Die Industrie entdeckt den Weltraum
ein Industrie-Experiment zur Materialforschung.
Schwerelos schwebt Wilfried Bender unter der Decke des Airbus über drei großen Experimentiereinrichtungen, macht Fotos, wirft von der Decke einen Blick auf die Monitore, gleitet weiter.
Dann tönt aus dem Lautsprecher eine ruhige Stimme „twenty“, dann „thirty“, Bender hangelt sich an den im Airbus gespannten Seilen zurück auf den Boden, schließlich „pull out“.
Übergangslos setzt die Schwerkraft wieder ein, mehrmals rumst es im Flieger: Die, die sich zu spät nach unten gehangelt haben, knallen unsanft auf den gepolsterten Boden.
Bender ist nur einer von gut 30 Wissenschaftlern an Bord des Airbus A300. Sie alle haben das gleiche Ziel: Das Verhalten von Materialien, Pflanzen und Lebewesen unter Bedingungen der Schwerelosigkeit zu erforschen.
Bender allerdings ist unter den Wissenschaftlern ein Exot: Als Mitarbeiter von Hydro Aluminium Deutschland ist er der einzige Industrieforscher an Bord des Airbus.
Mit gut 500 km/h stürzt sich der Flieger jetzt in einem Winkel von 42 ° in Richtung Meer. Dann zieht der Pilot die Maschine in die Horizontale. Arme und Beine zu bewegen, wird mühsam, 1,8 g lasten jetzt auf dem Körper.
Danach ist 90 s alles wieder wie in einem normalen Flugzeug, nur dass in diesem speziellen Airbus an Stelle der Sitze 15 verschiedene Experimentiervorrichtungen am Boden verschraubt sind, dick ummantelt mit Schaumstoff.
Seit 1973 werden mit diesem Airbus Parabeln geflogen – um Forschung in der Schwerelosigkeit zu treiben, Astronauten auszubilden oder Experimentieranlagen auszutesten.
Diesmal fliegt der Airbus im Auftrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln.
Wieder läuft der Countdown, das Kommando „pull up“ ertönt, mit Höchstgeschwindigkeit nimmt der Flieger die Nase nach oben und wieder nagelt fast die doppelte Schwerkraft den Körper an den Boden des Flugzeugs. Immer steiler steigt die Nase, bis zu 47 °, ein Passagierflugzeug kommt bestenfalls auf 18 °.
Und dann das Kommando „injection“. Der Pilot nimmt den Schub zurück und plötzlich ist alles anders als es jemals auf der Erde sein kann. Schwerelos steigen die Wissenschaftler zur Kabinendecke auf, einige haben sich am Boden verschnürt, um den Kontakt zu ihren Experimenten nicht zu verlieren.
Jetzt genügt es, sich leicht von der Wand abzustoßen und man setzt sich in Bewegung, dreht sich um die eigene Achse oder schlingert durch die Kabine, den Kopf nach unten. Es ist wie schwimmen, nur ohne Wasser.
Genau 22 s dauert diese Phase der Schwerelosigkeit, gegen Ende wieder die Warnungen aus dem Cockpit. Wer sich jetzt nicht in Richtung Boden bewegt, dem droht beim „pull out“ eine harte Landung.
Fünf solcher Parabeln hintereinander fliegt der Airbus A300, dann sind fünf Minuten Pause.
Bender nutzt mit mehreren Wissenschaftlern aus Universitäten und Forschungseinrichtungen eine spezielle Anlage – Tempus genannt – , in der Materialien unter Schwerelosigkeit in einem elektromagnetischen Hochfrequenzfeld berührungsfrei aufgeschmolzen und schnell wieder abgekühlt werden können.
Kern dieser Schmelzanlage ist ein rotierendes Magazin mit acht Materialproben, zumeist Metalllegierungen. Sie sitzen in schützenden Keramikhülsen oder winzigen Drahtkäfigen, haben die Form von kleinen Kugeln mit 6 mm bis 8 mm Durchmesser und wiegen gut 1 g.
Nach dem Aufschmelzen wird die Probe zum Schwingen angeregt, Hochgeschwindigkeitskameras nehmen das Schwingungsverhalten der Probe während des Schmelzvorganges und der nachfolgenden Erstarrung auf. „Das“, so Bender, „lässt Rückschlüsse auf Viskosität und Oberflächenspannung in Abhängigkeit von der Temperatur zu.“
Auf dem Bildschirm des Monitors ist eine hellgraue, schwingende Kugel zu erkennen, die während der Phase der Schwerelosigkeit aufflackert und dann wieder dunkler wird.
