Lagerloser Motor startet seine Industrie-Karriere
Kein Abrieb, kein Schmiermittel, keine Verunreinigung, kein heißlaufendes Lager, keine leckende Dichtung. Der „lagerlose Induktionsmotor“ macht das möglich. Als implantierbare Blutpumpe sowie als 30-kW-Antrieb rotiert er schon im Labor.
Klassische Elektromotoren bewegen fast alles. Nur ihren eigenen Rotor können sie nicht allein festhalten. Dafür benötigen sie Lager, meist Kugellager. Reibung, Hitze, Abrieb, Schmiermittel- und Dichtungsprobleme wollen berücksichtigt werden. Der lagerlose Motor kennt all diese Probleme nicht.
Wer solch einen Motor bauen möchte, hat zunächst einmal Pech.
Erstens schützen Patente die Konstruktion und zweitens, so Prof. Jörg Hugel, „gibt es über das, was wir hier machen, nicht einmal ein Lehrbuch“. Die – teilweise veröffentlichten – Theorien helfen nicht immer weiter. Sie wurden mehrmals angepasst.
Der herkömmliche Elektromotor besteht aus einem Stator, in dessen Inneren sich der Rotor dreht. Das rotierende Magnetfeld des Stators zieht den Rotor im Kreis hinter sich her. Lager tragen und führen die Rotorwelle.
Hugel, der schwäbische Professor mit Lehrort Zürich, teilte den Motor in zwei Hälften. Seine Erläuterung: „Die eine dreht, die andere trägt.“ Das allerdings ist dann doch eine sehr einfache Erklärung.
Bei konventionellen Elektromotoren berücksichtigen Konstrukteure nur die „Lorentz“-Kraft. Andere Einflüsse heben sich auf. Die Lorenzkraft resultiert aus dem Einfluss eines magnetischen Feldes auf bewegte elektrische Ladungen.
Zum Bau des lagerlosen Motors bedurfte es eines grundsätzlich neuen Verständnisses der Felder im Motor, der schnellen Wechselwirkung zwischen zeitlich veränderlichen elektrischen und magnetischen Feldern. Das beschreibt die Maxwell-Theorie.
Hugel und seine Doktoranden berücksichtigen folglich nicht nur Lorentz-Kräfte, sondern rechnen vor allem mit Maxwell-Kräften. Damit die auftreten, mussten neue Motor-Konstruktion und Steuerungen erdacht werden. Die Elektronik ist aufwendig: Fünf Sensoren erfassen die x-, y- und z-Lage, Signalprozessoren verarbeiten die Informationen, Mikro- und Leistungselektronik steuert und regelt nach.
Hugel und seinem Team gelang es schließlich, das antreibende Kraftfeld aus dem Inneren des Motors heraus zu führen. Der Rotor kann nun von außen auf die Stirnseite des Stators aufgesteckt werden.
Jörg Hugel greift zu einem fingergroßen Stabmagneten, packt ihn in eine Art flache, runde Bonbondose aus Plastik. Der Stabmagnet klappert in ihr herum. Die Dose lässt sich hermetisch dicht verschließen. Auf den Motor aufgesteckt, dreht sich der magnetische Rotor klapperfrei. Jörg Hugel: „Magnetfelder und die Signalelektronik führen den Rotor präzise.“
Mit einem magnetischen Flügelrad als Rotor wird diese Konstruktion zu einer sehr preiswerten, dichten Einwegpumpe für Dialyse-Patienten. Der Stator bleibt, die preiswerte, sterile Pumpe – als Rotor mit Gehäuse aufgesteckt – wird nach Gebrauch weggeworfen. Und schonendender als die heute verwendeten Schlauchpumpen, die Blutkörperchen zerquetschen, soll die neue Konstruktion auch noch sein.
Die nächste Generation medizinischer Antriebe wird im Labor bereits getestet: Die Pumpe, die im Rhythmus des Herzens pulst. Nicht größer als ein Herzschrittmacher der ersten Generation, kann sie vorübergehend das Herz entlasten. Etwa bis es sich selbst regeneriert hat.
