Formula Student: Das Beste, was es weltweit gibt
VDI nachrichten, Hockenheim, 17. 8. 07, rb – Die Schwaben haben ihrem Ruf als exzellente Autobauer vergangenes Wochenende alle Ehre gemacht. Denn das Team der Uni Stuttgart hat als erstes deutsches Team die Formula Student am Hockenheimring gewonnen. In verschiedenen Disziplinen bewiesen 54 internationale Teams ihr Können. Sie brillierten als Konstrukteure, Unternehmer und Teamplayer.
Am Samstagmorgen herrscht Hochbetrieb in den Boxen. Auf dem grauen Beton über den „Pits“ kleben bunte Flaggen verschiedener Länder. „Wisconsin ist dabei – das ist der Gewinner der amerikanischen Formula SAE, dem Mutterland des Wettstreits“, verrät Pat Clarke, technischer Berater der FS. „Und das ist gut für das Renommee von Hockenheim.“ Rote Hemden, schwarze Hosen mit Bügelfalten – so sauber und ordentlich wie die Amerikaner sieht sonst kein Team aus.
Erst recht nicht, wenn es darum geht, den Boliden fit für die technische Prüfung zu machen. Beim Scrutineering, dem ersten realen Check der Fahrzeuge, hat sich eine kleine Schlange gebildet. Ulf Steinfurth, der gefürchtetste Mann aller Teams, ist hier Herr der kleinen Halle. „Madi ist noch offen“, sagt der Prüfer und meint damit das Team aus Moskau. Ohne Sponsoren haben die Russen wenig Chancen. Aber das sagt Steinfurth nicht laut.
Er deutet auf eine Liste. „Auch die FH Dortmund muss noch mal ran.“ Federung, Rad- und Motoraufhängung, die Gurte, alles wird getestet und zum Schluss der 5-s-Test, in dem Fahrer in Windeseile die Autos verlassen müssen. Steinfurth: „Sicherheit geht vor.“
Madi darf auch 2007 nicht regulär an den Rennen teilnehmen. Am Ende des Konstruktionswettbewerbs hebt Alexander Blickow seine ölverschmierten Hände in die Höhe: „Uns kennt hier jeder und alle trauern mit uns.“
Höhenflüge und Tiefschläge liegen bei der Formula Student ganz eng beieinander. Das hat auch die Berufsakademie (BA) Berlin zu spüren bekommen. „Wir sind bei der Ausgabe der Awards genannt worden“, freut sich Niels Mauersberger im grauen Overall und beginnt zu erzählen: „Unsere Highlights sind ein Einzylinder Turbo und der Allradantrieb – das hat hier keiner.“ Nur neun Teammitglieder habe die Berufsakademie Berlin und sei damit wesentlich kleiner als die meisten anderen. Fest steht: Als drittes Team in der Hauptstadt hat es die BA nicht leicht, dafür zählt das Engagement des Hauptsponsors Alstom – „die haben einen Traum unterstützt“ – und die Hilfe der Eltern um so mehr.
Mutter Ellen Krahnert weiß noch genau, wie sie in den letzten Wochen immer wieder nächtliche Fahrdienste übernommen hat. Vater Uwe lobt all das, was die jungen Menschen hier lernen: „Rücksichtnahme, kollektive Weisheit und die Liebe zu Werkzeug und Disziplin.“
Und Eltern leiden mit. „Starten sie heute noch?“, fragt Ellen Krahnert ihren Ehemann. „Nein, da wird wohl nichts mehr draus.“ Währenddessen tauscht Sohn Torsten in der Box über 30 Schrauben aus. Schweiß rinnt ihm über die Stirn. Die Schrauben müssen länger sein, damit die Berliner jedenfalls die technische Abnahme schaffen. Auch die Berufsakademie ist kein einziges Mal auf dem Hockenheimring gestartet. Der Motor wollte nicht. Die Pupillen sind klein. Müde sehen sie hier aus, aber kein bisschen traurig.
Da mögen die Rennen am Wochenende noch so spannend sein – die FS ist eben vor allem ein Konstruktionswettbewerb. „Es geht nichts über die glühenden Augen für ein Projekt wie die Formula Student“, so beschreibt es Detlev Frank, ehemaliger Forschungsleiter von BMW. „Man kann im stillen Kämmerlein Mathe lernen, aber hier werden Teamfähigkeit und soziale Kompetenz unter Beweis gestellt und das ist mehr Wert als alleiniges Fachwissen.“
VDI-Direktor Willi Fuchs stimmt ihm zu: „Wer könnte ein besserer Botschafter für die Faszination der Technik sein als diese jungen Menschen selbst?“ In Deutschland gebe es 24 000 offene Ingenieursstellen. „Wir müssen junge Menschen gewinnen, um das Know-how am Standort zu halten.“
Doch zu diesem Know-how gehört mehr als reine Konstruktionskunst. „Aus Schwarz wird weiß“, unter dieses Motto stellte Simon Teufel am Anfang des Wettstreits die Präsentation des Stuttgarter Businessplans. In dieser Disziplin müssen die Teams einer fiktiven Firma den Geschäftsplan für den gebauten Prototypen „verkaufen“. Teufel wollte mit dem Klischee aufräumen, dass deutsche Ingenieure keine Vorträge halten können, langweilig und grau sind. Es ist ihm gelungen. Erstmals wurde in diesem Wettbewerbsteil Oxford von Platz 1 verdrängt. „Die Deutschen holen auf“, wertet Margo Bienert, Jury-Mitglied und Marketing-Professorin aus Nürnberg.
