Knochenarbeit für mehrere Disziplinen
Der promovierte Maschinenbau-Ingenieur Michael Wehmöller (40) ist mit OP-Sälen und dem Anblick chirurgischer Eingriffe am Kopf eines Patienten vertraut. Zusammen mit anderen Fachleuten aus der Medizin, Chemie und dem Ingenieurwesen hat er gut verträgliche Schädelimplantate aus Titan entwickelt.
Die Produkte der Firma Cranio Construct GmbH in Bochum sind weit über die Grenzen des Ruhrgebietes gefragt: Cranio, kürzlich mit dem Innovationspreis Ruhrgebiet ausgezeichnet, liefert an über 50 Kliniken in Deutschland, zusätzlich stehen beispielsweise eine Spezialklinik in den Niederlanden und Kunden in anderen europäischen Ländern sowie in den USA auf der Liste. „Zurzeit versuchen wir die Zulassung für den amerikanischen Markt zu bekommen. Diese Techniken werden in Amerika nicht angeboten. Das ist wirklich ein Vorsprung, den wir hier haben“, betont der Visionär von Cranio Construct.
Wehmöller und seine Partner haben eine Technologie zur Praxisreife gebracht, die die Herstellung individueller Implantate für Patienten mit schwersten Kopfverletzungen möglich macht. Diese können durch Unfälle verursacht sein, oder aber auch durch die Entfernung großer Teile der Schädeldecke bei einer tumorbedingten Operation. „Wir können die Hälfte des Schädelknochens mit einem Implantat ersetzen“, sagt Wehmöller. Konventionell wird die so genannte Kranioplastik – also die Auffüllung des Defekts – während der Operation aus Knochen oder Knochenersatzmaterialien am Defekt geformt, das führe oft zu Komplikationen und außerdem sei das Ergebnis auch ästhetisch nicht immer erfreulich. „Ich habe Patienten kennen gelernt, die 18 Operationen mit konventionellen Mitteln über sich ergehen lassen haben, bis sie mit einem Titan-Implantat endlich Ruhe hatten.“
Titan hat sich als biokompatibel erwiesen, da es zu keinem Materialaustausch kommt und so das umliegende Gewebe nicht geschädigt wird. Außerdem liegt beim Cranio-Verfahren das Implantat bereits vor der OP auf dem Tisch. Die Daten aus der Computertomographie (CT) werden von den Kliniken auf den Server der Firma übertragen. Dort werden sie ins CAD/CAM-System transferiert und ein Konstrukteur beginnt mit der Rekonstruktion 3D-zusammenhängender Geometriemodelle von Schädelstrukturen und der Implantatmodellierung. Dabei werden funktionelle Aspekte berücksichtigt und die Implantate erhalten Fixierungslaschen, so dass sie mittels kleinster Titanschrauben (5 mm lang und 1 mm dick) am Knochen befestigt werden können. Die Daten gehen virtuell an Produktionsstätten. „Wir nutzen Produktionssysteme nach standardisierten Verfahren, obwohl wir individuell fertigen“, betont der Ingenieur. Sonst wären die Kosten zu hoch. Das Verfahren ist „hausgemacht“, Grundlage ist eine Einguss-Methode mit Flüssigmetall. „Die Herstellung ist – je nach Größe und Aufwand – innerhalb eines Tages möglich.“ Bereits 50 Mal hat Wehmöller, der auch noch einen Forschungsauftrag an der Uni Bochum hat, im OP zugesehen, wie eines der von Cranio Construct gefertigten Implantante eingesetzt wurde. „So kann ich besser analysieren und dann Rückschlüsse daraus ziehen, was es für den Arzt bedeutet, wenn wir Implantate so oder so auslegen.“ Den Umgang mit der Situation im OP schildert er so: „In dem Moment, wo ich mich auf die Technik konzentriere, sind Emotionen abgestellt. Sie dürfen bei einer OP nicht an das Leid der Patienten denken, sondern an die Aufgabe.“
Mittlerweile haben die Implantate von Cranio Construct mehr als 300 Menschen geholfen und das ist es, was neben der Freude an der Technik für den Familienvater zählt: „Früher habe ich im stillen Kämmerlein Programmierarbeiten gemacht. Ich muss sagen, es war eine Belebung für mich, den Kontakt zu solchen interessanten Aufgaben zu bekommen. Heute kann ich mir keine andere Arbeit mehr vorstellen. Das ist eine Aufgabe man sieht, dass man Menschen helfen kann. Der Beruf wird zum Hobby.“
Michael Wehmöller hat Maschinenbau mit dem Schwerpunkt Konstruktionssysteme und Informationstechniken studiert und beschäftigte sich im Anschluss in einem Start-up der Uni mit Technologietransfer von CAD- und CAM-Techniken im Formen- und Werkzeugbau, später kamen noch die Installation dieser Techniken sowie die Programmierung von Schnittstellen und die Kopplung von unterschiedlichen Rechner-Systemen hinzu. Dieses Know-how erwies sich als solide Basis für die weitere Karriere. Anfang der 90er Jahre kam der Auftrag herein, die Konstruktion für einen Unterkieferaufbau zu machen. Es war dazu nötig, die Daten der CT aus der Radiologie ins CAD-System zu überführen. Das war sozusagen die Initialzündung für die Entwicklung der „Bochumer Schädelimplantate“. Wehmöller führte die beiden Welten zusammen, erkannte aber in Kooperation mit Ärzten auch, dass noch Forschungsbedarf bestand.
Das Forschungsprojekt an der Ruhr-Universität, an dem er weiterhin maßgeblich beteiligt ist, lief zunächst fünf Jahre und brachte die Implantate hervor, die erst nur in Bochumer Kliniken eingesetzt wurden. „Das interdisziplinäre Team hat dann 1998 festgestellt, dass der Bedarf daran groß und so eine Firmengründung gerechtfertigt war“, erklärt der Ingenieur. Und sagt auch: „Kleine Unternehmen wie wir – zurzeit mit fünf Leuten – können natürlich nicht Forschung betreiben, das muss über Forschungsprogramme in Deutschland abgedeckt werden.“ Das Projekt ist um fünf Jahre verlängert worden, beispielsweise um innovative Resektionstechniken voran zu treiben, d. h., die Entfernung des Knochens durch eine Schablonentechnik und die anschließende Einsetzung eines Implantates in einer OP zu ermöglichen.
Ein weiteres Ziel der Forschung und des Technologietransfers ist es, ein Verfahren zu entwickeln, das – vereinfacht gesagt – Knochenzellen anlocken und sie zum Wachstum anregen soll. Zwei Kunststoffe werden kombiniert: eine stabile Schicht und darunter eine poröse, schaumige, in die die Knochenzellen einwachsen sollen. Der Schaum soll dann in dem Maß abgebaut werden, wie sich der Knochen aufbaut. Nach einem Jahr soll sich die äußere feste Schutzschicht auflösen. Übrig bliebe der eigene Knochen. C. HANTROP
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