Produktion 04.02.2005, 18:36 Uhr

Erfolg lässt sich berechnen

VDI nachrichten, Berlin, 4. 2. 05 -Viele Unternehmen verzichten noch auf die Möglichkeiten der angewandten Mathematik. Dabei ließen sich damit neben Werkzeugen zur Optimierung der Produktionsabläufe zum Teil auch neue Schlüsseltechnologien entwerfen.

Unser wirtschaftliches Überleben können wir nur durch komplexe Produkte und Prozesse sichern“, ist Prof. Martin Grötschel, Vizepräsident des Konrad-Zuse-Instituts für Informationstechnologie (ZIB) in Berlin, überzeugt. Der Schlüssel dazu liege in der interdisziplinären Zusammenarbeit von Betriebswirten, Ingenieuren und angewandten Mathematikern: „Ingenieure wissen, was prinzipiell möglich ist, Betriebswirte sagen, was sie gerne hätten, und Mathematiker finden heraus, wie es optimal geht.“
Die Praxis läuft mathematischen Fortschritten wie der kombinatorischen Optimierung oft hinterher, liest Grötschel etwa an Anlagen zur Distribution oder Fertigung ab: „Oft wird zu groß dimensioniert. Da stehen im Lager fünf Palettenaufzüge, wo drei gereicht hätten. Oder in einer Produktion speist je eine Laserquelle einen Schweißroboter – eine Quelle für zwei Roboter oder zwei Quellen für drei Roboter hätten es auch getan.“
Fragestellungen aus der Praxis fördern aber auch die Entwicklung neuer Methoden, die wiederum elegantere Lösungen für die Optimierung komplexer Probleme ermöglichen. So gelang es Mathematikern der TU-Berlin, die Teilnehmer eines Verkehrsnetzes relativ zu einander optimiert zu routen. Unter Leitung von Prof. Rolf Möhring dienten fahrerlose Transporter des Container Terminals Altenwerder als Versuchskaninchen. Algorithmen mit einer „impliziten Verwaltung der Zeit“ berechnen ihnen kollisionsfreie Routen auf dem schnellsten Weg durch das Bäumchen-wechsle-Dich neuer Transportaufträge.
Dies haben nun Ingenieure am Institut für Luft- und Raumfahrt an der TU-Berlin aufgegriffen, um den Flughafen-Boden-Rollverkehr zu optimieren. „Hochgerechnet, selbst bei einer vorsichtig angesetzten Zeitersparnis von 5 %, ergibt sich eine jährliche Ersparnis von direkten Betriebskosten der Fluggesellschaften im Millionenbereich“, erläutert Möhring das Potenzial.
Mathematik schlägt sich nieder in Softwaretools, die nicht versuchsweise, sondern systematisch Ergebnisse liefern. An der Uni Erlangen ist es die Software MOPED zur freien Materialoptimierung, mit deren Hilfe die Flügelvorderkante des neuen Airbus A 380 entstand. Das Ergebnis wiegt gegenüber dem traditionellen Design bei gleicher Belastbarkeit etwa ein Fünftel weniger und ist deutlich kostengünstiger. Die Software antwortet auf die Frage, welche Materialien gegebene Belastungsanforderungen von Bauteilen optimal erfüllen. Sie nimmt eine Ausnahmestellung ein, auch nichtlineare Fälle, wie hohe Lasten, die Bauteile einknicken lassen würden, in die Optimierung einzubeziehen.
Auch kleine und mittlere Unternehmen profitieren von der angewandten Mathematik. Angeregt von der FSM! GmbH in Landstuhl prüfte das Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik (ITWM) das Zerstäubungsverhalten von Farbtröpfchen beim Einsatz von Sprühpistolen. Das daraus entstandene System für Fassadenanstriche, bestehend aus patentierter Sprühvorrichtung und Spezialfarbe, vermeidet die üblichen Farbnebel, die das Nachbarhaus gleich mit einfärben.
Angewandte Mathematiker betreten technologisches Neuland und machen es urbar. „Mathematik stellt sich der dynamischen Welt. Und es macht Spaß, wenn man helfen kann“, fügt Grötschel selbstbewusst hinzu. Vor einer Antwort gießen Mathematiker gemeinsam mit dem Unternehmen eine Frage in ein Modell, das auch die allgemeine Problemlage präzisiert. So fällt häufig Erkenntnisgewinn als Nutzen ab. Der eCom Logistik, Falkensee, halfen Mitarbeiter des ZIB bei der Transportorganisation des Warenflusses zwischen Hochregal- und Kommissionierlagern. Trotz unsicherer Datenlage sollen auch zu Stoßzeiten die jeweils richtigen Waren vor Ort greifbar sein. Die Zusammenarbeit hat sich über das eigentliche Ergebnis hinaus gelohnt, bestätigt der Leiter der IT-Logistik bei eCom Logistik, Hans-Joachim Gebel: „Die gemeinsame Modellentwicklung führte zu Anforderungen an unser System, die wiederum Optimierungen in anderen Bereichen nach sich ziehen können.“
Die Praxisnähe seiner Wissenschaft führt Grötschel auf das „neue“ Selbstverständnis angewandter Mathematiker seit den 80er-Jahren zurück: „Mathematik muss lebendig sein und bleiben. Dafür braucht sie das Feedback aus den Unternehmen. Außerdem zeigt sich in der Praxis, ob unser Zeug was taugt.“ Oft klärt erst ein reger Dialog, worauf eine Aufgabe genau zielt. So gesehen ist angewandte Mathematik geschwätzig, eine nachgerade kommunikationsfreudige Wissenschaft. Durch den Dialog zur Modellierung erhält ein Unternehmen eine höchst individuelle Lösung für ein Produkt oder eine Dienstleistung, die der Wettbewerb kaum parallel anbieten kann – Mathematik als Kopierschutz.
UDO STEINMETZ

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