Lausige Aussichten für den deutschen Wald
Erholungssuchende und Forstwirtschaft, Umweltschützer und Wissenschaftler. Seit der Wald aus dem Fokus der Umweltpolitik verschwunden ist, streiten Ökologen und Industrie um ihre Pfründe.

Dem deutschen Wald geht es nach wie vor schlecht.
Foto: Samsung
Fast alle nutzen ihn, doch kaum jemand interessiert sich für ihn: den deutschen Wald. Dabei geht es ihm unverändert schlecht. Von den 10,8 Mio. ha Wald – rund 30 % der Fläche Deutschlands – ist nach dem Waldzustandsbericht 2000 mehr als ein Viertel erheblich geschädigt, allen voran Fichten- und Kiefernbestände. Eine Vielzahl seltener Tier- und Pflanzenarten ist jedoch auf intakte, naturnahe Wälder als Lebensraum angewiesen. Doch wie viel Naturschutz im Wald darf es sein und wie viel Holz der Wälder darf wirtschaftlich genutzt werden?
Nicht nur dem Wald geht es lausig. Auch Vertreter der Forstwirtschaft klagen über die schlechten wirtschaftlichen Perspektiven sowie das öffentliche und politische Desinteresse. Sie würden gern mehr Holz nutzen, um rentabler arbeiten zu können. Allerdings stehen dieser Absicht die verschiedensten Interessen entgegen. So wünschen sich zum Beispiel die Jäger hohe Wildbestände, doch für Rehe, Hirsche und Wildschweine sind gerade nachwachsende Bäume ein gefundenes Fressen – sehr zum Ärger der Waldbauern. Hinzu kommen die Aktivitäten anderer Gruppen wie Wanderer, Mountainbiker und Reiter, die die Jagd stören. Ergebnis: Über ihre unterschiedlichen Interessen sind sich die verschiedenen Verbände so kräftig in die Haare geraten, dass niemand mehr miteinander sprechen wollte.
Um die Funkstille zu beenden, rief daher der Deutsche Forstwirtschaftsrat (DFWR) in der vergangenen Woche zum „Waldgipfel“ nach Bad Honnef. In vier Arbeitsgruppen traten die Kontrahenten zusammen, um Wege zu einer naturnahen und nachhaltigen Waldnutzung zu erarbeiten. „Unser Ziel ist es, gemeinsam einen Konsens zu erarbeiten und in einem gesellschaftlichen Vertrag festzuhalten“, sagte Hermann Ilaender, der Präsident des DFWR.
Was als „Generationenvertrag“ von den Vertretern aus Politik, Forst- und Holzwirtschaft, Energie- und Wasserwirtschaft, Freizeit- und Tourismusbranche sowie Umweltverbänden und Gewerkschaften gelobt wird, enthält aber kein umfassendes Handlungsprogramm. Vielmehr haben die Unterzeichner eher allgemein gültige Aussagen in das Vertragswerk aufgenommen. Wo es unterschiedliche Meinungen gibt, sollen in künftigen Beratungen weiter verhandelt werden.
Einig waren sich die Verhandlungspartner über die ökologische Funktion des Waldes: „Über seine Bedeutung als Natur- und Erholungsraum sowie als Rohstofflieferant hinaus spielt der Wald als Kohlenstoffsenke eine wichtige Rolle“, sagte Matthias Berninger, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium. Durch die Entnahme und den Einbau in einem Holzhaus werde Kohlenstoff zum Beispiel dauerhaft dem Kreislauf entzogen. Intakte Wälder erfüllen zudem vielfältige Aufgaben des Arten-, Biotop- und Klimaschutzes und dienen als Grundwasserfilter.
Doch mit ihrem ökologischen Nutzen sind beträchtliche Probleme für die Waldwirtschaft verbunden. Denn die Waldbesitzer erhalten für stillgelegte Flächen, die unter Naturschutz stehen, keine Ausgleichszahlungen vom Staat. „Wir möchten den Wertverzicht, den die Eigentümer erbringen, ähnlich wie in der Landwirtschaft entgolten haben“, so Michael Prinz zu Salm-Salm, der Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände. Tatsächlich werde im Bundeslandwirtschaftsministerium verstärkt über Belohnungen für Naturschutzleistungen im Wald nachgedacht, versicherte Berninger.
Zudem leidet die Forstwirtschaft unter einem Imageproblem: Nach einer Studie der Technischen Universität München gewinnen zwar der Wald und sein Produkt Holz in der Bevölkerung massiv an Bedeutung, doch hat die Forstwirtschaft für viele Menschen ein negatives Ansehen. Der Grund: Die Branche fällt Bäume und damit verbindet ein Großteil der Bevölkerung nichts Gutes. Aus dieser Gefühlslage heraus resultiert das so genannte „Schlachthaus-Paradoxon“: „Jeder möchte zwar schöne Holzmöbel, aber Bäume sollen dafür nicht gefällt werden“, formuliert Ilaender.
Doch nicht nur ihr Ansehen bereitet den Forstwirten Sorgen. Ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich durch den Verfall der Rohstoffpreise und die gleichzeitig erheblich gestiegenen Lohnkosten drastisch verschlechtert. „In den fünfziger Jahren konnte ein Waldbesitzer mit dem Erlös aus einem Kubikmeter Rundholz noch bis zu 100 Lohnstunden bezahlen, heute sind es weniger als zwei“, so Ilaender. Über 90 % der Einnahmen der Forstbetriebe stammen bisher jedoch aus dem Holzverkauf. Die Waldbesitzer seien also auf die Holznutzung angewiesen, um die anderen, im öffentlichen Bewusstsein stärker im Vordergrund stehenden Leistungen erfüllen zu können.
Einen Ausweg wies Ortwin Renn, der Vorstandssprecher der Akademie für Technikfolgenabschätzung in Baden-Württemberg: „In Zukunft wird es darauf ankommen, durch intelligente Vergütung der Nebenfunktionen des Waldes – zum Beispiel durch einen Waldpfennig analog zum Wasserpfennig – eine nachhaltige Waldbewirtschaftung herbeizuführen.“ Ob noch vor der kommenden Bundestagswahl eine neue Abgabe durchsetzbar ist, erscheint allerdings mehr als fraglich. HOLGER WÜSTEFELD
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