„Der Markt ist leer gefegt“
VDI nachrichten, Hamburg, 19. 5. 06, moc – Die Zuliefer-Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie suchen Luft- und Raumfahrt-Ingenieure – händeringend. Selbst kleine und mittelständische Betriebe rekrutieren neue Mitarbeiter jetzt zunehmend im Ausland.
Die Future Engineering GmbH ist ein klassischer Luft- und Raumfahrt-Mittelständler. Das Portfolio des norddeutschen Ingenieurdienstleisters ist komplex und anspruchsvoll: Für Komponenten- und Baugruppenentwicklung oder Struktur- und Kinematikanalysen braucht das Unternehmen erstklassig ausgebildete Mitarbeiter. Nur so lassen sich die Arbeitspakete bewältigen, die Future Engineering von Airbus übernimmt. Am Stammsitz in Hamburg und in Filialen in Bremen, Baden-Baden und Toulouse stehen knapp 300 Leute in Lohn und Brot, viele von ihnen sind Ingenieure.
Wie fast alle Zulieferer profitiert auch Future Engineering vom Aufschwung in der zivilen Luftfahrt. „Allein im ersten Quartal des Jahres haben wir 40 neue Leute eingestellt“, sagt Geraldine Cart, Mitglied der Geschäftsleitung und zuständig für Marketing und Business Development: „Die Branche kann sich wirklich nicht über mangelnde Aufträge beklagen.“
Tut sie auch nicht – viele Betriebe, vor allem die kleineren, haben zurzeit ganz andere Sorgen: Auf dem Arbeitsmarkt gibt es kaum noch qualifizierte Luft- und Raumfahrt-Ingenieure. Der Boom hat praktisch alle Ressourcen abgesaugt. Deshalb bieten viele Arbeitsämter und auch etliche Unternehmen aus der Branche Qualifizierungsmaßnahmen z. B. für Architekten oder Bauingenieure an. „An der Hamburger Hochschule für angewandte Wissenschaften gibt es einen 500-Stunden-Crash-Kurs, in dem Branchenfremde die Luft- und Raumfahrt-Grundlagen lernen“, weiß Uwe Gröning vom Verband Hanse-Aerospace e.V.: „Ein Schritt in die richtige Richtung.“
Dennoch können all diese Maßnahmen den Bedarf nicht decken, sagt Gröning, dessen Organisation bundesweit 120 kleine und mittelständische Unternehmen der Luft-und Raumfahrt vereint: „Deutschlands Hochschulen bilden einfach zu wenig Luft- und Raumfahrtingenieure aus.“
„Der Markt ist leer gefegt“, bestätigt auch Future-Engineering-Managerin Cart: „Etliche Mitbewerber suchen ihr Glück schon auf Recruiting-Messen im Ausland.“
Auch Arndt Schoenemann streckt bereits die Fühler aus – in Richtung Indien und nach Osteuropa. „In Deutschland herrscht bei Ingenieuren und Facharbeitern ein totaler Engpass“, sagt der Geschäftsführer des Hamburger Zulieferers Dasell Cabin Interior GmbH: „Wir überlegen nun, neue Leute in Ungarn und der Tschechischen Republik zu rekrutieren.“
Damit nicht genug: Arbeitspakete sollen nach Indien ausgelagert werden – auch um dem steigenden Kostendruck besser begegnen zu können.
Dasell produziert unter anderem Waschräume und Bordtoiletten für die gesamte Airbus-Flugzeugfamilie. Bald soll die erste Dusche zum Einbau in die A380 einsatzreif sein.
Jobsuche für Ingenieure
Das Unternehmen, an dem Airbus Deutschland mit 50 % beteiligt ist, hat 360 Mitarbeiter an Bord. 30 von ihnen sind Ingenieure. 40 neue Mitarbeiter will Dasell in diesem Jahr noch einstellen.
Dass Schoenemanns Hauptauftraggeber und Anteilseigner beim Personal ebenfalls massiv aufstockt, macht die Sache für ihn nicht leichter: „Airbus zieht natürlich gut ausgebildete Arbeitskräfte an“. Dabei seien Mittelständler für Bewerber oft interessanter als ein Großkonzern: „Da warten oft viel anspruchsvollere Aufgaben mit einer größeren Bandbreite.“
Wenn Schoenemann Recht behält, dann hat sich das Personalproblem der Branche relativ bald schon auf natürliche Weise gelöst: „Nach dem Rekord im Jahr 2005 erwartet die Luftfahrtindustrie für dieses Jahr deutlicher weniger Nachfrage von Airlines.“
Falls sich dieser Trend fortsetze, dann könnte schon 2008 ein Abschwung kommen mit deutlichen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
So negativ sieht Verbandsfunktionär Gröning, der mit der Firma Innovint Flugzeuginneneinrichtungen entwickelt und produziert, die Zukunft für Beschäftigte der Luft- und Raumfahrt nicht. Die großen Flugzeughersteller seien die kommenden fünf Jahre ausgelastet. „Und dann gibt es immer noch das stark wachsende Geschäft mit der Wartung. Selbst wenn Airbus und Boeing die Kapazitäten wieder herunterfahren.“ HEIKO REUTER