Hexapoden fassen Fuß in der Fabrik
Hexapod-Werkzeugmaschinen liegen im Zukunftstrend, das aber schon seit Jahren. In diesen Tagen aber liefert Mikromat seine erste Maschine aus. Sie geht an Daimler Chrysler. Entwickelt wurde die Parallelkinematik-Konstruktion unter Leitung von Frank Wieland am Fraunhofer-Institut IWU in Chemnitz.
Die Dissertation über die Hexapod-Werkzeugmaschine hat er gerade souverän verteidigt, doch nun steht Frank Wieland vor einem schwierigeren Problem. Die ehemaligen Kollegen vom Fraunhofer Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik Chemnitz (IWU) haben ihn zu der Hexapod-Werkzeugmaschine gebeten, die das Institut gemeinsam mit der Dresdner Mikromat GmbH entwickelt hat. Im Schraubstock klemmt eine Bierflasche, in deren Hals die Antriebsspindel einen Messfühler versenkt hat. Danach haben die Wissenschaftler die Maschine abgeschaltet.
Ein Gaudi mit ernstem Hintergrund: Kann doch eine Hexapod-Maschine mit sechs Antriebs-Streben die wunderbarsten Bewegungen in atemberaubender Geschwindigkeit vollführen. Bei einer Betriebsstörung aber kam das System bisher in Schwierigkeiten: Es konnte nach einem Stromausfall nicht mehr erkennen, an welcher Stelle im Raum sich das Werkzeug befindet.
So versucht der inzwischen in die Industrie gewechselte Wieland auch vergebens, den Messfühler per Tastendruck am Bedienterminal aus dem Flaschenhals zu bewegen. Bei jedem Versuch ertönt der Piepton, den die Ex-Kollegen für den Fall programmiert haben, dass der frisch gebackene Dr.-Ing. mit dem Fühler am Glas anstößt.
Der Chemnitzer Hexapod gehört zu den Parallelkinematiken, bei denen die Werkzeug-Plattform durch unabhängig voneinander zu bewegende, längenveränderliche Streben mit dem Gestell der Maschine verbunden ist. Die große Beweglichkeit wurde bisher vor allem in Simulatoren für die Luft-, Schifffahrts- und Automobilindustrie genutzt.
Für Werkzeugmaschinen wurden Hexapoden erstmals Ende der 70er Jahre in der Sowjetunion entwickelt. Bis Anfang der 90er Jahre baute das Nowosibirsker Elektrotechnische Institut mehrere Prototypen, bevor der wirtschaftliche Umbruch diese Entwicklung stoppte. Danach trieben Wissenschaftler in den USA die Entwicklung weiter voran. Inzwischen gibt es auch ein vom bundesdeutschen BMBF gefördertes Projekt.
Die Parallelkinematik eröffnet der spanenden Fertigung neue Möglichkeiten. Da die für den Vorschub zuständigen Streben vor allem auf Zug und Druck belastet werden, können sie aus leichten Materialien gebaut werden, die hohe Geschwindigkeiten und Beschleunigungen erlauben. Dabei sinken nicht nur die Bearbeitungszeiten bei gleicher Oberflächengüte der herzustellenden Werkstücke um bis zu 40 %. Da weniger Masse bewegt werden muss, braucht die Maschine auch weniger Antriebsenergie.
Anders als herkömmliche Werkzeugmaschinen bestehen Hexapoden größtenteils aus baugleichen Teilen, so dass sie bei einer Serienproduktion wirtschaftlich gefertigt werden könnten. Dazu müssten allerdings auch noch die heute gebräuchlichen hochwertigen Leichtbau-Materialien durch preiswertere Varianten ersetzt werden. Das hatte auch Frank Wieland bei der Verteidigung seiner Dissertation als Entwicklungspotential anerkannt: „Wenn der Hexapod für die Industrie attraktiv werden soll, müssen wir die Kosten für die längenveränderlichen Streben senken.“
Zu den Nachteilen zählt auch, dass die Werkzeugplattform nur beschränkt neigbar ist. Der Hexapod braucht zudem mehr Platz als herkömmliche Maschinen und eignet sich daher nur eingeschränkt dafür, große Werkstücke zu bearbeiten. Auch die Temperatur-Einflüsse sind beim Hexapoden noch nicht vollkommen unter Kontrolle: Wechselnde Raumtemperaturen und die Bearbeitungswärme führen dazu, dass sich die Streben ausdehnen und damit die Steuerung herausfordern. Für dieses Problem hat Wieland zwei Lösungen vorgeschlagen: Zum einen lassen sich die Temperatur-Einflüsse durch thermogerechte Konstruktion und andere Maßnahmen zurück drängen. Andererseits setzt er darauf, dass das Mess- und Steuerungssystem weiterentwickelt werden kann.
Anwendungsgebiete für Hexapod-Werkzeugmaschinen sieht Wieland vor allem dort, wo mehrdimensionale Relativbewegungen nötig sind. Dazu gehört die Bearbeitung von Freiformflächen im Werkzeug- und Formenbau, von medizinischen Prothesen oder Bauteilen für Luft- und Raumfahrt. Auch Verzahnungen könnten gut hergestellt und komplizierte Werkzeugprofile geschliffen werden.
Die CNC-Steuerung ist durch einen speziellen Prozessor ergänzt, auf dem eine Hexapod-spezifische Software läuft. Die Schnittstellen der internen Steuerung sind aber so gestaltet, dass für die Bearbeitungsvorgänge die herkömmlichen NC-Steuerungen mit ihrer gesamten Funktionalität genutzt werden können.
Bevor der Beginn der abendlichen Promotionsfeier ernsthaft in Gefahr gerät, haben Wielands Kollegen ein Erbarmen. Sie fordern den Hexapod-Spezialisten auf, sich vor dem Arbeitsraum aufzustellen und das Werkzeug zu beschwören: „Komm heraus!“ Und siehe da, der Messfühler bewegt sich allmählich aus dem Flaschenhals – ohne auch nur in Nähe der Glaswand zu kommen. Das Steuerungsproblem bei Havariefällen, das Wieland in seiner Arbeit noch als ungelöst offen lassen musste, haben seine Kollegen inzwischen gelöst. Wie, verraten sie allerdings nicht. STEFAN SCHROETER/KÄM
Hexapod-Werkzeugmaschinen haben sechs Streben, die das Werkzeug führen dies sind also kein Füße, sondern Arme. Bei Daimler Chrysler in Untertürkheim wird ein solcher Typ zum Fräsen von Gesenken eingesetzt. Eine weitere Maschine liefert Mikromat in ca. drei Monaten an die russische Raumfahrtindustrie
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