Engineering 30.08.2002, 18:21 Uhr

Service Engineering bringt die Prozesse auf Vordermann

Industrieunternehmen haben über Jahrzehnte ihre Abläufe rationalisiert und damit ein hohes Maß an Effizienz erreicht. Auch Handelsunternehmen und Kreditinstitute müssen Prozesskompetenz aufbauen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen, erläutert hier August-Wilhelm Scheer.

Die Produktion in einem Automobilwerk verlassen täglich mehrere hundert Autos. Jedes besteht aus tausenden von Komponenten und ist gefertigt nach den Wünschen des Kunden. Keines der Autos ist mit einem anderen identisch. Eine Meisterleistung an Prozessorganisation – und Vorbild für andere Wirtschaftszweige. Die Organisations- und Prozesserfahrungen der Industrie können generalisiert werden, um auch auf anderen Gebieten die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen.
Die mengen-, zeit-, qualitäts- und kostengerechte Fertigung komplexer Erzeugnisse wie die eines Automobils wäre ohne Prozesskompetenz nicht möglich. Um einen Fertigungsprozess in dieser Art und Weise zu beherrschen, muss sein Ablauf vorab genau beschrieben und jeder Fertigungsschritt minuziös geplant werden. Eine jahrzehntelange Tradition des Industrial Engineering, der Arbeitsplanung, Refa, Zeitstudien, MTM-Verfahren bis hin zu den C-Techniken für computergesteuerte Maschinen haben zu diesem hohen Stand der Prozessbeschreibung geführt. Fertigungs- und Montage-Prozesse, die präzise wie ein Uhrwerk ablaufen, sind der Lohn dieser Arbeit.
Dagegen muten viele Abläufe in Dienstleistungsunternehmen noch sehr künstlerisch und handgemacht an. Zwar sind auch die Preisaktion eines Handelsunternehmen oder der Kreditvorgang in einer Bank keine einmaligen Aktivitäten. Doch solche wiederholt auftretenden Geschäftsprozesse sind im Dienstleistungssektor heute nicht so dokumentiert, dass quasi nach einer Prozessschablone industriell gefertigt werden könnte.
Weil hier ein großes Rationalisierungspotenzial liegt, wird sich im Dienstleistungssektor in den nächsten Jahren vieles verändern. Bereits heute haben Service-Unternehmen erkannt, dass sie durch eine bessere Prozessbeherrschung Wettbewerbsvorteile gegenüber der Konkurrenz erzielen können. Teilweise reift die Prozessbeherrschung zur Kernkompetenz heran und wird zur Chefsache. Kühn beschreiben bereits zukunftsorientierte Finanzdienstleister ihre Vision von Kreditfabriken, in denen die Kreditbearbeitung im industriellen Stil nach Geschäftsprozessmodellen abläuft.
Der Ansatz ist leicht nachzuvollziehen: Das Überweisungsgeschäft in Banken oder auch die Abwicklung einer Börsentransaktion ist zeit- und kostenkritisch geworden. Viele Transaktionen laufen über mehrere IT-Systeme, die einen reibungslosen Workflow erschweren. Hinzu kommt, dass etwa an einer Börsentransaktion unterschiedliche Partner beteiligt sind, die alle an dem Vorgang verdienen wollen. Integration ist gefragt. Doch nur hohe Prozesskompetenz der einzelnen Beteiligten stellt sicher, dass die Abläufe integriert und sicher sowie auf niedrigem Kostenniveau durchgeführt werden. Dabei stellen sich eine Reihe organisatorischer, informations- und sicherheitstechnischer Anforderungen.
Nur wenige Finanzdienstleister verfügen über diese Prozesskompetenz und werden in der Lage sein, aktiv im Transaktionsgeschäft zu verbleiben. Die überwiegende Anzahl wird diese Leistungen von spezialisierten Anbietern einkaufen müssen. Die verbliebenen Anbieter werden dabei auch branchenfremden Dienstleistern zum Beispiel aus der Telekommunikationsindustrie gegenüberstehen, die heute schon beim Microbilling eine Finanzdienstleistung für das Internetgeschäft anbieten, bei der es stark auf Prozesssicherheit, -geschwindigkeit und -kosten ankommt.
Der in den letzten Jahren geprägte Begriff des Service Engineering verdeutlicht, dass die Unterschiede in der Prozessbeherrschung zwischen Industrie und Dienstleistungsunternehmen verschwinden. Dabei kann ein Dienstleister von einem Industriebetrieb mehr lernen als das Prinzip der Prozessorganisation.