„Materialdaten für kritische Temperaturbereiche, etwa den Übergang von der Schmelze zur Erstarrung, sind für neue Legierungen oft nur schwer zu ermitteln“, erklärt Bender. Gute Materialdaten aber sind die Grundlage der Simulation von Gießprozessen.
Bei den Parabelflügen lässt Bender Aluminium-Legierungen bis zu 1300°C aufheizen, dann schnell wieder abkühlen. Interessant ist dabei vor allem die Temperatur um 800°C, bei der die Legierung langsam zu erstarren beginnt.
Aus dem Cockpit kommt wieder der Countdown. Noch wenige Sekunden bis zur nächsten Parabel. Die, die schon öfter mitgeflogen sind, bleiben stehen oder setzen sich, manch einer legt sich auch hin. Wichtig nur, dass man während der 1,8 g-Belastung den Kopf nicht zu schnell zur Seite bewegt.
Doch nicht alle halten sich daran. Ein käsiges Gesicht ist die Strafe, die hektische Suche nach der obligaten Papiertüte unvermeidlich. Schon nach zehn von insgesamt 30 Parabeln ziehen sich die ersten von ihren Experimenten auf die Sitze im hinteren Teil des Fliegers zurück, und beschäftigen sich von da an vor allem mit ihrem Magen.
Bender steckt die Parabeln gut weg. Schon mehrfach ist er für sein Unternehmen mitgeflogen. Was Unternehmen wie Hydro Aluminium interessiert, sind die Eigenschaften wie Dichte, Viskosität und Oberflächenspannung neuer Hochleistungslegierungen, wie sie für die Herstellung von Aluminium-Motoren oder Zylinderköpfen gebraucht werden.
„Wir haben Ansätze für neue Legierungen“, so Bender. „Diese Legierungen werden normalerweise im Gießlabor getestet.“ Das aber kostet viel Zeit. Deshalb sollen numerische Simulationen des Gießverhaltens für schnelle Lösungen sorgen. „Dafür benötigen wir präzise Materialdaten. Denn unsere Simulationen sind nur so gut wie die Daten, die wir haben.“
Unter Schwerelosigkeit lassen sich diese Fragen ideal untersuchen, da die natürliche Konvektion wegfällt.
Bender ist mit dem Test zufrieden. Die Probenhalterung ist gut ausgeleuchtet, die beiden Kameras zeichnen einwandfrei auf. „Für uns“, so Bender, „war das ein großer Erfolg.“ Schon jetzt hat sich herausgestellt, dass einige der untersuchten Legierungen bis zu zehn mal viskoser, sprich zäher, waren, als man bisher angenommen hatte.
Hydro Aluminium verspricht sich von diesen Experimenten wirtschaftlich messbare Erfolge und nimmt dafür auch eigenes Geld in die Hand. Über Kosten wird ungern geredet, aber es dürften einige 100 000 € sein.
Das DLR fördert diese industriellen Interessen, indem es die Tempus-Anlage zur Verfügung stellt.
„Was wir jetzt brauchen“, so Bender, „sind längere Phasen der Schwerelosigkeit.“ Über den Mitflug auf einer Maxus-Rakete denkt das Unternehmen deshalb bereits nach (siehe Kasten).
Noch sind Unternehmen wie Hydro Aluminium mit solchen Forschungsvorhaben selten. „Doch wenn andere Unternehmen merken, dass wir mit dieser Art der Forschung Erfolg haben“, so Bender, „dann kommen sie auch.“
Auch wenn manch ein Wissenschaftler den Airbus käsig und mit zittrigen Knien verlassen wird. W. MOCK
Forschen unter Schwerelosigkeit Parabelflüge lassen Phasen der Schwerelosigkeit bis zu 22 s zu. Wesentlich länger sind die Phasen der Schwerelosigkeit bei den europäischen Texus- (360 s) und Maxus-Raketen (800 s). Diese Raketen werden vom schwedischen Kiruna aus gestartet. Ein bis zwei Wochen Schwerelosigkeit hat man bei Shuttle-Flügen, bis zu drei oder vier Monate auf der Raumstation. Länger sind die Phasen der ungestörten Schwerelosigkeit auch dort nicht. Jeder Andockvorgang, vor allem aber die mindestens alle vier Monate notwendige Anhebung der Station auf ihre Umlaufbahn stört die Schwerelosigkeit an Bord. moc |
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