Neue Maschinenrichtlinie kommt – allerdings mit Einschränkung
Am 29. Dezember tritt die neue Maschinenrichtlinie 2006/42/EG in Kraft. Während dies ohne Übergangsfrist geschieht, wurde vorige Woche eine Verlängerung der darauf gestützten Sicherheitsnorm EN 954-1 beschlossen. Diese hätte eigentlich mit dem Stichtag durch die neue harmonisierte Norm EN ISO 13849-1 komplett abgelöst werden sollen. Dadurch gibt es nun einiges zu beachten. VDI nachrichten, Düsseldorf, 18. 12. 09, ciu
In seiner Sitzung am 7. Dezember 2009 hat der europäische „Maschinenausschuss“ bei der Europäischen Kommission die außerordentliche Verlängerung der Vermutungswirkung für die Sicherheitsnorm EN 954-1 beschlossen. Von den Mitgliedstaaten haben laut Informationen aus dem Normenausschuss Maschinenbau (NAM) im DIN etwa zwei Drittel für die Verlängerung gestimmt. Damit bleibt die Norm parallel zur neuen Norm EN ISO 13849-1 zunächst weiter bestehen. Noch nicht festgelegt hat die Europäische Kommission dagegen den Zeitraum für die Fristverlängerung.
Von deutschen Unternehmen und Verbänden gibt es ein geteiltes Echo
In die Diskussion geraten war die Konformitätsvermutung gemäß EN 954-1, nachdem Mitgliedsstaaten und interessierte Kreise im Sommer dieses Jahres Stellungnahmen vorgelegt hatten, die die fristgerechte Umsetzung der neuen Norm kritisch betrachteten. In diesem Zusammenhang war später vom Europäischen Komitee für Normung (CEN) eine Verlängerung der Vermutungswirkung nach EN 954-1 bei der Europäischen Kommission angefragt worden.
Das Echo aus Deutschland ist geteilt. Selbst beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), Frankfurt/Main, mehren sich nach ursprünglicher Unterstützung für die Fristverlängerung die kritischen Stimmen. Aus Sicht des Maschinenbaus spricht für die verlängerte Vermutungswirkung, dass für die Umstellung von der EN 954-1 auf die EN ISO 13849-1 eine, dem Aufwand gerechte, ausreichende Übergangszeit zur Verfügung stehen müsse. Außerdem entspreche die bisherige Norm nach wie vor dem Stand der Technik und sei daher geeignet, die Anforderungen der neuen Maschinenrichtlinie zu erfüllen. Zudem müsse die Konsistenz innerhalb der etwa 400 maschinenspezifischen Normen (Typ C) mit Vermutungswirkung zur Maschinenrichtlinie so weit wie möglich gewahrt werden.
Kritisiert wurde dagegen aus dem Fachverband Elektrische Automation im VDMA, dass es in der Phase der Verlängerung zwei Arten von Sicherheitsprodukten geben wird: die einen, die nach der alten Norm aufgebaut sind, und die anderen, die der neuen Norm entsprechen. Zudem seien in verketteten Anlagen eingesetzte Komponenten vielfach auch in Einzelmaschinen zu finden und damit keine klare Trennung möglich. Darüber hinaus hätten seit der Veröffentlichung der neuen Maschinenrichtlinie notwendige Umstellungen auf Seiten der Normensetzer und Maschinenhersteller immer noch nicht alle Betroffenen die erforderlichen Anpassungen durchgeführt. Peter Früauf, stellvertretender Geschäftsführer des Fachverbands, stellte dazu fest: „Die außerordentliche Verlängerung bietet daher keine Garantie dafür, dass sich am Ende der Verlängerung nicht wieder eine Vielzahl von Stimmen meldet, die die Umstellung erneut verpasst haben.“
Statt durch Standardisierung Planungssicherheit zu gewährleisten, ergibt sich für Anbieter und Anwender von Sicherheitsprodukten nun eine schwierige Situation. Das gilt insbesondere für den Einsatz von Produkten, die über Steuerungstechnik verfügen. Neben der EN ISO 13849-1 steht dazu ohnehin schon die EN 62061 für den elektrischen Teil der Anlage als harmonisierte Norm im europäischen Amtsblatt. „Aus unserer Sicht sind zwei Normen schon eine zu viel. Für den Maschinenbauer wird die Situation nun eher unübersichtlicher, da gut abzuwägen ist, ob der Anwendungsbereich für die EN 954-1 noch gegeben ist“, erklärte dazu kürzlich Hans-Jörg Stubenrauch, Manager für Sicherheitslösungen bei Sick in Waldkrich.
Dabei biete die neue Norm durchaus auch Vorteile für Anwender. „Um den erforderlichen Performance Level oder Safety Integrity Level zu erreichen, sind die ,Spielräume“ weiter geworden. Daher können auch Produkte eingesetzt werden, die nach EN 954-1 eventuell nicht gepasst hätten“, so Stubenrauch.
Kritisch zur Verlängerung äußerte sich auch der Lösungsanbieter Pilz aus Ostfildern: „Als Sicherheitsexperte in der Automation können wir Herstellern und Betreibern von Maschinen aus verschiedenen Gründen nur empfehlen, die Nachfolge-Normen EN ISO 13849-1 und EN/IEC 62061 trotzdem möglichst frühzeitig anzuwenden“, erklärte John McAuliffe, Leiter International Services Group und Geschäftsführer von Pilz Irland. Ähnlich äußerte sich auch der Maschinenrichtlinien-Experte Hans-J. Ostermann aus Niederkassel: „Ich würde keinem empfehlen, sich auf die Fristverlängerung zu verlassen.“
Beide Fachleute äußerten insbesondere Zweifel daran, inwieweit die bisherige Norm EN 954-1 den aktuellen Stand der Technik im Bereich des Sicherheitsdesigns von Maschinen abzubilden vermag. Ostermann dazu: „Nach den allgemeinen Grundsätzen der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG ist der Stand der Technik einzuhalten, der auch als Maßstab einer Produktprüfung durch die Marktaufsichtsbehörde gilt.“ Daher müsse der Hersteller nun selber prüfen, ob dieser sich in der alten Norm findet oder in der neuen Norm dargestellt wird. „Dies sollte er auch vor dem Hintergrund der Produkthaftungsrichtlinie abwägen“, so Ostermann.
ISO-Norm bringt Sicherheit für weltweit agierende Industrieunternehmen
McAuliffe verwies zudem darauf, das einige in der Maschinenrichtlinie gelistete B- und C-Normen bereits auf die EN ISO 13849-1 sowie die EN/IEC 62061 verwiesen. Weitere würden folgen.
Wie der Sicherheitsfachmann Stubenrauch von Sick konkretisierte, könne die Konformitätsvermutung für die EN 954-1 nicht mehr gleichzeitig beansprucht werden, sobald eine C-Norm auf die EN ISO 13849-1 verweist. Umgekehrt gelte die bisherige Sicherheitsnorm ohnehin so lange, bis die jeweilige C-Norm überarbeitet oder zurückgezogen werde. McAuliffe gab zudem zu bedenken, dass die bisherige EN 954-1 im Gegensatz zu den beiden Nachfolgenormen keine weltweite Norm sei. „Das sollten international agierende Unternehmen berücksichtigen“, sagte er.
Unabhängig von der Verlängerung der Vermutungswirkung nach der Norm machte Stubenrauch deutlich: „Eine Übergangsfrist für die Maschinenrichtlinie 98/37/EG gibt es aber nicht, die neue Richtlinie 2006/42/EG ist daher ab dem 29.12.2009 anzuwenden.“ M. CIUPEK
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