Denn die Industrie hat nicht nur den Prozessgedanken entwickelt, sondern darüber hinaus ein sehr trickreiches Konzept zur Reduktion der Prozesskomplexität hervorgebracht. Grundidee dabei ist die Unterscheidung zwischen Produkt- und Prozessbeschreibung. Würde man nämlich den gesamten Prozess beschreiben, wie aus den Rohmaterialien Blech, Plastik, Textil, Farbe, Glas oder Gummi ein Auto entsteht, so müssten zigtausende technische Operationen erfasst werden. Gleichzeitig ergäbe sich eine komplexe Ablaufstruktur, da viele Fertigungsschritte für die unterschiedlichen Komponenten parallel ablaufen.
Der geniale Trick besteht nun darin, dass man bestimmte Zustände des Ablaufs identifiziert. Es gibt nicht nur die Rohmaterialien und das Endprodukt, sondern auch Komponenten wie Motor, Getriebe, Räder, Sitze, die sich aus dem Gesamtprozess als identifizierbare Zwischenergebnisse herauslösen lassen. Das Ergebnis ist dann die Komponentenstruktur eines Produktes, die in der Stückliste abgelegt ist.
Pro Komponente gibt es einen Arbeitsplan mit in der Regel maximal zehn Fertigungsschritten, die die erforderlichen Fertigungs- und Montagevorgänge umfassen, um aus den bereits vorliegenden Komponenten einen neuen Zustand, also eine neue Komponente zu erzeugen. Die Arbeitspläne sind dann einfache kleine Prozessbeschreibungen. Zusammen bilden Stücklisten und Arbeitspläne den gesamten Fertigungsprozess ab.
Bei Dienstleistungen fehlt zurzeit eine gestaffelte Produktbeschreibung. Wenn überhaupt, dann werden lediglich die Endprodukte als identifizierbare Leistungen beschrieben. Halbprodukte oder Komponenten kennt man im Servicebereich kaum. Aus diesem Grunde ist die Prozessbeschreibung beispielsweise für eine Kreditbearbeitung sehr kompliziert und umfasst hunderte von Tätigkeiten in einer weit verzweigten logischen Ablaufstruktur. Aber auch hier beginnen die Dienstleistungsbranchen die Erfahrungen der Industrie zu übertragen.
Um dem Bankkunden eine breit gefächerte Variantenvielfalt anbieten zu können, definieren auch Finanzinstitute separate Prozesse für wiederverwendbare Komponenten, die zu neuen Produkten zusammengesetzt werden können. Dadurch dringt das Bewusstsein einer stärkeren Produktstrukturierung bei Dienstleistungsunternehmen in den Vordergrund.
Damit lassen sich auch Dienstleistungsprodukte einfacher individualisieren. In der Industrie bezieht sich jede Stückliste und jeder Arbeitsplan auf ein individuelles Produkt. Im Dienstleistungsbereich werden viel gröbere Einteilungen gebildet und nur Prozesse beschrieben, die sich grundsätzlich unterscheiden – bei der Beschaffung etwa zwischen Investitionsgütern, kundenauftragsbezogenen Bestellungen und Rohmaterialien. Mit einer Trennung zwischen Produkt- und Prozessbeschreibung könnte man mit geringem Aufwand zu einer weitaus größeren Differenzierung gelangen.
Ein weiterer Vorteil der Prozessbeschreibung liegt im Kosten- und Qualitätsmanagement. Basierend auf den Produkt- und Prozessbeschreibungen stehen in der Industrie ausgefeilte Methoden zur Kostenkalkulation der Produkte bereit, während Prozesskostenbetrachtungen im Dienstleistungssektor erst am Anfang stehen. Auch bei der ISO 9000ff-Zertifizierung dient die Prozessbeschreibung als Grundlage. Sind die Prozesse in Ordnung, sind auch deren Ergebnisse, also die Produkte, qualitätsgerecht.
In der Industrie ist das Wissen über Abläufe und deren Beschreibung in Prozessmodellen seit langem die Voraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit. Auch in anderen Branchen wächst der Rationalisierungsdruck. Die Beschreibung, Optimierung, Kontrolle und kontinuierliche Verbesserung von Geschäftsprozessen wird deshalb zur Kernkompetenz des operativen Managements.
AUGUST-WILHELM SCHEER

 

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