Unter die Haut
Gegenstände des Alltags müssen mit viel Sorgfalt entwickelt und ständig optimiert werden, damit sie sich am Markt behaupten. Da macht ein scheinbar so simples Produkt wie ein Elektrorasierer keine Ausnahme.
Um ihn herum ist es stockdunkel. An zwei Gummischnüren hängt der Elektrorasierer in der Luft, genau im Zentrum der sechs Mikrofone, und summt vor sich hin. Sonst ist es still im Raum, totenstill. Die gewaltigen Schaumstoffgebirge an Wänden und Decke verschlucken sofort jedes Geräusch. Nur die Mikrofone an den metallenen Gestängen dicht um den Rasierapparat herum horchen gespannt, was er von sich gibt.
Von all dem ahnen die 9051 Kronberger nichts. Hier, im beschaulichen Städtchen im Taunus, mitten im Speckgürtel von Frankfurt am Main, hat der Hausgerätehersteller Braun seinen Sitz. Hier reifen Ideen für neue Zahnputzsysteme, Haartrockner, Epilierer, Blutdruckmessgeräte und – vor allem – elektrische Rasierapparate, die knapp ein Drittel des Umsatzes von 1,19 Mrd. ! ausmachen.
Hinter der doppelten Tür des Akustiklabors sitzen Laborleiter Dr. Wolfgang Brey und Albrecht Jestädt, Leiter Forschung und Entwicklung, gespannt vor dem Monitor. Mit PC und Frequenzanalyzer zerlegen sie die Geräusche, die der Rasierapparat von sich gibt. Ein Gewirr von Graphen und Balkendiagrammen gibt den beiden Aufschluss darüber, ob der Rasierer einen für den Kunden ansprechenden, angenehmen Sound hat.
„Ein sonores Geräusch, das in sich stimmig ist, vermittelt eine Solidität des Produktes, die von immenser Wichtigkeit ist“, beschreibt Jestädt das Prinzip von „Akustik-Design“. Neben Form, Farbe und Funktion ist das Geräusch eines Rasierers ein wichtiger Faktor. Der ideale Rasierer ist nicht zu laut und sein Lauf übertönt nicht das Rasiergeräusch. Denn das Ohr rasiert mit: Das Geräusch soll die Hand des Benutzers dorthin führen, wo auch die letzten der bis zu 15 000 Haare stehen und das Gerät statt eines Summtons ein zufriedenes Raspeln hören lässt.
Es gibt Geräte, die so unangenehme Töne von sich geben, dass man sie in den Morgenstunden nicht ertragen möchte. Jestädt schaltet zur Demonstration ein Gerät der Konkurrenz aus Fernost ein – ein Hornissenschwarm scheint den Raum zu füllen. Entscheidend sei jedoch nicht die Lautstärke, sondern „das Geräusch in seiner gesamten Harmonie“.
Jestädt nimmt das neueste Modell aus eigener Entwicklung zur Hand, vorläufiges Endprodukt einer über fünfzigjährigen Erfahrung: die Haut aus schwarzem Gummi mit Metallik-Sprengseln darin, darauf ein himmelblauer Schaltknopf und oben der neu entwickelte, bewegliche Scherkopf. Jestädt hält den Rumpf des laufenden Rasierers an ein Wasserglas. Nichts. Dann schaltet er ein älteres Braun-Modell ein und es vibriert laut, als er damit das Glas berührt. Bei der Neuentwicklung werden die Schwingungen komplett in den Scherkopf geführt, wodurch dieser sehr schnell vibriert, während der Rumpf ruhig in der Hand liegt.
Ein paar Türen weiter leitet die Ingenieurin Ursula Lenz-Glock das „Quality Laboratory“. Hier steht der Bart-Simulator, eine Eigenkonstruktion. „Beim Mann haben wir leider das Problem, dass es 24 Stunden dauert, bis der Bart wieder nachgewachsen ist – und so viel Zeit haben wir nicht“, erläutert sie ihre trickreiche Erfindung und die 5 km Kunstbart, die darauf warten, in den nächsten Jahren abrasiert zu werden. In dem handbreiten Gewebeband sind Nylonfäden eingewoben mit der gleichen Dicke, Länge und Populationsdichte wie männliche Bartstoppeln: 0,06 mm bis 0,2 mm dick, 0,4 mm lang und 30 bis 50 Stück pro cm².
Lenz-Glock kennt sich mit Rasieren besser aus als viele Männer. Sie spannt einen Rasierapparat in den „Bartsimulator“ und kippt ihn, so dass er auf dem Textilband aufliegt. Per Videokamera wird nun beobachtet, wie der Rasierer die Nylonfäden abschneidet, die unter ihm hindurchgezogen werden. Die elektronische Bildverarbeitung ermittelt genau, wie viele Stoppeln nur abgeknickt werden oder stehen bleiben.
