Schneller virtueller Prototypenbau
Entwicklungschef Jens Trepte freut sich. Der promovierte Ingenieur hat dazu auch allen Grund: In fast der Hälfte der „gewohnten“ Zeit brachten die Konstrukteure der Sachsenring Entwicklungsgesellschaft, Zwickau, ein neues Lkw-Fahrerhaus zur Serienreife.
Entwicklungschef Jens Trepte freut sich. Der promovierte Ingenieur hat dazu auch allen Grund: In fast der Hälfte der „gewohnten“ Zeit brachten die Konstrukteure der Sachsenring Entwicklungsgesellschaft, Zwickau, ein neues Lkw-Fahrerhaus zur Serienreife. Statt der branchenüblichen vier Jahre gelang der Produktionsbeginn schon nach 28 Monaten. „Ohne Simultaneous Engineering, modernen Methoden wie Digital Mockup, dem Arbeiten mit virtuellen Bauräumen und digitalen Prototypen wäre das nicht zu schaffen“, begründet Trepte den Erfolg.
Die Vorgaben für das Fahrerhaus des neuen Kommunal-Lkw „Econic“ von DaimlerChrysler waren so speziell, daß bestehende Konzepte nicht griffen: 300 kg weniger Gewicht, Stehhöhe im Fahrerhaus und ein Niederflurkonzept mußten den neuen Bestimmungen auch für Müllfahrzeuge genügen. Trepte über den Aufwand: „Wir begannen bei Null, mußten alles neu entwickeln: Kabine, Armaturenbrett, Verkleidungen, Türen, Kabelbäume bis hin zur Heizung – einfach alles. Gut 2000 Teile“. Dazu Fahrerhausvarianten für unterschiedliche Fahrzeuganwendungen. Die „Econic“-Kabine war Neuland für das Unternehmen. Sie war nicht nur das erste Lkw-Fahrerhaus, das die Zwickauer entwickelten. Es war auch der erste Auftrag für ein Makro-Modul. Hier sieht Sachsenring-Vorstand Ernst Wilhelm Rittinghaus die Zukunft für sein Unternehmen: „Wir besetzen als Makro-Modulist das Zuliefer-Feld, weil wir Engineering, Management und Packaging von Groß-Modulen beherrschen.“
Heraus kam ein Leichtbau-Konzept, das sich die Newcomer unter dem Namen „Space-Cage“ schützen ließen: Ein selbsttragender Rahmen aus leichten Aluminiumprofilen, ähnlich dem Space-Frame der VW-Tochter Audi. Konsequenter Leichtbau auch die Außenverkleidung: Ein Compound aus glasfaserverstärktem Kunststoff.
Der wirkliche Gegner in dem Projekt jedoch hieß Zeit. Für Prof. Christian Voy, Mitglied in der Geschäftsleitung der Sachsenring Entwicklungsgesellschaft, „eine echte Herausforderung“. Der begegneten die Zwickauer mit Simultaneous Engineering und erstmals für das Unternehmen mit neuen digitalen Entwicklungswerkzeugen wie „Tecoplan Virtuelle Werkstatt“ für Digital Mockup (DMU) sowie Bauraumuntersuchungen an digitalen Prototypen. Voy: „Vor zwei Jahren hatten wir da wirklich eine Vorreiterrolle“. Mittlerweile verwenden etliche deutsche Kfz-Hersteller die DMU-Software der Münchener Tecoplan AG, wofür das junge bayerische Unternehmen erst kürzlich den Innovationspreis der deutschen Wirtschaft erhielt. Doch auch immer mehr System- und Zulieferunternehmen nutzen die neue Technologie.
„Die Möglichkeiten, mit Hilfe von DMU Entwicklungszeiten zu kürzen und Fehler in der Konstruktion frühzeitig zu erkennen, sind enorm“, betont Voy. Während Unstimmigkeiten in der Konstruktion wie etwa Bauteilkollisionen, Durchdringungen oder zu geringe Abstände üblicherweise erst im Musterbau entdeckt werden, lassen sich nach firmeninternen Schätzungen solche Fehler mit Hilfe der Virtuellen Werkstatt mit über 95 % Wahrscheinlichkeit bereits in der Konzeptphase ausmerzen. Nach allgemeiner Erkenntnis entstehen rund drei Viertel aller Fehler in der frühen Phase der Produktentwicklung. Bisher werden 80 % davon erst am Ende der Entwicklungszeit entdeckt und kostspielig korrigiert. Für Rittinghaus „eine mittlere Katastrophe“, die sich niemand leisten könne.
Die Erfahrungen mit Digital Mockup sieht Rittinghaus denn auch als einen „Quantensprung nach vorne“. Die Virtuelle Werkstatt sei kein ein bloßes Tool für Digital Mockup, sondern ermögliche durch Simultaneous Engineering auch deutlich effizientere Formen der Zusammenarbeit.
Für Systemadministrator Lars Hirschbach eignet sich die Virtuelle Werkstatt gut als „Kommunikationsplattform zwischen den Ingenieuren“. Parallele Entwicklungsarbeiten (Simultaneous Engineering) „lassen sich so besser koordinieren und aufeinander abstimmen, was mögliche Fehler von vornherein ausschließt“. Hierfür ist wichtig, daß der digitale Prototyp stets aktuell gehalten und jede Neuerung gleich nachgetragen wird.
Wie viele Autohersteller und große Systemlieferanten verwendet auch Sachsenring das CAD-System „Catia“. Für das Simultaneous Engineering werden die Catia-CAD-Modelle täglich in vereinfachte Datensätze umgewandelt und als Voxel-Informationen im digitalen Prototyp abgelegt, erklärt Hirschbach. Dieser Vorgang läuft automatisch jeden Abend und betrifft nur neue oder geänderte Datenmodelle. Ebenfalls automatisch werden danach die Bauteile auf Kollision mit den bereits vorhandenen Teilen und Baugruppen des digitalen Prototyps geprüft. Stellt die Virtuelle Werkstatt Fehler fest, meldet das System die Kollisionen an die betroffenen Konstrukteure zurück.
Report-Files melden dem Konstrukteur täglich alle Fehler
Hirschbach konfigurierte das System so, daß Report-Files automatisch die Konstrukteure jeweils zu Beginn ihrer täglichen Arbeit über eventuelle Fehler informieren. Fotoähnliche Bilder, auf denen Kollisionen, Durchdringungen oder Bereiche mit zu geringen Mindestabständen farbig markiert sind, heben die Fehler deutlich hervor. Über deren Lage in einer intelligenten Raumkarte (Space Map) identifiziert die Virtuelle Werkstatt alle Catia-CAD-Modelle, deren Bauteile an Fehlern beteiligt sind. Als „Catia-Session“ kann der Konstrukteur dann alle CAD-Modelle komplett aufrufen. In diesen Sessions finden sich die gleichen Fehlereinträge wie im Voxelmodell wieder, können exakt bestimmt und im CAD-Datensatz konstruktiv geändert werden.
BERND ROSE
Das „Econic“-Führerhaus ging schon nach 28 monatiger Entwicklung in Serie. Jens Trepte (links) und Prof. Christian Voy präsentieren ihr Leichtbau-Konzept „Space-Cage“ aus leichten Aluminiumprofilen.
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