Produktion im Ausland sichert Arbeitsplätze in Deutschland
VDI nachrichten, Düsseldorf, 7.1.05 – rok Eine Alternative zur Auslagerung von Arbeitsplätzen an kostengünstigere Standorte gab und gibt es nicht. Mit Arbeitsplätzen im Ausland alimentieren Unternehmer Arbeitsplätze in Deutschland. So Stefan Ortseifen, Sprecher des Vorstandes der IKB Deutsche Industriebank, im folgenden Beitrag.
Die Rahmenbedingungen für den deutschen Mittelstand waren in den letzten Jahren alles andere als positiv. Eine stagnierende Wirtschaftsentwicklung im Inland, eine zunehmende Aufwertung des Euro, ein in letzter Zeit massiver Preisanstieg auf den Weltrohstoffmärkten sowie eine Verteuerung der Energiepreise bildeten das Umfeld für neue unternehmerische Herausforderungen.
Gleichwohl – und dies realisieren wir in vielen Unternehmensgesprächen – gibt es eine Vielzahl von Mittelständlern, die auch vor dem Hintergrund dieser schwierigen Rahmenbedingungen eine gute wirtschaftliche Performance zeigten. Die Erklärung hierfür findet sich in der hohen Flexibilität und der konsequenten strategischen Neuausrichtung dieser Unternehmen.
Konkret heißt dies, dass viele Unternehmen in den letzten Jahren in zunehmendem Maße Teile ihrer Produktion an attraktivere Wirtschaftsstandorte ausgelagert sowie im Rahmen einer Innovationsoffensive neue Produkte entwickelt haben.
Bekanntlich ist Deutschland ein Hochlohnland. Diese Tatsache steht im internationalen Wettbewerb täglich auf dem Prüfstand und lässt sich nur bei einer hohen Produktivität der Beschäftigten aufrecht erhalten.
Eine steigende Zahl von Arbeitsplätzen ist jedoch vor allem auf Grund der hohen Lohnzusatzkosten im internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig. Um als deutsches Unternehmen überhaupt Bestand zu haben, müssen Arbeitsplätze in Länder mit niedrigeren Herstellungskosten verlagert werden. In den letzten Jahren waren dies vor allem die Standorte Polen, die Tschechische Republik, Ungarn und – als jüngste Entwicklung – die Slowakei und die baltischen Staaten.
Analysiert man die Sektoren, die vor allem wegen der zu hohen Arbeitskosten den deutschen Standort weitgehend verlassen haben, dann sind dies in erster Linie die Textil- und Bekleidungsindustrie, die Leder- und Schuhindustrie, die Holzbearbeitung sowie Zulieferer aus der Automobilindustrie und dem Maschinenbau.
Um es bereits an dieser Stelle klar zu sagen: Eine Alternative hierzu gab es nicht. Hätten die deutschen Mittelständler diesen Weg der Produktionsverlagerung nicht beschritten, wäre das Gros dieser Arbeitsplätze in Deutschland ohnehin verloren gegangen. Denn im internationalen Wettbewerb wären sie nicht länger rentabel gewesen. Durch die Verlagerung war es immerhin möglich, im Rahmen einer Mischkalkulation einen Teil der Arbeitsplätze in Deutschland zu halten. Oder wie es neulich ein Kunde von uns sagte: „Ich brauche die Erträge im Ausland, um Arbeitsplätze in Deutschland zu alimentieren“.
Das bislang diskutierte Lohnkostenmotiv ist – entgegen einer in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Auffassung – jedoch nicht der Hauptgrund, weswegen deutsche Mittelständler in den letzten Jahren im Ausland Produktionskapazitäten aufgebaut haben. Eine Kundenbefragung von uns bei etwa 1000 Mittelständlern hat vielmehr zu dem Ergebnis geführt, dass das Hauptmotiv für eine Auslandsinvestition die Marktsicherung und die Markterschließung ist. Mit deutlichem Abstand folgen niedrigere Lohnkosten, geringere Reglementierung und niedrigere Steuern.
Anders gewendet heißt dies: Um auf Dauer auf Auslandsmärkten Erfolg zu haben, genügt es nicht, von Deutschland aus zu exportieren. Dies kann nur eine kurzfristige Strategie sein auf längere Sicht – und diese Erfahrung macht praktisch jeder Exporteur – muss man mit der Produktion vor Ort sein. Dies hat weniger mit Kosten-, als mit Image- und Akzeptanzaspekten zu tun. Und vor diesem Hintergrund wird zugleich deutlich, warum deutsche Mittelständler in den letzten Jahren nicht nur in Mittelosteuropa, sondern zugleich auch in einem erheblichen Ausmaß in China investiert haben.
