Paragrafendschungel bringt Chaos in die Fertigung
die neue EU-Richtlinie ROHS (Restriction of Hazardous Substances). Sie verbietet gewisse Stoffe in elektronischen und elektrischen Geräten und greift so massiv ab Juli 2006 in die Versorgungsketten und die Fertigung elektronischer Geräte ein. Dumm nur: Die Regelung bedarf dringend der Präzisierung, sonst weiß niemand, was wie zu tun ist. Fragen über Fragen, nur die Antworten lassen auf sich warten.
Kürzlich in München, auf der electronica 2004, der führenden „Fachmesse für Bauelemente und Baugruppen der Elektronik“: Eine spannende Podiumsdiskussion zu einem Thema, das die ganze Branche angeht. Und was ist? Trotz hochkarätiger Experten wie Kirsten Metz vom ZVEI, Bodo Eilken vom Bauelementehersteller Infineon, Georg Steinberger vom Distributor Avnet oder Ulrich Niklas vom Auftragsfertiger Zollner Elektronik tagt das Panel der electronica zur neuen EU-Stoffverbotsrichtlinie ROHS vor 50 Teilnehmern und 500 unbesetzten Plätzen.
Ignoranz oder Apathie? Alles nicht so wichtig? Kaum. Denn am Ende sind mehr Fragen offen als zuvor. Dabei rückt im Anlauf zum 1. Juli 2006 eine Abfolge ominöser Termine mit neuen Pflichten und Lasten der Geräteindustrie immer dichter auf den Pelz. Im Namen der „grünen“ Elektronik.
Außer für Blei setzt ROHS auch extrem niedrige Grenzwerte für Quecksilber und Kadmium und für das (sechswertige) Chrom, sowie für polybromierte Biphenyle (PBB) und Diphenylether (PBDE) als Flammhemmer für Kunststoffteile.
Da wird es vage und kompliziert – bei der Festlegung der Grenzwerte und deren Ausnahmen. Die Ausnahmen kommen in zwei Kategorien: für bestimmte Geräte und für Anwendungen innerhalb von Geräten (gewisse Hochtemperatur-Bleilote in Geräten sind immer noch zugelassen).
Vorerst ausgenommen (bei regelmäßig weiterer Überprüfung) sind medizinische Geräte und „Überwachungs- und Kontrollinstrumente“. Außerdem militärische Geräte. Geltendes Abfallrecht ist aber nicht betroffen, so unter anderem die Autoelektronik. Sagt Metz: „Da ist viel Spielraum. Es gibt keine verlässliche Auskunft, an wen man sich auch wendet.“
Als Grenzwerte schlägt die im Januar 2003 erlassene ROHS-Direktive der EU-Kommission folgende vor: Maximalkonzentration von 0,1 % für Blei, Quecksilber, Chrom, PBB und PBDE 0,01 % für Kadmium. Alles bezogen auf Gewichtsanteile in „homogenen Werkstoffen“.
Doch das zuständige Technical Adaptation Committee hat dies erst einmal verworfen. Denn: Was sind „homogene Werkstoffe“? Im Moment gilt: solche, „die sich nicht weiter mechanisch in einzelne Materialien zerlegen lassen.“
Die Folge: weitere Verzögerungen wichtiger Termine. Der im September bereits verspätet vom Bundeskabinett eingebrachte Gesetzentwurf „ElektroG“, der die EU-Richtlinien in nationales Recht umsetzt, wird trotzdem, hofft Kirsten Metz vom ZVEI, Anfang nächsten Jahres verabschiedet.
Zuvor allerdings hat der Bundesrat „notwendige Präzisierungen“ und „Handlungshilfen“ eingefordert – sowohl bei den „homogenen Werkstoffen“ als auch beim Geltungsbereich für bestimmte Geräte.
Das ElektroG muss schnell kommen. Denn bis Mai 2005 müssen die von WEEE betroffenen Hersteller alle Geräte und die Mengen, die sie ab 13. August 2005 „in Verkehr bringen“, bei der „Gemeinsamen Stelle“ registrieren lassen.
Was ist die „Gemeinsame Stelle“? Ein von den Branchenverbänden ZVEI und Bitkom etabliertes „Elektro-Altgeräte-Register“ (EAR). Es soll die Rücknahme und Entsorgung überwachen. Ab August 2005 soll das klappen. Bis dahin muss jeder Hersteller, Importeur und „Erstinverkehrbringer“ die jährlichen Absatzmengen seiner Geräte melden – und entsprechend an den Kosten des EAR partizipieren.
Was heißt „In Verkehr bringen“? Fertigen, Zwischenlagern, Inbetriebnahme beim Kunden? So richtig will sich da noch keiner festlegen. Derzeit laut ZVEI das „erstmalige Bereitstellen in der ersten Handelsstufe“. Und das gilt für jedes neue Gerät, auch wenn es als Produkttyp schon lange gefertigt wird.
Wie steht“s mit Ersatzteilen und Austausch-Reparaturen? Ein logistisches Problem der Versorgungsketten.
Wie werden ROHS-konforme Bauteile und Geräte gekennzeichnet und zertifiziert? Gar nicht. Es gilt die privatrechtliche Absicherung zwischen Abnehmer und Lieferant, also Produkthaftung im Übertretungsfall. Dazu bietet der ZVEI Formulierungshilfen.
Wie wird die Konformität überwacht? Das ist noch nicht geregelt.
Wird es Unterschiede zwischen den 15 EU-Kernländern geben? Sicherlich. Griechenland hat die Direktiven bereits ratifiziert.
Kommen weitere Ausnahmen? Wahrscheinlich. Bis Mitte Februar wird der betreffende ROHS-Anhang erstmals überarbeitet: panta rhei.
WERNER SCHULZ
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