Zum Schluss seiner Präsentation lupfte Teufel ein schwarzes Tuch der weiße Stuttgarter Rennwagen stand im Miniformat darunter. Warum das große Pendant des Boliden so erfolgreich war? „Wir haben unser Fahrwerk sehr krass berechnet und ausgelegt“, erklärt Simon Teufel.
Der Parcours beim Autocross ist eng gesteckt. „Eine anspruchsvolle Strecke“, flüstert ein Mann mit gelber Weste, der zum Organisationsteam gehört. Die kleinen Boliden und ihre Fahrer bekommen das zu spüren. Wieder nimmt ein Rennwagen zwei grüne Kegel mit – Punktabzug. Nicht Motorleistung, sondern Fahrwerk und Fahrkönnen entscheiden hier. Am Ende siegt die TU Darmstadt souverän und steigt damit in den Favoritenkreis auf, Stuttgart erringt Platz 5.
Den Gesamtsieg hat der Uni Stuttgart die wohl härteste Fahrdisziplin, der 22 km lange Endurance, eingebracht. Doch Teufel bleibt bescheiden: „Wir hatten Glück. Delft und Wisconsin lagen von den Punkten her vor uns, sind aber auf der Langstrecke ausgeschieden.“
Geoff Goddard, langjähriger Motordesigner für unterschiedliche Formel-1-Teams, mischt sich unter die Zuschauer. Seine blauen Augen strahlen. „Dieser Wettbewerb hier auf dem Hockenheimring ist das Beste, was es weltweit gibt. Er setzt Standards.“ Und er wird nicht müde zu betonen: „Die Formula Student ist ein riesiges Experimentierfeld und eben mehr als Papier.“
Doch die FS ist längst zur großen Recruiting-Plattform für Automobilhersteller und -zulieferer geworden. Viele von ihnen haben hier ihre Zelte aufgeschlagen, Stände aufgebaut. Die Industrie stiftet nicht nur Motoren, Reifen und mehr, sie wirbt hier am Hockenheimring gezielt frische Mitarbeiter ab. Grund genug für den „alten Hasen“ Goddard auch ein wenig den Zeigefinger zu heben: „Wir müssen aufpassen, dass wir die Balance zwischen den Anforderungen der Industrie und der studentischen Kreativität halten.“
„Das ist ein Konstruktionswettbewerb und keine Rennveranstaltung“, wettert ein Student in der Box der TU Bergakademie Freiberg. Hier fließen Tränen. Immer wieder wurde die blaue Fahne geschwenkt, der Bolide mit der Nr. 85 musste ausweichen. Er wurde am Sonntag im Endurance überholt, bis ihn die Streckenposten aus dem Rennen nahmen. Zu langsam – lautete das harte Urteil der Jury.
Jetzt lassen die Studenten ihrer Verzweiflung freien Lauf. „Ein Jahr Arbeit umsonst. Wir wollten doch nur durchkommen.“ Denn die Werkstoffkundler der Bergakademie sind auf ganz andere Sachen stolz. Sie haben ihren blau-weißen Flitzer mit einer Außenhaut versehen, die vollständig aus Magnesium besteht. Entscheidender Vorteil, schwärmt Katja Fritsche, eine der zwei Teamleiter: „Magnesium ist viel leichter als Aluminium. Das kann sich gerade bei sportlichen Autos lohnen.“
Mühsam wurde der Werkstoff bei einem Kunstschmied über eine Lederhaut gedengelt. Die Freiberger Feuerwehr half bei dem Nachweis, dass diese Haut nicht leichter brennt als andere.
Alles umsonst? Die Tränen sind noch nicht getrocknet, da beschwichtigt Rudolf Kawalla, Professor und Teambetreuer: „Das war ein Organisationsfehler. Die letzten beiden Fahrer hatten noch keine Praxis.“ Und er muntert die jungen Leute mit den langen Gesichtern in ihren weißen T-Shirts auf: „Jetzt erst mal was essen und nächstes Jahr fahren wir nach Detroit.“ Ergebnisse und mehr auf Seite 27
J. SCHLINGMANN/R. BÖNSCH
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