Die daraus abzuleitende Schlussfolgerung ist eindeutig: Stagnation und Rezession auf dem heimischen Markt bedeuten, dass Unternehmen sich auf expandierende Märkte im Ausland konzentrieren müssen. Dass dies nicht zwangsläufig auf Kosten von Arbeitsplätzen im Inland erfolgt, zeigt die Automobilindustrie: Hier sind in den letzten Jahren mehr als 50 000 Arbeitsplätze in Deutschland entstanden, obwohl deutsche Unternehmen – dies gilt für Hersteller wie für Zulieferer – in hohem Maße im Ausland investiert haben.
Eine weitere Erfolgsstrategie von Mittelständlern in den letzten Jahren bestand darin, im Wege von Produktinnovationen zusätzlich Marktanteile zu gewinnen. Besonders augenscheinlich lässt sich dies wiederum am Beispiel von Unternehmen aus der Automobilzulieferindustrie belegen.
Hintergrund hierfür ist die Tatsache, dass die Automobilhersteller in den letzten 20 Jahren ihre Fertigungstiefe deutlich verringert haben. In absoluten Werten stellt dies einen Betrag von mehr als 20 Mrd. € pro Jahr dar. Für die deutschen Mittelständler war dies eine große Chance, die ausgelagerten Produktionsaktivitäten zu übernehmen und im Rahmen von Ausschreibungen zusätzliche Aufträge zu realisieren.
Den Zuschlag bekamen allerdings nur jene, die die innovativsten und qualitativ besten Produkte anbieten konnten. Wir kennen eine Vielzahl von Kunden, denen es auf diesem Weg gelungen ist, ihren Umsatz und ihre Erträge in den letzten fünf Jahren zu verdoppeln. Dies erreichten sie auf Grund ihrer hohen Innovationsfähigkeit und des Erkennens spezieller Techniktrends.
Ein ähnlich interessantes Beispiel bietet die deutsche Schraubenindustrie, die ebenfalls sehr mittelständisch strukturiert ist – und entsprechend kaum in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Diese Unternehmen haben in der letzten Zeit bei Normteilen, also bei jenen, die für den Massenmarkt gefertigt werden, einen massiven Wettbewerb durch asiatische Lieferanten erfahren.
Zugegebenermaßen ist es für die deutschen Mittelständler schwer, sich gegenüber diesen Billiganbietern zu behaupten. Entsprechend haben sich viele von ihnen auf Grund ihres hohen Know hows und ihrer Speziallösungskompetenz auf ausgewählte Produkte konzentriert. Den technologischen und qualitativen Vorsprung dieser Unternehmen gegenüber ihren internationalen Wettbewerbern taxieren wir auf fünf Jahre.
Damit wird deutlich: Je weniger man als deutscher Unternehmer in der Lage ist, im Kostenwettbewerb zu bestehen, umso mehr gilt es, die Wettbewerber durch Produktinnovationen auf Distanz zu halten.
In der Summe heißt dies: Viele mittelständische Unternehmen haben in der Phase von Stagnation und Rezession durch Internationalisierung der Produktion einerseits sowie durch Produktinnovationen andererseits ihre internationale Wettbewerbsposition gehalten bzw. verbessert. Dies ist für jene Unternehmen, die am Weltmarkt agieren, sicherlich eine vernünftige und erfolgreiche Strategie. Für all jene Unternehmen allerdings, die primär – oder gar ausschließlich – von der Binnennachfrage abhängen, ist dies keine Lösung. Sie sind darauf angewiesen, dass die Weichen im Inland so gestellt werden, dass es in Deutschland zu einem sich selbst tragenden Aufschwung kommen kann.
Den Rahmen hierfür setzen die Politik und die großen Interessengruppen in unserem Land. Dabei stehen wir allerdings noch vor gewaltigen Aufgaben. Je eher und konsequenter wir diese angehen, umso besser. Hartz IV geht in diesem Zusammenhang in die richtige Richtung. Allerdings kann es sich hierbei nur um den Beginn und nicht das Ende der Reformen handeln. Wir alle bleiben daher weiterhin aufgefordert, daran mitzuwirken, dass der Reformprozess nicht zum Stillstand kommt.
STEFAN ORTSEIFEN
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