Textilindustrie bekommt „Webtechnik 2.0“
Heutige Webmaschinen sind klassischen Webstühlen in vielerlei Hinsicht überlegen. Nachdem die Mechanik nahezu an die Grenzen ihrer Belastbarkeit ausgereizt ist, beginnt jetzt das digitale Zeitalter. Statt komplexer Synchronisation über viele Zahnräder übernimmt nun Elektronik die Kontrolle im Prozess. Der Hersteller Lindauer Dornier will damit erfolgreich aus der Krise kommen. VDI nachrichten, Lindau, 23. 10. 09, ciu
Sie gehörte zu den ersten Krisenopfern – und das weit früher als viele andere: die Textilmaschinenindustrie. Die lebensnotwendigen Exportmärkte in Asien brachen bereits Ende 2007 ein und auch die aktuellen Zahlen sehen nicht gut aus: Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) prognostiziert für 2009 einen Rückgang von 40 % für den Umsatz aus deutscher Produktion. Doch für die Zukunft ist man optimistisch: „Es geht wieder nach oben, die Anzahl an Projekten und Auftragseingängen steigt“, sagte Sibylle C. Wenisch vom VDMA-Fachverband Textilmaschinen.
Die Situation bleibe laut Fachverband dennoch schwierig. China entwickelt sich immer stärker zum Exportland. Maschinen, die Kleider- und Möbelstoffe für Massenware produzieren, kommen zunehmend aus Asien. Mit 95 % Exportanteil ist die deutsche Textilmaschinenindustrie aber auch auf Bestellungen aus diesen Volumenmärkten angewiesen.
Deutsche und europäische Hersteller profitierten, so Wenisch, vor allem vom Bedarf an Maschinen zur Produktion technischer Textilien. Der Anteil dieser Gewebe an der Gesamttextilproduktion beträgt in Deutschland z. B. rund 50 %. Anwendungen reichen von Glas- oder Carbonfasern für die Flugzeugindustrie über Bautextilien für Betonbewehrung oder Brückenbau bis hin zu Geweben für Airbags oder antimikrobielle Textilien.
„Um aber den steigenden Bedarf an technischen Textilien decken zu können, bedarf es auch einer entsprechend hochqualifizierten Maschinentechnologie. Denn sonst laufen uns die Asiaten den Rang ab“, sagte Michael Ebeling, Geschäftsführer Webmaschinen bei der Lindauer Dornier. Das könnte verheerende Folgen haben: „Dann haben wir auch Mühe, wichtige Abnehmer wie den Flugzeugbau überhaupt langfristig in Europa zu halten“, fügte Ebeling hinzu.
Die Lindauer Dornier hat sich unter anderem mit Webmaschinen für hochwertige Stoffe und technische Textilien weltweit etabliert. Obwohl sie zu den ältesten Maschinen der Menschheit gehören, stellen manche Kennzahlen der „Hightech-Webstühle“ heute sogar Formel-1-Wagen in den Schatten. Denn die hochkomplexen, aus Faserverbundwerkstoff gefertigten Greifer der Dornier-Maschinen erreichen maximale Beschleunigungen von 3400 m/s2. Mit diesem Spezialprodukt behauptet sich das Lindauer Unternehmen erfolgreich im internationalen Wettbewerb.
Als Hersteller für Maschinen, die Stoffe für Designeranzüge weben oder feinste Alpakawolle und Kaschmirseide verarbeiten, hat das Unternehmen einen Weltmarktanteil von 3,5 % bei Greifer-Webmaschinen. Wichtige Exportländer liegen in Asien, aber auch in Italien und in der Türkei.
Lindauer Dornier produziert ausschließlich in Deutschland, was den Wettbewerb mit den Asiaten erschwert. „Es bestehen enorme Preisunterschiede“, erklärte Ebeling. Wichtigster Bestandteil für nachhaltigen Erfolg ist für ihn deshalb „die Innovationsfähigkeit unserer Ingenieure.“ Die hat Tradition: Claude Dornier baute einst das Flugboot „Dornier-Wal“. Sein Sohn Peter – ebenfalls Flugzeugkonstrukteur – gründete 1950 die Lindauer Dornier.
Heute setzen die Dornier-Konstrukteure verstärkt auf mechatronische Lösungen, bei denen Elektronik und Software integriert werden. Sie vereinfachten die Maschinenkomplexität und reduzierten mechanische Komponenten – zum Beispiel bei der Kantenbearbeitung des Gewebes: Der sogenannte Scheibendreher wurde so konstruiert, dass die Scheibe gleichzeitig der Motor ist. Durch den Einsatz zusätzlicher effizienter Softwaremodule verringerte sich die Zahl der Bauteile um 97 % – statt 112 sind nun nur noch vier Teile zu montieren. Dadurch reduzieren sich Verschleiß, Ersatzteilkosten, Reparaturanfälligkeit sowie Personalkosten.
Aber bei der Übertragung von mechanischen Funktionen in Software dürfe man die Qualitätssicherung nicht vergessen: „Bei Zahnrädern misst man zum Beispiel die Rautiefe an den Flanken. Solche Genauigkeit muss heute in den Beurteilungskriterien für Software abgebildet werden“, sagte Ebeling, der die Qualitätssicherung für die Steuerungssoftware bei Lindauer Dornier mit aufgebaut hat. Unterstützt wurde er dabei vom Mechatronikexperten Reiner Stetter, Geschäftsführer von ITQ, München. „Die Webmaschinen der Lindauer Dornier belegen, welchen Innovationssprung Mechatronik selbst bei ausgereifter Maschinentechnik möglich macht“, erklärte Stetter.
Mechatronische Lösungen im Textilmaschinenbau sieht Stetter daher auch als eine extrem wichtige Komponente, um der Konkurrenz aus Asien den entscheidenden Schritt voraus zu sein: „Die qualitätsgeprüften, hochpräzisen ,digitalen Zahnräder“ aus deutscher Produktion helfen, exzellente reale Stoffe zu weben“, lautet sein Fazit. M. KÖMPF
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