Konstruktion wird zur Bühne für das Digital Prototyping
Branchenexperten sprechen mittlerweile von 30 % weniger Entwicklungszeit. Zudem sei die Software jetzt absolut einsatzreif.
Die Verleihung des Innovationspreises der deutschen Wirtschaft im Januar 1999 an das Software-Haus Tecoplan AG in München/Ottobrunn war ein wichtiges Zeichen, daß der Bau digitaler Prototypen, auch Digital Mockup (DMU) genannt, in breiten Kreisen der Industrie mittlerweile bekannt und anerkannt ist. Außer diesem externen Anlaß sprechen aber noch vielen „technische“ Faktoren dafür, daß 1999 so etwas wie das Jahr des Digitalen Prototyping werden kann: Die heute für diesen Bereich angebotene Software steckt nicht mehr in den Kinderschuhen. Sie ist erprobt und unter Windows NT bedienbar. Das soll auch bei noch größerem Leistungsumfang so bleiben, wie Dipl.-Ing. Katharina Gerthner, Managerin European Partnership bei Tecoplan, versichert: „In unserer Entwicklung werden große Anstrengungen unternommen, um auch zukünftige DMU-Lösungen für Konstrukteure und Designer bedienbar zu machen und Spezialistentum zu vermeiden.“
Auch IBM geht mit der neuen Catia-Version verstärkt in Richtung Digital Prototyping. Denn „die Integration der DMU-Funktionalitäten ist wesentlich höher als früher. Möglichkeiten für die Montagesimulation sind jetzt ausgereift“, betont Dipl.-Ing. Stefan Hartun, CAD-Anwendungsberater bei IBM in München.
Zudem ist das Software-Angebot der Branche jetzt komplett: Nicht nur der Geometrie-Check ist möglich, also das Prüfen, ob alle Teile in ihrer Gesamtheit zusammenpassen. Auch das Bewegungsverhalten von Baugruppen und ganzen Konstruktionen kann simuliert werden, ebenso ihr akustisches Verhalten, Festigkeiten, die Ergonomie und letztendlich auch die Produktion mit ihren spezifischen Randbedingungen. „Digital mock up will als High-End in der Produktwentwicklungsstrategie verstanden werden“, ergänzt Thomas K. Pflug, Geschäftsführer der Ulmer NC-Gesellschaft (NCG). So seien in der Automobilindusrie schon „konkrete“ digitale Prototypen bis zur Freigabe als rechnerinternes Modell mit allen Prozeßparnern optimiert worden. „Dabei werden Simulationen vom FEM über das Werkstoffverhalten bis hin zum Recyc-ling angestrebt“, präzisiert Pflug. Auf der NCG-Jahresveranstaltung vom 1. 7. 1999 bis zum 3. 7. 1999 in Ulm soll ein DMU-Kongreß mit Anwendungsbeispielen den Besuchern tieferen Einblick in die Welt des Digital mock up geben.
Gleichzeitig steht DMU nicht mehr allein; neben speziellen Schnittstellen zu einigen gängigen CAD-Paketen hat man IGES-, STEP-, VDA-Schnittstellen parat. Die Daten werden nicht nur im Betrieb verglichen, sondern auch mit Zulieferern, damit auch deren Teile in der Gesamtkonstruktion gecheckt werden können.
Um die Datenflut sicher beherrschen zu können, sind die führenden Pakete an PDM-Systeme koppelbar. „Bildlich kann man sich das so vorstellen, daß links und rechts der PDM-Straße CAD/CAM/DAE-Daten einerseits und DMU-Daten andererseits laufen“, ergänzt Kataharina Gerthner.
Die Rechner selbst für umfangreiche Modelle sind mittlerweile so preisgünstig, daß auch kleinere Konstruktionsabteilungen außerhalb der Luft- und Raumfahrtindustrie damit ausgerüstet werden können. Fehler finden, bevor Kosten entstehen, wird durch alle diese Faktoren somit für breite Anwendungskreise möglich, lautet das erklärte Ziel.
Voxeltechnologie ermöglicht vollkommene Fehlerselektion
Um Mängel in einer komplexen Konstruktion wirklich alle zu finden, wenden die Softwarepakete ausgeklügelte Methoden an, vom einfachen Grafikvergleich bis zur mathematischen Durchdringung der gesamten Struktur. Bei einem simplen Grafikvergleich bleibt es dem Anwender überlassen, alle Fehlerstellen zu finden, indem er immer wieder durch die Konstruktion „geht“. Ist die ganze Struktur indes mathematisch aufgelöst, etwa in Voxel, kann eine 100%ige Fehlerselektion und -behebung realisiert werden.
„Die Voxel-Technologie ermöglicht es, daß zu jedem Teil wirklich alle Nachbarn gefunden werden“, betont Tecoplan-Managerin Gerthner. Voxel ähneln Pixeln (bekannt von der Bildschirmauflösung, z.B. 1280 1024 Pixel) vorstellen, sind aber dreidimensional: Ein Raum wird in „n“ gleich große Elemente aufgelöst, ähnlich Legosteinen. Je nachdem, wie groß die Legosteine sind, desto gröber oder feiner wird das Modell. Das ist die Grundidee.
Jeder Raumpunkt (Voxel) ist dabei genau ansprechbar. So läßt sich unter anderem feststellen, ob zwei Voxelelemente den gleichen Raum belegen oder nicht. Es entsteht eine digitale dreidimensionale Landkarte, eine sogenannte Spacemap. Da man den Raumpunkten Eigenschaften zuordnen kann, läßt sich darauf auch ein Resultmanagement aufbauen. Nimmt man beispielsweise an, beim ersten Check eines zusammengebauten Kfz-Armaturenbretts würden 500 Fehler auftreten, erschrickt man zunächst. Beim genauen Hinsehen findet man aber, daß vier Fünftel davon sogenannte weiche Fehler sind, z.B. Kabel, die mit anderen Teilen kollidieren. Natürlich kann das Kabel beim Einbau meist einfach an die Seite geschoben werden. Der Fehler ist dann weg. Man ordnet den entsprechenden Raumpunkten nun diese Eigenschaft zu und findet dann beim nächsten Durchlauf keine Fehleranzeige mehr.
Die notwendigen Kabeldaten sind darum trotzdem vorhanden und gespeichert. Das erleichert die Arbeit ungemein und macht den Vorgang schnell. Tatsächliche Anwender, wie etwa die Sachsenring AG, Zwickau, berichten darum auch von 30% Reduktion der Gesamtentwicklungszeit bei einem Lkw-Fahrerhaus. Ähnliche Zahlen waren schon früher von BMW genannt worden.
Um in Sachen DMU schneller als bisher weiterzukommen, formulierte die Firma Gedas, Berlin, zusammen mit Silicon Graphics ein OpenDMU-Konzept und zeigte vor kurzem einen ersten Ansatz, heterogene Systeme zusammenzubinden. In diesem Jahr wird es dazu eine Roadshow in verschiedenen europäischen Städten geben. Sie wendet sich dabei nicht nur an die Automobilhersteller, sondern auch an Zulieferer, Anlagenbauer, Entwicklungshäuser und natürlich die Fertigungsindustrie. Ob OpenDMU dann einen Status erhält, wie etwa STEP, bleibt jedoch erst einmal abzuwarten.
KARL OBERMANN/Kip
Produktentwickler im Automobilbau gehören zu den Vorreitern im digitalen Prototypenbau. Jetzt folgen die Zulieferer, deren Bauteile direkt in der Gesamtkonstruktion geprüft werden können.
Ein Beitrag von: