Geräusche im Auto werden nicht dem Zufall überlassen
VDI nachrichten, Besigheim, 16. 9. 05 – Mit großem Aufwand widmen sich Automobilhersteller und Zulieferer den Phänomenen, die das angelsächsische Kürzel NVH (Noise Vibration Harshness) umschreibt. Ingenieure kümmern sich deshalb um die akustische Modellierung von Antriebsgeräuschen, die Minimierung von Windgeräuschen oder die Schwingungsoptimierung in Fahrwerk und Abgasstrang. Die Geräuschkulisse im Auto wird also nicht dem Zufall überlassen.
Die etwa 50 Akustikingenieure im Entwicklungszentrum von Porsche in Weissach haben – wie andere Automobilhersteller und Lieferanten auch – ihre eigenen Opernhäuser. Mehrere Prüfstände bilden gleichsam die Bühnen für den Auftritt der Stars – von Fensterhebern, Generatoren und Motoren bis hin zu rassigen Sportwagen und mächtigen Geländewagen. Das Bühnenbild besteht aus schalldämpfendem Material, damit ja kein Geräusch an den Wänden reflektiert wird und die Messungen verfälscht.
Statt der Musikliebhaber lauschen unzählige hoch empfindliche Mikrofone den Arien und Duetten. Was sie aufzeichnen, werten die Ingenieure aus und bringen es anschließend in den Entwicklungsprozess neuer Produkte ein. Inzwischen, so Torsten Steffen, Professor für Konstruktionslehre an der Fachhochschule Oldenburg/Ostfriesland/Wilhelmshaven, „stecken die Automobilhersteller direkt und indirekt fast schon jeden zweiten Entwicklungs-Euro in die Vermeidung lästiger Geräusche und Vibrationen sowie in das Sound-Engineering.“
Neben störenden Geräuschen gibt es aber auch erwünschte Töne. Studien haben nachgewiesen, dass die Kunden akustische Leisetreter als wenig dynamische Fahrzeuge einstufen. Umgekehrt erwarten sportlich orientierte Fahrer beim Gasgeben ein kräftiges „Forte“ des Motors. Deshalb wird schon in der Konzeptphase für jedes Fahrzeug die passende Geräuschkulisse definiert und durch Kundenbefragungen abgesichert. Dieser virtuell komponierte „Grundsound“ muss vor dem Bau der ersten Teile bereits feststehen, da die Akustikingenieure in der Prototypenphase nur noch Feinschliff betreiben.
Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Entwicklungsarbeit der Lieferanten. Die Ingenieure von Georg Fischer Automotive müssen bei der Entwicklung und Produktion von Getriebequerträgern viele NVH-Aspekte berücksichtigen. Beim Audi A4 und A6 beispielsweise haben sie mit Hydro- und Gummilagern den Übertragungspfad zwischen Getriebe und Querträger akustisch abgeschwächt. Zudem gestalteten sie die Struktursteifigkeit sowie das Eigenschwing- und Dämpfungsverhalten der Querträger so, dass deren Eigenfrequenzen keinesfalls in den Frequenzbändern der Antriebsstränge liegen. Denn sonst würden Antrieb und Karosserie im Duett verstärkt brummen. Die Geometrie der Getriebequerträger wird mit Hilfe der Finite-Elemente-Methode (FEM) und anderen Simulationsverfahren ermittelt und frühzeitig mit Gieß- und Erstarrungssimulationen abgesichert.
„In der Trickkiste der NVH-Experten befinden sich neben der Finite-Elemente-Methode auch Techniken wie die Mehrkörper- und Innengeräusch-Simulation sowie die Transferpfad-Analyse“, erläutert Guido Rau, Leiter der Produktentwicklung im Bereich Forschung und Entwicklung in Schaffhausen. Mit komplexen Berechnungsmodellen lassen sich vor allem einzelne Geräuschanteile sowie die Übertragung von Körperschall und Luftschall gut darstellen. Solche numerischen Verfahren gewinnen immer mehr an Bedeutung, werden aber – wie Studioaufnahmen das Live-Erlebnis – die Geräusch- und Vibrationsmessungen am Prüfstand oder am realen Objekt nie ersetzen können. JÜRGEN GORONCY
Ein Beitrag von: