Maschinenrichtlinie: Sicherheit perfekt?
VDI nachrichten, Düsseldorf, 18. 3. 05 – Die Maschinenrichtlinie (MRL) regelt das In-Verkehr-Bringen von Maschinen und Anlagen auf europäischer Ebene einheitlich. Muss ein produkthaftungsrechtlicher Fehler aufgeklärt werden, wird oft der Anhang I, der die „grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen“ beschreibt, mit herangezogen. Doch viele Hersteller haben sich damit bislang nur unzureichend befasst.
Auf den ersten Blick erscheinen die gesetzlichen Anforderungen der Maschinenrichtlinie (MRL) bürokratisch. Für betriebsfertige Maschinen und Anlagen muss, auch dann, wenn diese für die Produktion im eigenen Unternehmen hergestellt werden, eine Konformitätserklärung ausgestellt und ein CE-Zeichen angebracht werden. Voraussetzungen dafür sind die Durchführung einer Gefahrenanalyse und die Erstellung einer technischen Dokumentation.
Während die Verpflichtung zur Gefahrenanalyse durchaus pragmatisch verstanden wird, erscheinen die Verpflichtungen zur Dokumentation vielen Herstellern überzogen. Allerdings kann diese Verpflichtung als Alternative zu einer Drittprüfung angesehen werden, auf die der Gesetzgeber in weiten Bereichen verzichtet hat.
Gerade wegen der Eigenverantwortung der Hersteller muss wohl damit gerechnet werden, dass sich „Schwarze Schafe“ aus den verschiedensten Gründen nicht an die Vorgaben halten. Nicht umsonst verpflichtet die MRL zur Marktüberwachung. Entgegen der weitläufigen Meinung ist die Marktüberwachung in Deutschland und auch in anderen Mitgliedsstaaten sehr aktiv. Die EU-Kommission hat den Aufbau des internetbasierten Kommunikationssystems der Behörden unterstützt. Im öffentlich zugänglichen Teil lassen sich unter www.icsms.org die Zielsetzungen rasch erkennen: „Dem Missbrauch durch unfaire Wettbewerber wird durch das Prinzip der Eigenverantwortung Tür und Tor geöffnet. Durch die Marktüberwachung übernimmt die öffentliche Hand die Prüfung von Produkten und formaler Vorschriften. „Schwarze Schafe“ können identifiziert und deren Produkte aus dem Wettbewerb genommen werden. Ökonomische Schäden durch unlauteren Wettbewerb lassen sich vermeiden.“
Wie für die Finanzbehörde die Buchhaltung stellt die technische Dokumentation für die Marktaufsicht die wichtigste Prüfgrundlage dar. Durch eine taugliche Gefahrenanalyse lassen sich Entscheidungsprozesse sicherheitstechnischer Detailfragen relativ klar nachvollziehen. Für Projektbeteiligte sind dies wichtige Entlastungsdokumente. Dementsprechend sind Hersteller von Maschinen gut beraten, der Dokumentationspflicht in entsprechender Weise nachzukommen. Abgesehen von der öffentlich-rechtlichen Betrachtung können Dokumentationsprozesse aus Gründen des QS- und Wissensmanagements lohnenswert sein.
Vor dem In-Kraft-Treten der MRL war das In-Verkehr-bringen von Maschinen und Anlagen national und somit unterschiedlich geregelt. Für Hersteller bedeutete es einen enormen bürokratischen Mehraufwand, die gesetzlichen Bestimmungen sowie die normativen Anforderungen des Ziellandes zu recherchieren und zu erfüllen. Im Sinne des freien Warenverkehrs in der EU war dieser Zustand inakzeptabel. Aus diesem Grund wurde das In-Verkehr-Bringen im EWR einheitlich geregelt. Dass sich darüber nicht alle freuen, liegt oft daran, dass Hersteller ihre Vorgehensweisen den „neuen“ europäischen Regeln angleichen müssen. Leider haben viele Unternehmen noch nicht einmal ihre Kaufverträge und AGBs den neuen Freiheiten angepasst und fordern nach wie vor die Einhaltung nationaler Vorschriften. Alle Vorteile, die das öffentliche Recht geschaffen hat, werden durch einen gut gemeinten, aber schlecht getroffenen Satz im Kaufvertrag zunichte gemacht. Andererseits werden gesetzeswidrige Forderungen aufgenommen, wie beispielsweise die CE-Kennzeichnung von Teilmaschinen nach Artikel 4 (2).
