Antriebstechnik 19.12.2003, 18:28 Uhr

Hightech hält Einzug in die heile Welt der Modellbahn

Playstation, Nintendo, Handys liegen unterm Baum. Hie und da: die gute alte Modelleisenbahn. Gute „alte“ Modellbahn? 480 Neuheiten bringt Marktführer Märklin jedes Jahr heraus. Tradition, ja. Aber bitte ergänzt durch neue Funktionen und modernste Technologien, lautet die Devise.

Geschäftig läuft der Kellner im Speisewagen von Tisch zu Tisch. Im Disco-Wagen einer anderen Bahn drehen sich Tanzpaare, während der Zug mit quietschenden Bremsen vor dem Haltesignal zum Stehen kommt. Hightech hält Einzug in die heile Welt der Modelleisenbahn. Puristen mögen dies beklagen, doch „der Trend geht ganz klar zum Ausbau digitaler Spielfunktionen“, erklärt Klaus Kern, Leiter der Entwicklungsabteilung bei Märklin.
Zuschaltbares Fernlicht, Geräusche, Dampf gehören längst zu den Standards. Und was künftige Features angeht, sind der Phantasie nur wenige Grenzen gesetzt. „Alles, was manuell zu bewegen ist, könnte elektrisch angetrieben werden“, meint Björn Magnussen, Vorstand der Dortmunder Elliptec AG. Das noch junge Siemens-Spinoff liefert für Märklin piezoelektrische Kleinstmotoren, die z. B. Stromabnehmer von E-Lokomotiven herauf- und herunterfahren. „Dieser Auftrag war für uns sehr wichtig“, sagt Magnussen rückblickend. „Damals, als Märklin erstmals bei uns anklopfte, hatten wir nur einen Prototyp.“ Der Auftrag aus Göppingen bescherte Elliptec die Chance, Erfahrungen in der Serienproduktion zu sammeln und eine gute Referenz für neue Kunden.
„Nach der Vorstellung auf der Spielwarenmesse in Nürnberg haben wir mehrere Anfragen von Kunden aus der Autozulieferbranche zu diesem Antrieb erhalten“, erinnert sich Dipl.-Ing. Klaus Kern. Die Modellbahn als Plattform für neue Technologien? „Das ist sie sicherlich auch“, meint der Märklin-Entwicklungschef. Beispiel Lichtleitertechnik: „Wegen des knappen Bauraums müssen wir das Licht oft über längere Strecken von der Quelle bis zum Austritt vorn an der Lokomotive führen, teilweise um Bögen von 90o.“
Beispiel Signalsteuerung: Ein intelligenter Decoder unter dem Gleis sorgt dafür, dass auch das Vorsignal umspringt, wenn etwa das Hauptsignal auf „Stopp“ gestellt wird. Zudem wirken die neuen Masten durch Verwendung von Mini-Leuchtdioden und die integrierte Stromführung deutlich authentischer als früher, als noch Kabel im Inneren angebracht werden mussten.
Beispiel Messtechnik: Als der „Fliegende Hamburger“, der in den 30er Jahren zwischen Hamburg und Berlin verkehrte, als Modell nachgebaut werden sollte, wurde der Originalzug digitalisiert. Den Auftrag erhielt Topometric, ein Start-up aus dem benachbarten Uhingen, das sich unter anderem auf die optische Messtechnik spezialisiert hat. „Oft werden im Laufe der Jahre zusätzliche Teile an die Lokomotiven angebaut“, erklärt Klaus Kern. Deshalb mag sich Märklin nicht ausschließlich auf alte Konstruktionszeichnungen verlassen.
Etwas vergilbt liegen solche Pläne zuhauf in den Regalen und auf den Tischen des Märklin-Archivs. An einem Arbeitsplatz läuft als Bildschirmschoner – natürlich – die Simulation einer Bahnfahrt. Gleich mehrere Mitarbeiter recherchieren von hier aus neue Modell-Ideen. Geht es um historische Züge, werden sie vor allem im Verkehrsmuseum Nürnberg fündig. Ausgerechnet bei den modernen Vorbildern, wie etwa dem ICE, ist es schon schwieriger, an die Konstruktionsdaten zu kommen. „Leider wird immer mehr versucht, Lizenzgebühren zu verlangen“, so Kern. Solche Forderungen lehnt Märklin prinzipiell ab.
Ist ein Vorbild gefunden und sind die Daten in ein CAD-Modell überführt, wird im Stereolitographie-Verfahren zunächst ein Prototyp erstellt. In den folgenden Fahrversuchen testen die Ingenieure, ob die Lokomotive alle Kurven und Weichen meistert. In mehreren Änderungsschleifen werden u. a. die Gewichtsverteilung und der Aufbau optimiert. Erfüllt der Prototyp alle Anforderungen, kann das Modell in Serie gehen.
80 bis 90 Formen müssen dazu zunächst einmal gebaut werden. In der Abteilung Werkzeug- und Formenbau heben Kräne zu reparierende Stahlformen zu den Arbeitsplätzen. Es pfeift und surrt wie in einer Zahnarztpraxis. Möglichst rund um die Uhr sollen die teuren Laser und NC-Fräsen laufen.