Vertrieben und in der medizinischen Praxis erprobt wird die Konstruktion zwar über eine US-Frima, doch dass Zentrum neuer Antriebs- und Elektronik-Entwicklung liegt in Zürich. An der ETH bei Prof. Jörg Hugel und im Züricher Technologiezentrum bei der Sulzer New Technologies. Deren Geschäftsleiter, Dr.-Ing. Ronald Rohner und Prof. Jörg Hugel sind trotz aller Erfolge bescheiden. Mit doppelt so gut, aber halb so teuer, mögen sie für ihre Konstruktionen nicht werben. Obwohl das – je nach Anwendung – eher noch Understatement ist. Und überhaupt: „Um so etwas zu entwickeln, benötigen sie immer ein Team.“
Das Team kann auch kräftigere Motoren bauen. Bei Sulzer New Technologies brummt bereits ein dicker Klotz. Ein 500-kW-Motor soll es werden. Thomas Gempp, ein Ex-Student von Hugel: „Ein solcher Motor könnte eines Tages dichte Ölpumpen auf Bohrplattformen antreiben. Das senkt die Explosionsgefahr. Denn im Förderstrom ist häufig auch etwas Gas.“
Jörg Hugels wissenschaftliche Karriere begann vor rund 15 Jahren. Von der AEG weg erhielt er einen Ruf an die ETH Zürich: „Die haben nicht gefragt, wie viel ich veröffentlichen, wie viel Marketing ich machen werde, die ließen mich machen.“
Teams und auch finanzielle Unterstützung fand Jörg Hugel im Technologiezentrum Zürich bei der Sulzer New Technologies.
1993, als die Schweiz Partnerland der Hannover Messe war, präsentierte Jörg Hugel seinen lagerlosen Motor. Ein Chefarzt sah ihn, wollte aber nicht den gezeigten Blasenbett-Bioreaktor, auch keine Spaltrohr-Pumpe, sondern schlug eine Blut-Pumpe vor. Später wollte der Unternehmer Lust auch solch eine lagerlose, abriebfreie Konstruktion, allerdings als Lüfter für die Halbleiterfertigung. Die Entwicklung schlug eine neue Richtung ein.
1993 startete Sulzers späterer Bereich New Technologies im Züricher Technolgiezentrum und entwickelt unter anderem Linearantriebe, später lagerlose Motoren und Prozessstromquellen. Zum Profit-Center herangewachsen, wurden bis heute rund 130 Produkte geschaffen, haben hier 35 Ingenieure ihren Arbeitsplatz gefunden.
Geschäftleiter Ronald Rohner: „Wir haben auch Produktionschefs, aber nicht immer eine eigene Produktion.“ Die eigene Produktions-Leute seien kaum anzutreffen. Rohner: „Die sitzen nicht in Meetings, die sprechen mit den Leuten in der Fertigung unserer Partner.“
Hugel bleibt trotz aller Erfolge bescheiden, drängt sich nicht in die Öffentlickeit. Zumindest in Industrie-Kreisen wurde der Schwabe bekannter, als er den mit 100 000 DM dotierten Ernst-Blickle Preis erhielt. Eine Auszeichnung für „den Pionier des lagerlosen Motors“, heißt es inder Begründung. Die Auszeichnung wird von der SEW-Eurodrive Stiftung verliehen, ist nach Ernst-Blickle, dem Gestalter der SEW-Eurodrive-Gruppe benannt. R. SCHULZE
Aus den Komponenten eines klassischen Elektromotors (links) wurde der Prototyp des lagerlosen Motors (rechts) zusammengesetzt, das Funktionsprinzip der geteilten Spulen erfolgreich demonstriert: Eine dreht, eine trägt.
Für Dialyse- und Herz-Patienten wird diese Einwegpumpe eine bessere Versorgung bei sinkenden Kosten bedeuten. Der Rotor des Motors liegt in der aufgesteckten Gehäuseteil. Es gibt keine mechanische Verbindung zu ihm. Nur Magnetkräfte bewegen das Flügelrad in der Pumpe.
Vordenker Jörg Hugel (links), Preisträger der SEW-Eurodrive Stiftung. Neben ihm Industriepartner Ronald Rohner von Sulzer New Technologies.
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