Kleinste Partikel sicher nutzen
VDI nachrichten, München, 16. 11. 07, ciu – Ende Oktober diskutierten Experten aus Technik und Wirtschaft auf der Fachmesse Materialica in München über das „Sicherheitsmanagement in der Nanotechnologie“.
Nanotechnik ist „in“ – so sehr, dass nicht immer Nano drin ist, wo Nano draufsteht. Im vergangenen Jahr führte beispielsweise ein „Nano-Versiegelungsspray“, das Badezimmerkacheln und Duschabtrennungen vor Kalkflecken schützen sollte, bei den Anwendern zu Vergiftungserscheinungen. Allerdings nicht durch Nanopartikel – die waren in dem Spray gar nicht enthalten.
„Nano“ stand nur als werbewirksames Schlagwort auf dem Etikett. Trotzdem geriet die Nanotechnologie durch entsprechende Berichterstattung in Verruf. Auf der anderen Seite wird ihr aber eine große Zukunft prophezeit: Halbleiter, Autolacke, Glas und Keramik, Sonnencremes – kaum ein Bereich bleibt von den Möglichkeiten der ultrakleinen Teilchen unberührt. Allerdings auch nicht von der Risikodiskussion.
Wenig ist bisher bekannt über das Verhalten von Nanopartikeln in der Umwelt. Auf der Messe Materialica erklärte Dr. Matthias Nüchter von der Nano-Initiative Bayern aus Würzburg kürzlich: ,“Ab einer gewissen Größe ändern sich die chemischen Eigenschaften abrupt, wobei aber diese Größe noch nicht genau definiert ist. Vor allem ändert sich die Reaktivität und damit auch die Toxizität. Entscheidend ist das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen.“ Das altbekannte Titandioxid aus Zahncremes verhält sich somit in der Umwelt anders als Titandioxid-Nano- partikel, mit denen z. B. Dachziegel beschichtet werden, um sie von Moos und Flechten frei zu halten.
„Man müsste Nanopartikel eigentlich nicht nur im Produkt nachweisen, sondern in der gesamten Wertschöpfungskette analysieren: Rohstoffe, Additive, Beschichtungsmaterial“, forderte Dr. Jürgen Sander von Nanogate, Saarbrücken. Doch die Analytik ist äußerst aufwendig. Innerhalb der EU-Projekts „Nanosafe“ beteiligt sich Nanogate an der Entwicklung sicherer Produktions- und Applikationsverfahren – also Maßnahmen, um die Freisetzung der Nanopartikel während der Produktion einzudämmen, Anforderungen hinsichtlich der Arbeitssicherheit sowie der Prozessüberwachung. Es geht aber auch darum, dass die Produkte tatsächlich die angegebenen Nanopartikel enthalten.
„Die Anzahl der Risiken ist unendlich“, bilanzierte Dr. Gerhard Schmid von der Münchner Rückversicherungs-Gesellschaft und empfahl vor allem Start-up-Unternehmen ein gründliches Risiko- und Qualitätsmanagement – wobei letzteres eben in der Nanotechnologie besonders schwierig sei. Ein Risikomanagement beginne mit der Analyse des Risikos, um es dann Schritt für Schritt auf ein unvermeidliches Maß zu reduzieren – und dies möglichst gut zu versichern. Mit der Broschüre „Produktrückruf ohne Imageverlust – Von der Krise zum Erfolg“ und dem Leitfaden „Der Rückruf fehlerhafter Produkte“ informiert die Versicherung darüber.
Nanotechnologie-Unternehmen, die ihre Risiken fest im Griff haben, können sich dies seit kurzem mit einem Zertifikat und einem entsprechenden Gütesiegel bestätigen lassen. Die TÜV-Süd Industrie Service, München, hat gemeinsam mit der Innovationsgesellschaft in St. Gallen das Risikomanagement- und Monitoring-System „Cenarios“ entwickelt. „Im Dezember werden wir das erste Unternehmen zertifizieren, im Frühjahr das zweite“, berichtete Thorsten Weidl vom TÜV.
Chancen und Risiken ganz anderer Art sind das Arbeitsgebiet von Dr. Manfred Ogris vom Zentrum für Pharmaforschung der Universität München. Er will Nukleinsäuren in Tumore einschleusen. „Dafür brauchen wir biokompatible Nanocarrier, die entweder ausgeschieden werden oder in ungefährliche Komponenten zerfallen.“ Künstliche Viren als Carrier haben erste vielversprechende Ergebnisse bei der Behandlung des Glioblastoms, eines ansonsten nicht heilbaren Hirntumors, gebracht.
Auch für die Behandlung von Erbkrankheiten könnte sich die medizinische Nanotechnologie eignen. „Aber wir sind noch im Stadium der Tierversuche – vor der Anwendung am Menschen brauchen wir umfangreiche Toxizitätsstudien“, betonte Weidl.
Die Nanotechnologie hat ein großes Potenzial, darüber herrschte Einigkeit – aber auch darüber, dass noch immer viele Fragen offen sind. Sie zu beantworten – etwa durch Projekte wie „Nanosafe“ – ist eine zentrale Aufgabe der nächsten Jahre. „Und alle Ergebnisse müssen auch in populärwissenschaftlicher Form veröffentlicht und kritisch hinterfragt werden“, forderte Nüchter. Bis die Ergebnisse vorlägen, müssten beim Umgang mit Nanotechnologie die gleichen strengen Regeln gelten wie für den Umgang mit Chemikalien und unbekannten Stoffen aller Art. RENATE ELL
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