Die unendlichen Weiten der Technik
VDI nachrichten, Essen, 8. 4. 05 – Nein – Ingenieure, die bald als Astronauten ins Weltall fliegen, werden derzeit nicht gesucht. Und die europäische Raumfahrtindustrie kann nur in begrenzter Zahl Nachwuchsingenieure einsetzen. Doch wer sich wirklich für die Erforschung des Alls und die wirtschaftliche Nutzung der Raumfahrt interessiert, hat durchaus berufliche Perspektiven.
Alexander Dahm hat es kürzlich beim Ehemaligentreffen noch einmal nachlesen können. Vor 20 Jahren schrieb er in der Abiturzeitung: „Ich möchte Luft- und Raumfahrtingenieur werden“. Heute ist der 39-jährige Mitarbeiter von EADS Space Transportation und Programmleiter der Ariane 5-Produktion. Doch bis dahin war es ein weiter Weg, bekundet der Absolvent der TU Braunschweig.
„Vielleicht liegt es ja in der Familie, denn mein Urgroßonkel war einer der Testpiloten für die ersten Düsenflugzeuge“, berichtet Dahm, und ja, er habe als Jugendlicher auch mit Leidenschaft Helikopter- und Flugzeugmodelle zusammengebaut. So jemand geht dann natürlich an die Uni, um Flugzeugbau zu studieren.
Zum entscheidenden Erlebnis wurde aber ein Vortrag von Reinhard Furrer, der als dritter deutscher Astronaut an der D1-Mission teilgenommen hatte und 1985 mit der US-Raumfähre Challenger ins All geflogen war. „Da ist ein Funke übergesprungen und ich habe dann noch den Studiengang Raumflugtechnik vertieft.“
Ein Zufall brachte Alexander Dahm nach Bremen zum Praktikum bei einem Vorläuferunternehmen seines jetzigen Arbeitgebers. Noch in der Diplomphase kam das Jobangebot. „Damals sah man die Kommilitonen aus dem Studium irgendwann alle im Beruf wieder, heute gibt es bei uns durchaus Quereinsteiger, beispielsweise aus dem Fahrzeug- und Flugzeugbau“, erläutert der als so genannter „Kaminaufsteiger“, also in einem Themengebiet im Beruf erfolgreiche, Alexander Dahm.
Die EADS Space ist ein 100 %iges Tochterunternehmen der European Aeronautic Defence and Space Company (EADS) mit rund 12 000 Mitarbeitern in Frankreich, Deutschland, Großbritannien und Spanien. Die Sparte EADS Space Transportation beschäftigt sich mit den Trägersystemen und Raumfahrt-Infrastrukturen.
Verhandlungssicheres Englisch und Französischkenntnisse sind für deutsche Mitarbeiter in dieser europäischen Organisation unerlässlich. „Mit ein, zwei Ausnahmen habe ich noch nie technische Berichte in deutscher Sprache verfasst“, verdeutlicht Alexander Dahm, wie notwendig es ist, sich bereits im Studium entsprechendes Wissen anzueignen. Seine Arbeit am Standort Paris sei im Alltag immer noch geprägt von der Technik, aber als Programmleiter habe er vor allem auch die wirtschaftliche Seite des Ariane-Projektes im Auge zu behalten. Obwohl die Raumfahrt für Ingenieure keine Massenveranstaltung sei, gebe es für wirklich Interessierte immer Möglichkeiten in diesen Beruf hineinzufinden, rät Alexander Dahm.
Ähnlich sieht es Lutz Richter, der sich im Institut für Raumsimulation des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit dem Bohrsystem für die eine neue europäische Marsmission beschäftigt. Auch er fand nach dem Studium der Luft- und Raumfahrttechnik an der RWTH Aachen über ein Praktikum den gleitenden Übergang ins DLR, für das er inzwischen seit zwölf Jahren arbeitet. Dieser direkte Einstieg sei längst nicht selbstverständlich, da es nicht genügend Stellen gebe. Die Ausbildung sei aber so breit und umfassend angelegt, dass auch der Weg in andere Branchen eine Option sei, betont Richter.
„Man kann beispielsweise durchaus in die Kfz-Industrie gehen“, berichtet der inzwischen promovierte Ingenieur. Für die Raumfahrttechnik als Beruf reiche es auf jeden Fall nicht aus, einfach nur vom Thema „Raumfahrt“ begeistert zu sein, grundlegend blieben Mathematik und Naturwissenschaften auf besonders hohem Niveau. Das Faszinierende an der Raumfahrttechnik seien die immer sehr aufwändigen Systeme, die jahrelange theoretische Analyse und Testreihen erfordern.
„Wir arbeiten an Technologien, die auch in Extremsituationen funktionieren müssen, die völlig neue Wege erfordern, weil mit den normalen Entwicklungen der Industrie die Aufgabenstellungen der Raumfahrt nicht zu lösen sind“, erläutert Prof. Achim Bachem, als Fachvorstand für 16 raumfahrt- und verkehrsbezogene Institute und Einrichtungen des DLR zuständig. In der Raumfahrt gebe es zudem immer nur die eine Chance, denn entweder starte eine Rakete beispielsweise erfolgreich oder sie sei zerstört, wenn etwas schief geht.
Das DLR nehme ganz bewusst die Rolle eines „Durchlauferhitzers“ für den wissenschaftlichen Nachwuchs an. Grundsätzlich seien nur die Hälfte der Mitarbeiter fest angestellt, die anderen verlassen nach etwa fünf bis acht Jahren die Forschungseinrichtungen und gehen dann zu etwa 30 % in die Raumfahrtindustrie.
„Wir stellen aber immer wieder fest, dass es auch für andere Industrien hochattraktiv ist, unsere Mitarbeiter für sich zu gewinnen, die innerhalb unserer Projekte praktisch industriell arbeiten müssen und dazu die Forschungskomponente zu bewältigen haben“, berichtet Bachem. Auch wenn also nur die wenigsten Absolventen der expliziten Studiengänge auf lange Sicht ihre Karriere in der Raumfahrttechnik verfolgen können, sind ihre Qualifikationen eine sichere Basis für Aufgaben in anderen Branchen, konstatiert Bachem. MANFRED BURAZEROVIC
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