Die fertigen Formen müssen einen Druck bis zu 1000 bar aushalten, wenn das über 400o C heiße Zink eingepresst wird. Die Lokomotiven – die werden im 100 Jahre alten Stammwerk vor allem hergestellt – bestehen traditionell aus Ganzmetall. „Erst die hohe Wertigkeit des Werkstoffs Metall bildet den entscheidenden Vorteil des Märklin-Modells: Langlebigkeit, Wertbeständigkeit“, sagt Entwicklungsleiter Kern.
Nach dem Entgraten, das überwiegend maschinell erfolgt, werden Gewinde gebohrt und Details gefräst. Noch schimmern die Rohlinge silbern. Im nächsten Arbeitsschritt, in der Galvanik, erhalten die Modelle eine ockergelbe Phosphatschicht. „Die hat eine Struktur wie ein Schwamm“, beschreibt Meister Siegfried Selzer, „und bildet damit die entscheidende Grundlage für einen hochwertigen und abriebfesten Farbauftrag.“
Im Farbkettensprüher wird zunächst die Deckschicht aufgebracht. Das anschließende Schablonen-Lackieren ist weitgehend Handarbeit. Mit für die jeweiligen Modelle eigens gefertigten Schablonen verdecken die Lackiererinnen die Flächen, die keine Farbe annehmen sollen. Mit der anderen Hand führen sie die Sprühpistole.
Einige Meter weiter bestempeln Tampondruckmaschinen rhythmisch die eingelegten Oberteile mit Betriebsnummern, Schriftzügen und Logos. Selzer kontrolliert das Ergebnis mit der Lupe. „Bis zu einer Schriftgröße von 0,15 mm müssen die Buchstaben noch lesbar sein“, erläutert der Experte und legt das Halbfertigteil zufrieden in den Kunststoffbehälter. Bis zu 18 Druckvorgänge können in einem Arbeitsgang erledigt werden. So lassen sich auch hochwertige Bilderdrucke bewerkstelligen, wie bei der Swiss Collection, auf deren Seiten die Abbildungen von Armaturen alter E-Loks prangen.
Einen Raum weiter sitzen etwa zehn Mitarbeiterinnen an gut beleuchteten Arbeitstischen. Mit feinen Pinseln ergänzen sie unter der Lupe kleinste Stellen, die maschinell nicht erreicht wurden, malen winzige Partien aus, für die sich der Einsatz der teuren Schablonen nicht lohnt. Gesprochen wird hier wenig, volle Konzentration ist gefragt.
Ein Stockwerk höher surren leise Elektroschrauber. In U-Form sind die Arbeitsgruppen angeordnet, in denen die Lokomotiven montiert werden. Die Schrauben sind so winzig, dass die Mitarbeiterinnen sie mit Pinzetten halten müssen. Motoren, Gestänge, Räder,Verkabelung – 250 bis 430 Einzelteile gehören zu einem Modell. Am Ende des Prozesses setzt eine Frau die fertige Lok auf eine Testanlage. Surrend meistert die Lok P 8 den Parcours mit Gegenbogen und Doppelkreuzweiche, fährt vor, bremst, fährt wieder zurück. Nach bestandener Prüfung wandert das Modell in einen Plastikbehälter.
Bei einem so hohen Anteil an Handarbeit stellt sich die Frage nach der Zukunft des Produktionsstandortes Deutschland. Märklin-Geschäftsführer Paul Adams gibt sich zurückhaltend: „Deutschland macht es uns nicht gerade leicht.“ Nur mit optimierten Arbeitsabläufen und intelligenter Nutzung von Skaleneffekten sei der Standort wirtschaftlich zu betreiben. Auch wenn Märklin den Umsatz 2002 gegen den Trend in der Spielzeugindustrie um 4 % steigern konnte, sollen auch hier die Kosten weiter gesenkt werden – von 2002 bis 2004 um 20 %.
Zugleich setzt Adams auf Expansion. „Wir versuchen, junge Kundengruppen noch stärker anzusprechen. Der erste Versuch mit dem Harry-Potter-Zug Hogwarts Express zeigt Erfolg.“ Auch den Auslandsanteil will der 45-Jährige steigern, von derzeit 28 % auf 30 % im kommenden Jahr. Vor allem in den USA will das Unternehmen mit den Marken Trix und Märklin wachsen.
Flankiert wird die Strategie vom „Technologiewandel unter der Haube“, wie es der Ingenieur beschreibt. Die „gute, alte“ Modellbahn hat Zukunft, ist Adams überzeugt. Nur mit einem hoch modernen Innenleben: „Mehr Funktionen, weniger Verkabelung, einfacher zu bedienen.“MARTIN VOLMER

 

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Ein Beitrag von:

  • Martin Volmer

    Redakteur VDI nachrichten. Fachthemen: Wirtschaft, Konjunktur, Wirtschaftspolitik.

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