Produktion in Fernost oft nicht billiger
VDI nachrichten, Düsseldorf, 8. 2. 08, wop – Die europäische Automobilindustrie hat Nachholbedarf bei der Anpassung an asiatische Märkte, resümiert eine neue Studie der Boston Consulting Group. Laut Recherche nutzen die Hersteller die lokale Kompetenz und Arbeitskraft noch zu wenig.
China und Indien sind für die europäische, amerikanische, japanische und koreanische Autoindustrie wichtige Wachstumsmärkte. „Doch viele Autohersteller und Zulieferer nutzen die lokalen Kostenvorteile und Absatzchancen längst nicht in vollem Ausmaß“, erklärte Nikolaus Lang von der Boston Consulting Group (BCG), die am 29. Januar in Düsseldorf der Presse ihre neue Studie „Winning the Localization Game“ vorstellte. Die Studie belegt laut Lang, dass die Produktion in Fernost in zwei Drittel der Fälle gleich teuer oder bis zu 20 % teurer als in den Heimatländern der 43 befragten Autohersteller (OEM) und Zulieferer ist.
Die Gründe sind vielfältig, so Lang: Während in den USA pro Modell durchschnittlich 485 000 Fahrzeuge im Jahr hergestellt werden, laufen in China nur 210 000 und in Indien sogar nur 110 000 Fahrzeuge vom Band. Das reduziere die Skaleneffekte für die ausländischen Autofirmen. „Es ist nicht sinnvoll, hochautomatisierte, standardisierte Produktionsanlagen nach Asien zu importieren, anstatt die günstige lokale Arbeitskraft zu nutzen“, sagte BCG-Partner und Managing Director Lang. Die Hightech-Anlagen seien selten flexibel genug, an lokale Marktschwankungen angepasst zu werden und verlangten einen hohen Wartungsaufwand.
Ein ganz wesentlicher Punkt sei der zusätzliche Aufwand für Qualitätsmanagement. „In Europa haben wir Fehlerquoten von 30 bis 70 Stück pro Million. In Fernost sind es schon mal 17 000“, sagte Lang, der zehn Jahre Vorort-Erfahrung mit Zulieferern und OEM in Asien sammeln konnte. Wolle man die Fehlerquoten auf ein akzeptables Niveau bringen, seien intensives Qualitätstraining und eine rigide Qualitätskontrolle unumgänglich. Langs Fazit: „In China und Indien sind einfache, flexible Produktionsanlagen, die eine bessere Auslastung erreichen und mehr Handarbeit ermöglichen, in vielen Fällen wirtschaftlicher.“
Auch beim Einsatz lokaler Ingenieure ist die westliche Industrie zu zögerlich. „Weniger als 3 % ihrer weltweiten Forschungs- und Entwicklungsmitarbeiter werden in China und Indien beschäftigt“, erklärte Lang: „Und das, obwohl in beiden Ländern pro Jahr über zwei Millionen Ingenieure verschiedener Fachrichtungen ausgebildet werden.“ In Deutschland seien es jährlich nur 40 000 Absolventen.
Die asiatischen Ingenieure bräuchten zwar sechs bis zwölf Jahre Training on the Job, dann seien sie aber gut einsetzbar, meinte Lang. Die japanische Industrie hätte in dieser Hinsicht weniger Berührungsängste. Zumal die andere Denkweise zu neuartigen Lösungen führen könne, wie der Tata Nano zeige, so Lang.
Trotz der Erfolge in Fernost müssten sich europäische Hersteller besser an die Bedingungen des asiatischen Markts anpassen. Unterhaltungselektronik im Fond, wie sie die chinesische Version des verlängerten BMW 5er erhielt, sei ein Muss bei Premiumautos in China, stellte Lang fest. Sogar Buick musste seinen Lacrosse verbessern und mit einem eleganteren Interieur ausstatten. In Indien werden bessere Stoßdämpfer erwartet, die sportlich-harten kämen dort nicht an.
Die Nachfrage in China und Indien wuchs von 2001 bis 2007 jährlich um 25 % bzw. 15 %. Bis 2015 sollen in beiden Ländern pro Jahr 19 Mio. Autos verkauft werden – rund 3 Mio. Pkw mehr als in Westeuropa (EU plus Island, Norwegen, Schweiz). Gefragt seien vor allem Kleinwagen. Westliche Anbieter müssen laut Lang ihre lückenhaften Vertriebsnetze ausbauen, die sich auf wenige Großstädte beschränken.
Auch Zulieferer könnten profitieren, wenn sie mit lokalen Autoherstellern wie Cherry (China) und Tata (Indien) kooperierten und sich an lokale Bedürfnisse – niedrige Preise und mitunter Technologietransfer – anpassten, erklärte Lang. Auch wenn das ein schwieriger Spagat zwischen westlichem Perfektionsstreben und asiatischen Bedürfnissen nach sich ziehe.
„Der lange Marsch der Autoindustrie nach China und Indien ist noch nicht am Ziel“, stellten Boston-Consulting-Partner Lang und sein Kollege Bernd Loeser fest. Vor dem umgekehrten Weg brauchen sich die europäischen Autofirmen nicht zu fürchten.
„Hyundai aus Korea ist schon sehr lange bei uns und immer noch recht mäßig erfolgreich“, führte Lang als Beispiel an. Auch nach 30 Jahren Präsenz in Europa verdiene Toyota eher Geld in den USA. Obwohl die europäischen Firmen bereits 150 Fabriken in Fernost aufgebaut hätten, bliebe noch viel zu tun, so Lang: „Bosch hat es richtig gemacht.“ Schon seit 1962 sei das Unternehmen in Indien präsent und profitiere jetzt, 46 Jahre später, von der aufstrebenden indischen Automobilindustrie. FRIEDHELM WEIDELICH
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