Es ist auch festzustellen, dass viele Konstrukteure den Anhang I der MRL auch 10 Jahre nach Ablauf der sechsjährigen Übergangsfrist noch immer nicht gelesen haben.
Der Anhang beschreibt die „grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsanforderungen“. Wie der aktuellen Judikatur zu entnehmen ist, wird die Einhaltung dieses Anhanges auch für die Klärung der Frage nach einem produkthaftungsrechtlichen Fehler eines Produkts herangezogen.
Dass es Personen gibt, die die Konformitätserklärung unterschreiben, ohne den wichtigen Anhang I gelesen zu haben, kann nur damit erklärt werden, dass ihnen die haftungsrechtliche Tragweite dieses Handelns nicht bewusst ist. Es muss die Frage gestellt werden, wie es sein kann, dass solche Unternehmen ein ISO 9001-Zertifikat vorweisen können.
Aufgrund der Tatsache, dass die Marktaufsicht nicht allgegenwärtig prüft und auch nicht prüfen kann, können nicht-konforme Maschinen am Markt für lange Zeit ausgeliefert werden, sodass die Zahl der im Einsatz befindlichen Maschinen stetig steigt. Im Falle eines Unfalls richtet sich die Aufmerksamkeit der Behörden jedoch naturgemäß auf den Hersteller. Neben den produkthaftungs- und strafrechtlichen Konsequenzen kann es durch die Behörden zu einem Rückrufbescheid (oder Nachrüstung) aller in derselben Bauweise ausgelieferten Maschinen kommen, warnt Rechtsanwalt Dr. Thomas Klindt von der Kanzlei Nörr Stiefenhofer Lutz in München.
Nicht selten ist nach einem solchen Szenario der Vorwurf der Führungskräfte gegenüber ihren Mitarbeitern zu vernehmen, man habe diesen Sachverhalt nicht mit der nötigen Intensität dargestellt. Allzu oft vertreten Führungskräfte die Ansicht, man sei in den Herstellungsprozessen zwar den Dokumentationsverpflichtungen nicht umfassend nachgekommen, die Maschinen seien aber auf dem sicherheitstechnischen Höchststand. Leider erweisen sich diese Sichtweisen häufig als nicht zutreffend.
Entsprechend der BetrSichV § 7 dürfen Mitarbeitern Maschinen erstmalig nur dann zur Verfügung gestellt werden, die den Anforderungen der MRL genügen. Dem zufolge wird die Einhaltung dieser gesetzlichen Bestimmungen immer mehr zum Wettbewerbsfaktor. Michael Feurstein von ThyssenKrupp Presta bringt es auf den Punkt: „Unternehmen, die nachweislich nicht in der Lage sind, gesetzeskonforme Maschinen oder Anlagen zu liefern, können mit unserem Auftrag nicht rechnen. Sicherheit nach dem Zufallsprinzip ist für uns nicht ausreichend.“
Unternehmen haben die verschiedensten Wege gewählt, die CE-Kennzeichnung im Unternehmen zu organisieren. Allerdings sind diese nicht immer rationell. Hohe, aber in vielen Fällen vermeidbare Kosten entstehen z. B. durch unnötige interne oder externe CE-Beauftragte, schlecht ausgebildete Lieferanten, veraltete Dokumentationsstrukturen, nicht angepasste Verträge, oder mangelhaftes sicherheitstechnisches Know-how. Die Punkte im beigefügten Kasten können dabei helfen, den Status in Ihrem Unternehmen zu hinterfragen, Rationalisierungspotenziale zu ermitteln und dabei gleichzeitig die sicherheitstechnische Qualität und die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. HELMUT FRICK
In der Reihe „Technik und Recht“ stellen die VDI nachrichten Problembereiche vor, die Ingenieure in ihrer täglichen Arbeit betreffen können. Bislang erschienen: 9/05: Recht für Ingenieure 10/05: Geräteproduktsicherheitsgesetz. Kontakt: szell@vdi-nachrichten.com
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