Das aber ist nur ein erster Test, denn der echte Bart ist nicht so einfach zu entfernen. Das männliche Gesicht ist weitaus komplexer, besteht es doch aus einem – im Idealfall – kantigen Kinn, der Halsregion, Wangen und Oberlippe. Dies kann nicht simuliert, sondern muss in echt rasiert werden. Dazu gibt es im Hause Braun den „Rasier-Roboter“, einen konventionellen Industrieroboter-Arm, der einen Elektrorasierer führt. Er hilft, die Rasierleistung eines Produktes objektiv zu beurteilen. Während sich Konstrukteur Werner Dalitz bereit erklärt, zur Demonstration seine Backe hinzuhalten, erläutert Jestädt die Prozedur: „Der Roboter folgt der Gesichtskontur mit konstantem Andruck und steter Geschwindigkeit. Er ist selbstlernend, nimmt die Gesichtskontur an und fährt sie selbsttätig ab.“
Inzwischen hat Dalitz Platz genommen, der Rasierer summt und der Roboterarm streckt sich, bildet einen rechten Winkel und dreht sich zum Probanden, der sich unwillkürlich etwas steif macht. Behutsam fährt der Arm auf den Kopf zu, der Rasierer berührt die Wange und beginnt zu raspeln. Langsam wird er 2 cm nach oben und nach unten geführt – das reicht zur Demonstration – dann fährt der Arm surrend in seine Ausgangsposition zurück.
Bei einem echten Test schließt sich sechs Stunden später eine Nassrasur an, schildert Jestädt den weiteren Ablauf. In dieser Zeit sind die Barthaare um 0,1 mm nachgewachsen. „Wir sammeln den Rasierschaum komplett und trennen ihn von den abrasierten Haarstoppeln. Diese Haarstoppeln werden gewogen und sind ein Maß für die Rasur.“ Da die Trennung der Barthaare von Hautschuppen und Rasierschaum sehr aufwendig ist, dauert diese Probe zwei Stunden.
Ein moderner Rasierer ist nicht nur für Stoppeln da, sondern stutzt auch Bärte. Wie gut sich der Langhaarschneider schlägt, kontrollieren die Braun-Experten mit einer raffinierten Fadenbox. 100 Spulen mit Nylonfäden müssen in das Gehäuse aus Plexiglas eingesetzt, die Fäden in Zehner-Bündeln ausgefädelt und in einen Kamm eingelegt werden, hinter dem der Langhaarschneider des Rasierers sitzt und seine Schneidfertigkeit beweisen muss. Schließlich gilt es auch hier, nicht abzuknicken, was abgetrennt, nicht abzurupfen, was abgeschnitten werden soll.
Natürlich drängt sich am Schluss die Frage auf, was gründlicher ist: die Nassrasur oder die elektrische Trockenrasur? Jestädt lächelt verschmitzt und bleibt die Antwort schuldig. Weil Braun seit 1967 zum internationalen Gillette-Konzern gehört, schweigt man sich darüber lieber aus. Denn die konzerneigene Konkurrenz stellt Nassrasierer her. Und da will man sich nicht gegenseitig die Butter vom Brot nehmen – pardon, die Stoppeln vom Kinn rasieren… JOACHIM HECKER
Rasieren in der Zukunft
Wartungsarm und superschnell
Rasiert man sich bald mit einem „Laser-Rasierer“, bei dem ein Lichtstrahl aus Miniatur-Laserdioden die Barthaare einzeln von oben her verdampft? Patente dafür liegen zwar schon vor, doch ist die Technik noch nicht ausgereift: Das Risiko, dass der Laser statt des Barthaares die Haut trifft, ist recht groß.
Konkreter sind dagegen Bemühungen, die Elektromechanik weiterzuentwickeln. So soll die Schnittfrequenz von derzeit bis zu 267 Schnitten pro Sekunde stetig erhöht werden. Auch die Geometrie der Scherfolie ist noch nicht ausgereizt. Dünneres Metallfolien gestatten, tiefer abzuschneiden, eine andere Lochausformung fängt mehr Haare gleichzeitig ein. Eine verbesserte Haar-Einfädelung soll auch Haare in Problemzonen schneller in den Griff bekommen. Insgesamt, so verlautet der Hersteller Braun, soll die Zeit für eine Elektrorasur von derzeit durchschnittlich drei bis vier Minuten noch auf die Hälfte reduziert werden.
Auch der Komfort wird wichtiger: Wartungsarme Rasierer, deren Schneidwerk in einem Reinigungsgerät automatisch gesäubert und nachgefettet wird oder die beim Gebrauch eine erfrischende Rasieremulsion abgeben, haben den Markt bereits erobert. Inzwischen sind Rasierer mikroprozessorgesteuert, die komplette Elektronik ist auf einer Leiterfolie um den Akku-Block platziert. Die Steuerung analysiert den Motorstrom und schließt daraus auf die Menge der geschnittenen Barthaare und damit auf den Verschmutzungsgrad des Scherkopfes. Im LC-Display erscheint automatisch eine Aufforderung zur Reinigung des Gerätes. Jh
Nass- oder Trockenrasur?
Die meisten mögen“s nass
Je nach Hautverträglichkeit bevorzugen Männer die Nassrasur mit Rasierklinge und Schaum oder die Trockenrasur. In Deutschland rasieren sich 56 % der Männer nass, 44 % trocken. In südlichen Ländern wächst der Anteil der Nassrasierer, weil die Nassrasur in warmen Regionen besonders erfrischend ist.
Unter den Trockenrasierern konkurrieren das „rotierende Schersystem“, bei dem sich meist drei Schneidmesser in geschlitzten Rundkäfigen drehen, und das „Scherfolien-System“, bei dem ein Schlitten mit Messern unter einer dünnen Lochfolie hin und her bewegt wird. Nach den Testurteilen der Stiftung Warentest arbeiten beide Systeme ähnlich gründlich. Bei verwirbeltem Bartwuchs eigne sich das rotierende Schersystem besser und Bartträger könnten mit dem Scherfolien-System exakter arbeiten
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