Japan kämpft mit Qualitätsproblemen
Japan scheint auf den ersten Blick die lange Rezession überwunden zu haben. Nach wie vor aber steckt die Industrie in einem schmerzhaften Umstrukturierungsprozess. Dabei sind viele der bedrohlichen Probleme hausgemacht.
Nachdem Japan in der Produktion als Lehrmeister unzähliger anderer Länder galt, wachsen bei den japanischen Industriebossen derzeit die Sorgen über die Qualität der eigenen Produkte. Über die Industrie hinaus sind die Qualitätssorgen längst auch den Politikern in Japan geläufig. Dabei sind bei allen Problemen gerade Sorgen über die Qualität der eigenen industriellen Produktion ein Novum.
Über Jahrzehnte hinweg galt das Qualitätsniveau der industriellen Fertigung des Landes als kaum zu überbieten. Und nicht selten trugen die (japanischen) Stellungnahmen zu diesem Thema Züge der Arroganz.
Noch sind es keine 20 Jahre her, als ein Präsident des Toyota-Konzerns deutschen Journalisten in Tokio vollmundig erklärte, sein Unternehmen werde auf keinen Fall in Übersee produzieren, weil nirgends in der Welt ein mit Japan vergleichbares Qualitätsniveau sicher zu stellen sei.
Das änderte sich schnell. Zuerst war es der japanische Automobilhersteller Nissan, der sich in den 80er Jahren zu einer Fertigung in Übersee durchrang. Das Nissan-Werk in Sunderland in Nordengland gilt heute noch als produktivstes Autowerk in ganz Europa.
Andere Werke japanischer Autoproduzenten im Ausland folgten. Und als schließlich die meisten Autohersteller Nippons in Übersee produzierten, wollte auch Toyota nicht zurückstehen. Von da an ging es Schlag auf Schlag. Nach Europa und Amerika folgten bald die japanischen Werke in Südostasien. Selbst vor China machte Japans Industrie trotz vieler Vorbehalte nicht halt. Und längst waren es nicht mehr nur die Automobilhersteller, sondern die Elektroindustrie, die Werkzeugmaschinenhersteller und viele andere Branchen, die im Ausland Produktionsstätten aufbauten.
Grund dieser Entwicklung war vor allem das Währungsgefälle. Seit den frühen 80er Jahren hat sich der Außenwert des Yen etwa gegenüber der DM mehr als verdoppelt. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, mussten die japanischen Hersteller ins Ausland gehen.
Zeitweilig subventionierte sogar die japanische Regierung die Verlegung von Produktionsstätten nach Übersee, weil sie darin den einzigen Weg sah, die Zukunft der japanischen Industrieproduktion zu sichern.
Und wo immer sich Nippons Firmen in der Welt ansiedelten, gelang es ihnen vergleichsweise schnell, das hohe Qualitätsniveau der Fertigung in den Stammwerken auch in anderen Ländern zu erreichen. Entscheidend trug dazu bei, dass die Unternehmen fast ausnahmslos die besten Arbeitskräfte ins Ausland schickten, um dort die Qualität auf das gewohnte Niveau zu bringen – nicht selten erfahrene Meister, Vorarbeiter und im Dienst ergraute Produktionstechniker.
Über lange Jahre hatte das keine erkennbar negativen Folgen. Doch jetzt rächt sich diese Politik. Denn Japan hat, aus heutiger Sicht, den Bogen überspannt. Viele Mitarbeiter in den Stammwerken sind inzwischen in Pension gegangen. Und weil Nippons Unternehmen seit vielen Jahren selbst eisern sparen, mangelt es an erfahrenen Fachleute in den Entwicklungsbüros und Fabriken.
Für die Ausbildung einer neuen Generation von Arbeitnehmern ist von den Unternehmensleitungen kaum etwas getan worden. So fehlt heute in Japan fast eine ganze Generation erfahrener Produktionsspezialisten – was sich nachhaltig auf die Qualität japanischer Produkte niederschlägt.
Sichtbar wird das nicht nur in spektakulären Fällen wie etwa im Hause Mitsubishi Motor, wo über viele Jahre hinweg Kundenbeschwerden kurzerhand in Hinterzimmern abgelegt wurden und Reklamationen von Fall zu Fall stillschweigend erledigt wurden, wenn der Kunde nur lange und hartnäckig genug vorstellig wurde.
Ein japanischer Konzern aus der Nahrungsmittelindustrie verfuhr ähnlich. Kam Milch wegen Erreichen des Verfalldatums zurück, wurden die Packungen kurzerhand geöffnet und der Inhalt in die frische Milch geschüttet und erneut auf den Weg zum Kunden gebracht.
Neben diesen teilweise grotesk anmutenden Fällen gibt es unzählige andere, in denen Qualitätssicherung nur hieß, dass reklamierende Kunden kurzerhand neue Produkte erhielten, während für eine nachhaltige Verbesserung der Produktions-Qualität nichts oder wenig getan wurde.
Eine japanische Branche allerdings profitiert von dieser Situation – die Werkzeugmaschinenbauer. Ihr derzeitiger Boom im Inlandsgeschäft ist wesentlich aus dem Mangel an Facharbeitern in der japanischen Industrie zu erklären. Wenn die Großunternehmen nicht mehr genug Fachkräfte in den eigenen Reihen finden, dann kämmen sie zunächst einmal die eigenen Zulieferbetriebe durch. Wenn das nichts mehr bringt, müssen sowohl sie selber wie auch die ausgebluteten Zulieferer neue Maschinen bestellt, deren Bedienung weniger Fachkenntnisse voraussetzt als die alten.
Zusätzlich werden die derzeitigen Probleme noch dadurch verschärft, dass die japanische Bevölkerung erschreckend schnell altert – schneller als in allen anderen Industrieländern. Und wo junge Leute vor der Berufswahl stehen, entscheiden sie sich immer häufiger gegen die Ausbildung und die Arbeit in der Industrie.
Selbst für ausländische Unternehmen in Japan kann diese Entwicklung ebenfalls gefährlich werden, wenn der Fachkräftemangel sie trifft. Noch haben sie den Vorteil, dass sie wegen des im Vergleich zu japanischen Unternehmen oft freieren Klimas vielfach besonders als Arbeitgeber geschätzt werden.
Auf die Dauer aber werden die ausländischen Unternehmen nicht um eine bessere Aus- und Weiterbildung ihrer künftigen Mitarbeiter herumkommen – sonst stehen sie bald vor denselben Nachwuchs- und Qualitätsproblemen wie ihre japanischen Wettbewerber. BARBARA ODRICH
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