Maschinenbau braucht Service per Internet
Künftig reicht es nicht mehr aus, „nur“ Maschinen und Anlagen zu verkaufen, prognostiziert Wilfried Sihn. Gefragt sind internetbasierte Mehrwertdienste, die dem Kunden Full-Service von der Kundenschulung bis zur Maschinenwartung bieten. Das erschließt innovativen Unternehmen attraktive Marktchancen, wie der stellvertretende Leiter des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) nachfolgend ausführt.
Full-Service-Dienstleistung: Ein Schlagwort, das auch im produzierenden Sektor immer mehr an Bedeutung gewinnt. Anstatt Produkte und Anlagen zu kaufen, gehen immer mehr Unternehmen künftig dazu über, lediglich die Produktionsleistung zu bezahlen. Dies verspricht höhere Flexibilität, verbesserte Planungssicherheit und mehr Liquidität.
Für die Hersteller von Maschinen und Anlagen bedeutet dies schon bald, dass das Verkaufsargument der Zukunft nicht länger der technische Entwicklungsstand der Produkte sein wird, sondern der Problemlösungsbeitrag für den Kunden. Dieser Beitrag manifestiert sich an zusätzlichen Mehrwertdienstleistungen, die insbesondere die Produktivität von Produktions- und Logistiksystemen signifikant steigern werden.
Eine Mehrwertdienstleistung wird immer dann erbracht, wenn man zusätzlich zum Kernprodukt auch Werkzeuge und Wissen als integralen Bestandteil bereitstellt. Diese Mehrwertdienstleistungen unterstützen den Anwender bei der Planung und Dimensionierung, einer schnellen Inbetriebnahme, im reibungslosen Betrieb und in der unkomplizierten Veränderung der Systeme. Kurzum: Die Mehrwertdienstleistungen erstrecken sich über den gesamten Produktlebenszyklus.
Bei genauer Betrachtung sind erste Mehrwertdienste bereits Realität. So steht bei Kopierern bereits heute nicht mehr das Gerät, sondern die garantierte Kopierleistung im Vordergrund. Bezahlt werden lediglich die Kopien – das Kopiergerät gehört dem Hersteller. Dieser sorgt darüber hinaus auch für die Wartung und die Bereitstellung des Papiers. Schließlich hat er ein großes Interesse daran, dass immer ausreichend Kopierpapier zur Verfügung steht.
Die Kopiergerätehersteller bieten bereits heute eine Reihe von Dienstleistungen, wie Online-Hilfe für die Fehlerbehebung, Fernüberwachung, und damit zusammenhängende zustandsabhängige Instandhaltung sowie Ferndiagnose an. Nach diesem Vorbild werden zukünftig auch im Produktionsumfeld die Maschinenleistungen im Vordergrund stehen und weniger die Maschinen.
Internet-Mehrwertdienste bringen mehr Produktivität
Zur Erbringung dieser innovativen, industriellen Mehrwertdienste benötigt man eine ganze Reihe von Basis- und Schlüsseltechnologien: Hierzu gehören z.B. die Informations- und Kommunikationstechnologien, Multimedia und Virtual Reality, die Mikrosystemtechnik und die Simulation.
Verschiedene Studien prognostizieren ein umfangreiches Potential zur Verbesserung der Produktivität durch Mehrwertdienste. Insbesondere dann, wenn sie unter Einsatz modernster Informations- und Kommunikationstechnologien erschlossen werden können.
Hierbei dient das Internet als Akquisitions- bzw. Marketinginstrument und zugleich als Übertragungsmedium spezialisierter Dienste. Die Diensterbringer können ihre Services mit Hilfe des Internets kostengünstig an eine große Anzahl von Kunden übermitteln. Somit lassen sich Wiederhol- und Mengeneffekte ausnutzen. Die Hersteller von Maschinen und Anlagen erweitern mit diesen „E-Industrial Services“ den üblichen Lieferumfang ihres meist technisch orientierten Produktspektrums um produkt- und produktionsbegleitende Dienstleistungen.
Solche Mehrwertdienste bieten ein hervorragendes Potenzial zur Differenzierung und zur Schaffung von Alleinstellungsmerkmalen. Diese Alleinstellungsmerkmale sind vor allem deshalb zunehmend wichtig, da durch das Internet Informationen über Preise und Produkte und deren Leistungsfähigkeit immer vergleichbarer und auch kopierbarer werden.
Zudem: E-Services können weltweit fast ohne Mehrkosten angeboten werden. Der Transport der Mehrwertdienste erfolgt über öffentliche Netze, wie etwa das Internet oder das Telefonnetz.
Diese Mehrwertdienste zielen gleichzeitig auf Produktivitätssteigerung ab. Denn durch die bessere und schnellere Planung werden Investitionen effektiver realisiert. Und bessere Qualifizierung des Personals vermeidet unnötige Maschinenstillstände. Gleichzeitig reduziert Online-Maschinendiagnose ungeplante Störungen und verringert die Instandhaltungsaufwendungen.
