, liegt derzeit bei gut 800 Mio. Euro, die Hälfte wird durch die Satellitenstarts erwirtschaftet. Hohe Arbeitslosigkeit und Millionen von Francs aus Paris für die Sozialhilfe halten das Land ruhig und die Zahl derer, die die Unabhängigkeit Französisch Guyanas von Frankreich wollen, gering.
Die einzige ernst zu nehmende alternative Wirtschaftsstruktur entwickelt sich im Süden des Landes, im Urwald. Tausende von Menschen suchen hier unter abenteuerlichsten Bedingungen nach Diamanten und Gold, vergiften die Flüsse mit Zyaniden und Quecksilber, die beim Goldschürfen frei werden.
Alles keine Alternativen zu den Satellitenstarts. Also werden weiter die Raketen über Kourou in den Himmel steigen und die Rauchwolken der Brandrodungen. moc
Der größte Wissenschaftssatellit Europas, das Röntgenteleskop XMM, verpackt für die Reise ins All.
Der Starttisch für die Ariane 5-Rakete. Auf diesem Starttisch wird die Rakete montiert, über das Gelände bewegt und schließlich gestartet.
Durch dieses Loch wird der Schub der Ariane-Rakete beim Start nach unten abgelenkt. Im Hintergrund die Wasseranschlüsse für Kühlung und Lärmschutz.
Die Ariane 5 beim Start. Links im Bild einer der Blitzableiter. Die neue Ariane-Rakete kann bis zu 6,5 t Nutzlast in einen erdfernen Orbit bringen.
Anlieferung von Teilen für die Ariane 5 an der Integrationshalle
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