Darüber hinaus öffnen solche E-Services das Tor zu gänzlich neuen Geschäftsfeldern und -beziehungen. Dies umfasst beispielsweise eine Neuordnung von Aufgabenverteilungen und Verantwortlichkeiten sowie neue Arten von Geschäftsprozessen zwischen Anwendern, Herstellern und spezialisierten Dienstleistern (Providern). Diese Dienstleister können Mengen- wie auch Wiederholeffekte ausnutzen und somit die E-Services in hoher Qualität zu moderaten Kosten anbieten.
Die Basis für die Entwicklung von elektronischen Dienstleistungen sind durch die Internet-Technologien vorgegeben. Sie besitzen hohe Akzeptanz in den IT-Abteilungen. Die Entwicklung von industriellen Dienstleistungen erfordert jedoch ein hohes Maß an technischem Know-how.
Um etwa einen DownloadService von sensiblen Daten wie CAD-Zeichnungen über das Internet anzubieten, ist es erforderlich, mittels einer Zugangskontrolle diesen Service lediglich der Zielgruppe anzubieten. Ein einfacher Schutz mit „Login“ und „Passwort“ reicht hier nicht aus. Ferner muss die Sicherheit der Übertragung (Verschlüsselung) gewährleistet werden, so dass kein unberechtigter Dritter an die Information gelangen kann. Schließlich muss dem Kunden zur Abrechnung dieser Leistung ein Beleg über die Transaktion vorlegt werden.
Gleichzeitig verlangen wachsende Kundenansprüche nach optimaler Qualität, Leistung, kurzfristiger Verfügbarkeit sowie bedarfsgerechter Information eine medienbruchfreie Planung von Produktion- und Logistik. Zur Unterstützung werden hierfür zunehmend Simulationswerkzeuge eingesetzt. Durch die Visualisierung der Prozessabläufe und die Auswertung der Simulationsergebnisse sind Produktionsplaner in der Lage, komplexe Systeme besser zu verstehen.
Kürzere Produktlebenszyklen, steigende Variantenvielfalt und Produktkomplexität machen den Einsatz neuer Technologien auch beim Ausbilden des Bedien-, Service- und Wartungspersonals schon bald unumgänglich. Die praktische Ausbildung konzentriert sich derzeit auf Trainingsmaschinen in zentralen Schulungscentern der Maschinenhersteller. Sie sind durch permanente Montage und Demontage einem erhöhten Verschleiß ausgesetzt, so dass ein Rückbau oder eine Generalüberholung nach wenigen Jahren erfolgen muss. Die hohe Variantenvielfalt und der Kostendruck führen gleichzeitig dazu, dass die Trainingsmaschinen oft nicht dem neuesten Stand der Technik entsprechen und erst recht nicht kundenspezifisch ausgelegt werden können. Darüber hinaus verursachen die ortsgebundenen Schulungen einen hohen Reiseaufwand und hohe Kosten.
Simulationssysteme optimieren auch die Mitarbeiterschulung
Ein neuer Ansatz, um den ständig steigenden Schulungsbedarf künftig abzudecken, liegt in der Bereitstellung von visuell-interaktiven Szenarien und Simulationssystemen, die zur Qualifizierung des Personals vor Ort beim Maschinennutzer eingesetzt werden können.
Der Schwerpunkt solcher Qualifizierungsdienste liegt in der Schaffung innovativer kundenspezifischer Schulungs- und Trainingssysteme und deren Bereitstellung über das Internet. Angeboten werden neben multimedialen Trainingsinhalten und computergestützten Lernprogrammen visuell-interaktive Trainingsszenarien, die auf Virtual-Reality-Techniken basieren.
Diese Qualifizierung „aus der Steckdose“ erschließt Maschinenherstellern wie auch Maschinenbetreibern ein gewaltiges Nutzenpotential: Eine solche Schulung ermöglicht nicht nur die bedarfsgerechte Erhöhung des Qualifizierungsgrades. Sie kann auch vom Anlagenbediener beim Eintreffen einer Störung abgerufen werden, um ein Problem zu lösen. Zum anderen können die Anlagenbediener betriebsbegleitend – etwa bei Maschinenstillständen – eine vorsorgliche Schulungseinheit absolvieren. Beide Maßnahmen reduzieren die Ausfallzeiten von Produktionssystemen und Personal spürbar. Darüber hinaus können auch außergewöhnliche Situationen ohne Gefährdung trainiert werden. Die Hemmschwelle, eine Werkzeugmaschinen-Hauptspindel aus- und wieder einzubauen, ist in einer virtuellen Umgebung nun einmal sehr viel niedriger als an der realen Maschine. WILFRIED SIHN/Kip
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